STURM ÜBER THEDRA. Michael Stuhr
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Читать онлайн книгу STURM ÜBER THEDRA - Michael Stuhr страница 8
"Warum?", quälte Llauk mühsam hervor. Langsam wurde es ihm schlecht.
"Ich denke, dass heute noch jemand die Fische füttern wird. - Das sollten wir nicht versäumen.“
"Aha!" Willenlos trottete Llauk am Arm seines Vaters am Rand des Hafenbeckens entlang. Ihm war entsetzlich übel.
Nachdem die Fische gefüttert waren, ging es Llauk wesentlich besser. Zwar wollten ihm seine Füße immer noch nicht so recht gehorchen, und auch seine Gedanken gingen ganz seltsame Wege, aber immerhin war diese entsetzliche Übelkeit verschwunden. Überrascht blieb er im Tor des Fremdenhauses stehen. Eigentlich hatte er sich die Unterkunft für die Nacht doch ein wenig anders vorgestellt.
Das Fremdenhaus war die einzige Übernachtungsmöglichkeit für Besucher von außerhalb, die Thedra zu bieten hatte. – Die einzige Bleibe, die Thedra bieten wollte.
Außer den Seeleuten, die natürlich auf ihren Schiffen übernachten durften, schliefen hier alle Menschen, die kein Wohnrecht in Thedra hatten. Auch war es den Thedranern nicht erlaubt, über Nacht Gäste in ihren Wohnungen zu beherbergen. `Fremde gehören ins Fremdenhaus!' so war es Gesetz in Thedra. - Und so trafen sich denn allabendlich Reisende aller Völker in der großen Felshöhle, die als Obdach diente.
Verwundert war Llauk im Eingangstor stehengeblieben und sah sich das bunte Gemisch von Rassen an, mit dem zusammen sie hier heute übernachten sollten. Er hatte bislang nur Estadorianer, eigentlich mehr Leute aus Idur, und Sklaven kennengelernt. Schon am Tage hatte er erstaunt festgestellt, dass es offenbar auch freie Menschen anderer Rassen gab, die in Thedra Handel trieben, aber dass es so viele waren, das hatte er nicht gedacht.
Bedingt durch Llauks Übelkeit war es nun doch schon recht spät geworden, und der große Raum war fast schon überfüllt.
Nur in der Mitte, nahe beim Feuer, war noch etwas Platz. Llauk wollte darauf zusteuern, aber der Vater hielt ihn zurück. "Siehst du denn nicht? Da ist ein Kaufmannsfürst aus Eraji, er hat sich für heute Nacht vom Quartiermeister eine Fläche für sich allein gekauft."
Llauk sah genauer hin. Der Vater hatte recht. Auf dem Felsboden lag ein Geviert aus langen, kupfernen Stäben, die einen Innenraum von zwei mal zwei Mannslängen freiließen. - Ein enormer Luxus bei der Enge hier im Raum. An den Ecken des Quadrats standen vier Diener, die aufmerksam auf einen Mann schauten, der in der Mitte auf einer mit Fellen bezogenen Liege saß.
Llauk sah sich den Mann genauer an,und er war vom ersten Moment an fasziniert. Llauk sah IHN! - Ihn, der von nun an durch all seine Träume geistern würde. Ihn, der Llauks Leben bestimmen und lenken würde, auch wenn er den Jungen nicht einmal zur Kenntnis nahm. Ihn, den Kaufmannsfürsten aus Eraji, den König der Kaufleute, der sich nicht schämte, umgeben von drangvoller Enge den Platz von einem halben Dutzend Menschen für sich allein zu verbrauchen. Dieser Mann wurde Llauks Vorbild, sein Abgott und sein Leitstern.
Geblendet von Macht und Pracht betrachtete Llauk den Glanz dieser Hofhaltung, während sein Vater die Decken in einem zugigen Winkel nahe des Tores ausbreitete. Mit offenem Mund stand er da und konnte nicht begreifen, dass ein einzelner Mensch einen solchen Reichtum sein Eigen nannte.
Hauchdünne Goldplättchen, in denen sich das Licht des Feuers tausendfach spiegelte, zierten das Gewand des massigen Mannes, so dass er einem riesigen, rotgoldenen Karpfen glich, sobald er sich ein wenig bewegte. Hände und Arme waren mit Ringen und Reifen aus purem Gold geschmückt, und an seinem Hals hing an einer breiten, massiven Kette ein rotes Licht versprühender Edelstein.
Llauk war völlig hingerissen. Dieses Kupfergeviert und sein Inhalt bildeten einen so unvorstellbaren Wert, dass es ihm schwindlig wurde.
Und erst der Eifer und die Hingabe, mit der seine Leute ihm dienten! Ein Wink mit der Hand und einer der Diener sprang vor, um dem Herrn ein Stück Fleisch vom Feuer zu reichen. Ein zweiter Wink, und ein anderer Diener sorgte für neuen Wein.
Der absolute Höhepunkt war allerdings gekommen, als einer der Diener losstürzte, um den einzigen Latrineneimer im Raum zu holen - um ihn seinem Herrn lächelnd vorzuhalten, als dieser sich plätschernd und wohlig grunzend entleerte.
Llauk verstand: - Es war nicht die Macht der Peitsche und der Ketten, es war die Macht des Geldes, die dieser Mann ausstrahlte.
Welch ungeheure Gewalt dieser Kaufmannsfürst doch über die anderen Menschen hatte, die ihm lächelnd und kriecherisch gehorchten. Ein einziger Fingerzeig von ihm bewirkte mehr, als tausend Peitschen von tausend Aufsehern. - Das war es, was Llauk faszinierte: Der fremde Kaufmann hatte es nicht nötig, seinen Wünschen mit Gewalt Nachdruck zu verleihen. Die Menschen wollten ihm gefällig sein.
Llauk lag noch lange wach in jener Nacht. Bewunderung und Neid beherrschten seine Gedanken. Was für ein herrliches Leben hatte dieser Mann. Das war nun wirklich ein König, wie Llauk sich ihn vorstellte. Ein König des Goldes und der Fingerzeige, der Warenstapel und der Münzen, des Geistes und des Fleisches. Alle würden ihm gehorchen, denn er hatte das, was andere wollten im Übermaß. Er konnte gewähren oder verweigern - Schicksale mit einer winzigen Bewegung seines Kopfes bestimmen. Er konnte kleinere Kaufleute reich oder arm machen, ganz nach Belieben. - Und bestimmt hatte er auch Macht über die Körper der Frauen.
Llauk spürte eine diffuse Begierde in sich aufsteigen. Das war doch ein anderes Leben, als in einer jämmerlichen Werkstatt widerwillige Sklaven anzutreiben.
In dieser Nacht wurde eine Idee geboren: Llauk würde Kaufmann werden. Wenn er erst erwachsen war, würde er seine Ware nicht in Thedra feilbieten, sondern damit in ferne Länder reisen. Wenn er dann reich, unendlich reich, zurückkam, würde er den anderen Stoffmachern ihre Erzeugnisse abkaufen und wieder auf die Reise gehen. Das würde er machen, bis er wirklich so reich war, wie der fremde Kaufmann - und noch viel reicher!
Kein Ballen Stoff würde mehr ohne seine Markierung aus der Provinz Idur kommen. Kein Händler würde es wagen, Llauks Geschäfte zu stören. Dann hätte sich seine Sehnsucht endlich erfüllt. Dann würde er ein König sein. - Der König der Stoffmacher!
KAPITEL 3 - KIND DER ZUNFT
Realitäten verändern sich ständig; manche Träume nie.
Als Teri im Schneckenhafen ankam, war es fast schon zu spät.
Am frühen Nachmittag hatte sie sich auf ihr Bett gelegt, um ein wenig die Vorfreude auf das Fest zu genießen. Darüber war sie einfach eingeschlafen. Da ihre Eltern noch einen Besuch machen wollten, bevor das Fest begann und Teri keine Geschwister hatte, hatte auch niemand sie wecken können.
Voller Entsetzen hatte sie beim Erwachen festgestellt, dass es um sie herum überall totenstill war. Der ganze Wohnfelsen schien von allen Menschen verlassen. In fliegender Hast, ohne sich auch nur die Schuhe überzustreifen, war sie auf den düsteren Gang hinausgestürzt. In vollem Lauf war sie die steilen Treppen im Felsinneren hinabgerannt. Wäre jemand ihr entgegengekommen, hätte es eine Katastrophe gegeben.
Geblendet vom grellen Tageslicht war Teri durch die engen, gewundenen Straßenschluchten gerannt, bis ihr fast der Atem verging. Unsäglich war ihre Erleichterung gewesen, als sie am Schneckenhafen durch das große, turmbewehrte Schutztor kam und feststellte, dass sie nichts Wesentliches versäumt hatte.
Fast zweitausend Stadtbewohner drängten sich auf dem einzigen Versammlungsplatz der Stadt. Schulter an Schulter standen sie dort und schauten erwartungsvoll auf das steinerne Podest am Ende des Platzes. Hell klangen die kleinen Marschtrommeln