STURM ÜBER THEDRA. Michael Stuhr

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STURM ÜBER THEDRA - Michael Stuhr

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war müde. Gerne hätte er seinen Posten aufgegeben, doch die selbst auferlegte Pflicht hielt ihn eisern auf seinem Platz fest. Llauk mußte aufpassen.

      Wieder und wieder begann das Astloch vor seinem Auge zu einem hellen Fleck zu verschwimmen. Llauk nahm sich zusammen. Solange der Vater nicht in der Werkstatt war, mußte er darauf achten, dass die verdammten Sklaven nicht trödelten oder schwatzten. - Zwar hatte das niemand von ihm verlangt, auch der Vater nicht, aber Llauk hatte schon früh ein Gefühl dafür entwickelt, was Sklaven durften und was nicht:

      Früh aufstehen durften sie - und spät ins Stroh kriechen, wenig essen, aber viel leisten, demütig nicken, wenn der Herr sprach, aber nicht schwatzen. - Darum machte Llauk sich die viele Arbeit mit der Überwachung. Denn er wußte natürlich genau, dass die verdammten Sklaven heimlich über ihre Herren lachten und machten was sie wollten.

      Manchmal bedauerte er, dass sein Vater ein so gütiger Mann war - viel zu gütig für seinen Geschmack. Der Alte ließ die Sklavenbande einfach wirtschaften wie sie wollte und freute sich über jede Elle Stoff, die dabei herauskam. Es brachte Llauk zum Wahnsinn, wenn er sah, wie freundlich sein Vater mit den Arbeitern sprach. Da hatte er bei seinen Freunden in den größeren Stoffmachereien schon ganz andere Umgangsformen kennengelernt. - Beschimpfungen gab es da und Schläge, wenn die Brut nicht spurte. Essensentzug und schwere Ketten.

      Nicht, dass die anderen Werkstätten deshalb auch nur eine Elle Stoff mehr hervorgebracht hätten, als die von Llauks Vater, aber darum ging es auch nicht.

      Llauk konnte es einfach nicht verwinden, dass sein Vater die Sklaven von gleich zu gleich behandelte und manche von ihnen ganz offen höher einschätzte als seinen eigenen Sohn. Darum lag er hier auf der Lauer und würde nachher versuchen, die verdammte Bande in Mißkredit zu bringen. Bestraft sollten sie werden. Alle! Bestraft!

      Llauk bemerkte bei diesen Gedanken, wie ein wohliges Kribbeln seinen Unterleib durchzog. Unwillig blickte er nach unten. - Dafür war jetzt keine Zeit. Zwar würde er dem Vater nachher sowieso alle möglichen Lügengeschichten über die Arbeiter erzählen, aber viel besser wäre es doch, wenn er sie bei einer wirklichen Verfehlung ertappen könnte.

      Vergnügt dachte Llauk daran, wie er einmal, als Neunjähriger, die kleine Ngawe, eine Frau aus dem dunkelhäutigen Volk der Kraan, dabei erwischt hatte, wie sie am Webstuhl ein Stück gestohlenen Fleisches gegessen hatte. Llauk war vor Aufregung von seinem Sitz gerutscht und hatte sein Gesicht an die Bretterwand gepreßt bis es schmerzte, als sie das kleine Stück Speck aus ihrem Umhang zog. Das würde Strafe nach sich ziehen, hatte Llauk geglaubt, schwere Strafe!

      Die Realität war eher ernüchternd gewesen. Llauks Vater hatte seinem Sohn unwillig zugehört und war dann allein zu Ngawe an den Webstuhl gegangen. Noch nicht einmal laut geschimpft hatte er, als Ngawe ihm gestand, sie habe immer solchen Hunger, da sie schwanger sei. Da Llauks Vater sich beständig weigerte, seine Sklaven anzuketten, wie es allgemein üblich war, war es Ngawe möglich gewesen, sich mit einem der anderen Sklaven einzulassen.

      Llauks Miene wurde bitter, als er an die Reaktion seines Vaters dachte. Statt die Ungehorsame zu bestrafen, hatte er ihre Ration erhöht und sie zudem noch von allen schweren Arbeiten freigestellt. Dem Vater des Kindes, dem Dramilen Tos eb Far, hatte er sogar mit trauriger Miene gratuliert, bedauernd, dass dessen Kind schon als Sklave geboren werde.

      Der mittlerweile elfjährige Llauk hielt überhaupt nichts von dem Umgangston seines Vaters den Sklaven gegenüber. Mittlerweile war es schon so weit gekommen, dass Ngawes einjähriges Mischlingskind den ganzen Tag lang zwischen den Webstühlen umherkrabbelte und die Leute von der Arbeit abhielt. - So konnte es doch keinesfalls weitergehen.

      Heute schienen sich die Sklaven gegen Llauk verschworen zu haben. Sie wollten sich einfach nichts zuschulden kommen lassen. Manchmal hatte Llauk den leisen Verdacht, dass sie seinen geheimen Beobachtungsposten kannten, aber diese Gedanken verwarf er schnell wieder. Dazu war sein Astloch zu gut getarnt. Undenkbar, dass ein dummer Sklave ihm, Llauk, auf die Schliche kommen könne.

      Trotzdem rührte sich verdächtig wenig in der Weberei. Schweigend gingen die Arbeiter ihren monotonen Verrichtungen nach, und selbst das Kind spielte schweigend in einer Ecke.

      Ermüdet und verdrossen rutschte Llauk von seinem Sitz herunter und legte sich leise auf ein paar Stoffballen. Mit offenen Augen träumte er vor sich hin; träumte von einer goldenen Zukunft, von seiner Zukunft als Stoffmacher - als König der Stoffmacher ...

      Schon während Llauk in das Reich der Träume hinüberglitt, spürte Ngawe das Nachlassen seiner Anspannung. Seit sie das Kind empfangen hatte, war sie in der Lage, bis zu einem gewissen Maß in die Gedanken anderer Menschen hineinzuhorchen. Llauk war im Moment keine Gefahr mehr.

      Sofort stand Ngawe auf und ging zu ihrem Kind. Es war gut, den Kleinen zu stillen, wenn er noch nicht weinte. Ngawe liebte es nicht ihr Kind weinen zu sehen. Auch Tos eb Far war von seinem Webstuhl aufgestanden und neben seine Frau getreten.

      Die anderen Sklaven hatten ebenfalls die Arbeit eingestellt und reckten und streckten die steifen Glieder wohlig von sich. Zwar war niemals darüber gesprochen worden, aber es war allen klar, dass keine Gefahr drohte, wenn Ngawe sich so unbefangen gab.

      Nachdem der Kleine getrunken hatte, setzte Ngawe ihren Sohn wieder in den Korb mit den Stoffresten, den der Herr ihr geschenkt hatte. Das Kind gab einige zufriedene Laute von sich, krabbelte wieder aus dem Körbchen und begann still mit einigen alten Weberschiffchen zu spielen, die in der Ecke herumlagen.

      Das gefiel Ngawe. Es war gut, wenn ihr Kind nicht schlief, wenn Llauk schlief. So konnte Ngawe versuchen, Llauk Träume zu machen.

      Ngawe hielt Llauk zwar für viel zu unsensibel, aber schaden konnte es ja nichts, wenn sie in der Werkstatt leise das Lied des Hochmuts sang - und danach das Lied der Schwäche. Sie bedauerte es sehr, dass sie schon so früh von den Scharleuten am Hafen ihrer Heimatstadt eingefangen worden war. Sie kannte noch nicht alle Texte der Kraan-Lieder. Gern hätte sie Llauk sonst das Lied der Angst gesungen, oder das des Sterbens.

      Leise, einer nach dem anderen, hatten die Weber ihre Arbeit wieder aufgenommen. Durch die dünne Bretterwand drang das gleichmäßige Klappern der Webstühle.

      Llauk hörte nichts davon. In tiefen Schlaf gesunken lag er auf den Stoffballen, von denen er nicht einen einzigen selbst gefertigt hatte, und schlief. Er hörte nicht die ständigen Arbeitsgeräusche der Sklaven, die für seinen Vater arbeiteten. Llauk schlief tief und traumlos.

      Ab und zu waren einige leise gemurmelte Sätze aus der Werkstatt zu hören. Llauk bekam nicht mit, dass die Sklaven sich ein wenig bei der Arbeit unterhielten, `schwatzten', wie er es genannt hätte. Llauk schlief.

      Über den vereinzelten Worten der Sklaven erhob sich ganz allmählich, ganz sacht, eine dunkle Stimme, die eine fremdländisch anmutende Melodie summte. Die Gespräche der Arbeiter verstummten, und bald füllte die leise Stimme den Werkstattraum völlig aus.

      Hinter der Bretterwand, in Llauks Versteck, konnte man die Worte, die Ngawe sang eher erahnen als verstehen, zudem sang sie in ihrer Heimatsprache. Sie sang von einem König, einem sehr überheblichen König. Llauk bewegte sich im Schlaf. Der schlafende Mensch öffnet Pforten seines Geistes, von denen derselbe Mensch in wachem Zustand gar nichts weiß.

      Sanft, unmerklich schlich sich der Zauber der Kraan an Llauk heran, drang in sein Ohr - und machte ihm Träume.

      Llauk fand sich in einem Thronsaal wieder. Dass es ein Thronsaal war, wußte Llauk, auch wenn der Raum bis unter die Decke mit Stoffballen vollgestopft war. In der Mitte des riesigen Raumes standen Dutzende, nein Hunderte

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