STURM ÜBER THEDRA. Michael Stuhr
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Jetzt fingen auch die Sklaven an den Webstühlen leise an mitzusingen. Llauk meinte seinen Namen herauszuhören. Ja, die Sklaven liebten ihren strengen Herrn. Sie liebten ihn so sehr, dass sie ihm zu Ehren eine Hymne sangen.
Weiter und weiter schritt Llauk durch die Reihen. - Doch was war das? - Leere Webstühle! Ganze Reihen leerer Webstühle! "Mehr Sklaven!", forderte Llauk.
Plötzlich belebten sich die Bänke mit Getier aller Art, das fleißig und folgsam für Llauk zu arbeiten begann. Zufrieden ging Llauk weiter, doch schon nach ein paar Schritten stand er wieder vor leeren Bänken.
"Mehr Sklaven!", forderte Llauk, und nun begannen die Bäume des Waldes für ihn zu weben.
So ging es immer weiter, aber Llauk war nicht zufriedenzustellen. Immer mehr Sklaven forderte er, bis er am Ende die Flüsse und Berge, den Himmel und das Land und sogar die Sonne und den Mond unter seine Fron genommen hatte.
Süß und einschmeichelnd klangen die fremden Worte der Hymne. Sie forderten ihn auf, das Letzte zu wagen. - Und Llauk zögerte nicht. Die letzte Reihe leerer Webstühle mußte besetzt werden. Llauk war der König! Alle sollten für ihn arbeiten - sogar die Götter.
"Mehr Sklaven!" Llauk war glücklich. Mehr konnte ein Mensch nicht fordern. "Mehr Sklaven! Mehr Sklaven!"
Aber die Götter erschienen nicht. Llauk wurde ungehalten. Auch die Musik der Hymne klang nicht mehr so süß in seinen Ohren. Etwas Zögerndes, Widerstrebendes ging davon aus. Llauk bekam Angst. Vielleicht war es doch zu vermessen gewesen, die Götter selbst in die Knechtschaft zwingen zu wollen?
"Genug!", rief Llauk und drehte sich von den leeren Webstühlen weg. Was er sah, ließ seinen Schritt stocken.
Keiner seiner Sklaven arbeitete mehr. Alle hatten ihre Webstühle verlassen und warteten auf ihn. Haßerfüllte Augen starrten ihn an, aus tausenden von Kehlen ertönte die Hymne, jetzt verzerrt zu einem ewigen Schrei des Hasses und der Verachtung.
"Genug!" Llauk wollte keine weiteren Sklaven mehr, auch keine Macht. Llauk wollte nur noch fort von diesem unheimlichen Ort, wo die Sklaven dem König der Stoffmacher trotzten.
"Fort!" Aber die Sklaven gingen nicht fort. Als hätten sie nur auf seine Worte gewartet, stürzten sie sich auf Llauk und schleppten ihn in ihrer Mitte zu einem der Webstühle.
Plötzlich sah Llauk schwere Metallreifen an seinen Armen und Beinen. Die Sklaven hatten ihn an den Webstuhl gekettet.
Llauk mußte weben. Im Rhythmus der verhaßten Melodie, deren unverständliche Worte ihn demütigten und schmähten, ließ er das Schiffchen durch die Fäden sirren. Doch so schnell er auch arbeitete, es war den Sklaven, die ihn umstanden, nicht schnell genug. Sie begannen, nach ihm zu schlagen, ihm die Kleider vom Leibe zu ziehen.
Nackt und gedemütigt arbeitete Llauk unter den Schlägen der Sklaven, so schnell er konnte. Tränen liefen über seine Wangen und ein stummer Schrei drohte ihn zu ersticken. Immer schneller, immer heftiger prasselten die Schläge auf ihn nieder, bis es ganz dunkel um ihn wurde. Llauk holte tief Luft und stieß einen markerschütternden Schrei aus.
"Was war das?"
Schlagartig hatten alle Sklaven in der Werkstatt zu arbeiten aufgehört, als der gellende Schrei, gefolgt von einem dumpfen Poltern, aus dem Verschlag drang; nur Ngawe webte gleichmütig an ihrer Stoffbahn weiter. "Nur ein dummes Tier", beruhigte sie die anderen Arbeiter." Ein böses kleines Tier. Es ist geflüchtet."
Widerstrebend gingen die anderen Sklaven wieder an ihre Arbeit. Manch einer warf der Bretterwand zu dem Verschlag noch einen mißtrauischen oder ängstlichen Blick zu. Selbstverständlich wußten alle Sklaven von Llauks geheimem Astloch, und alle hatten Llauks Stimme erkannt. Wie er geschrien hatte: - So, als werde ihm das Herz bei lebendigem Leibe herausgerissen.
Um das Astloch brauchten sich die Sklaven nie wieder Sorgen zu machen. Llauk war aus dem Verschlag geflüchtet und zwar für immer. Es graute ihm so sehr vor diesem Raum, in dem er aus dem schlimmsten Traum seines Lebens aufgewacht war, dass er ihn sogar am hellichten Tage mied wann immer er konnte.
Spät am Abend setzte sich Tos eb Far, der Dramile noch ein wenig zu Ngawe, der Kraan-Frau und ihrem gemeinsamen Kind. "Hast du den Burschen verscheucht?", fragte er nach einiger Zeit seine Frau, die bestätigend nickte.
"Mit deinem Lied?" Es war Tos nicht entgangen, dass Ngawes Gesang kurz vor Llauks Schrei härter geworden war, fordernder, nahezu haßerfüllt.
Wieder nickte Ngawe nur stumm, aber Tos ließ nicht nach. "Was hast du da gesungen?", wollte er von Ngawe wissen.
"Ein altes Lied der Kraan", antwortete die Frau leise. „Es geht darin um einen hochmütigen König, der immer mehr Krieger unter seinen Zwang nimmt, bis selbst Sonne und Mond ihm gehorchen."
"Aber das war doch nicht alles."
"Nein", bestätigte Ngawe. "Der zweite Teil des Liedes erzählt von demselben König, wie er von seinen eigenen Kriegern gefangengesetzt und gedemütigt wird."
"Was hat ihn so daran erschreckt? Er konnte doch die Worte nicht verstehen." Tos begriff das alles nicht und machte auch keinen Hehl daraus.
"Lieder sind wie Sklaven." Ngawe blickte zu Boden und sprach sehr leise. "Ein jeder nimmt sich davon, was er braucht, auch wenn er ihre Sprache nicht versteht. Wer kann wissen, was Llauk sich nahm und was er sah. - Aber", nun sah Ngawe auf und ihre Stimme wurde fester, "...Lieder sind auch grausame Herren! Sie treiben dich voran durch das Dickicht der Gefühle, ob du nun willst oder nicht. Und sei dein Panzer noch so stark. - Wie ein Schwert von einem Schild abgelenkt wird, so wirkt das sanfte Lied der Kraan. Gleitet die Klinge auch ab, ohne zu töten, so erhält der Schild doch einen Stoß, den sein Träger spürt.
Mein Volk holt seine Nachkommen mit Liedern auf die Welt und bezähmt mit der Kraft sanfter Melodien wilde Tiere. Es gibt den Ängstlichen Mut durch gesungene Worte und tötet seine Feinde mit Liedern wie Speerspitzen aus Edelstein. - Sei willkommen, Freund, am Feuer des Dorfes, doch hüte dich, Feind, vor den Stimmen der Frauen. Ewiger Fluch wird fallen auf jeden, der bösen Gedankens!"
"Ngawe!"
Ngawe hatte sich während ihrer Worte immer mehr von der Welt zurückgezogen. Mit leerem Blick saß sie da und rezitierte den `Gruß der Warnung', den im Land der Kraan jedes Kind beherrschte. Tos hatte Angst bekommen, als sie so steif dasaß und mit monotoner Stimme die Verse sprach. Als sie sich auch noch wie in Ekstase vor- und zurück zu bewegen begann, hatte er sie sacht angestoßen. "Ngawe!"
Sofort war der Bann gebrochen. Die Frau entspannte sich ein wenig und das Leben kehrte in ihre Augen zurück. "Ich hätte nicht gedacht, dass dieses dumme Erdhörnchen überhaupt etwas spüren würde", meinte sie nachdenklich.
Tos lachte auf. "Ich weiß zwar immer noch nicht, wie du das eigentlich gemacht hast, aber ich hoffe, dass es dieses Ungeziefer tief getroffen hat!"
"Sei ohne Sorge", meinte Ngawe nur schlicht. Dann begann auch sie zu lachen.
Seit seinem furchtbaren Traum in dem Stofflager war Llauk den Sklaven gegenüber vorsichtiger geworden. Zwar ärgerten ihn ihre unverschämten Blicke, die ihm wissend folgten, sobald er sich