Alltagsattraktionen. Jan Lipowski
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Gut erzogen wie ich bin, klappte ich die Klobrille hoch, wobei sich herausstellte, dass selbige so blöd ausbalanciert war, dass sie stets wieder zuzuklappen drohte. Nun, dann beuge ich mich eben etwas weiter vor und halte sie mit der einen Hand – also eigentlich mit der anderen Hand – auf. Gleichzeitig versuchte ich, wie erwähnt, die Klotür mit der rechten Ferse zu blockieren, damit niemand hereinkommen kann, was auch sinnvoll war, da bereits jemand an der Klinke rüttelte. Von wegen leichter Ausfallschritt! Überdies war der Spalt unter der Tür so breit, dass ich schon Sorge hatte, ein Limbotänzer könnte unter der Tür hindurch tanzen.
Leise fluchend setzte ich meine Geschäftstätigkeit fort und hatte quasi alle Hände voll zu tun, um das zu vermeiden, was zu verhindern meinem Vorgänger, der vermutlich noch mit peinlich durchnässtem Beinkleid auf der Außentreppe im Luftzug stand, augenscheinlich nicht gelungen war – und konnte es glücklicherweise auch vermeiden!
Geschafft! Händewaschen war nun mehr als Pflicht, doch auch alle Waschbecken waren besetzt. Warten? – Nein, bei der schlechten Luft wollte ich keine Sekunde länger als unbedingt notwendig bleiben. Im Gehen streifte mein Blick flüchtig die Reihe der Gestalten, die mir alle mit sich selbst beschäftigt ihre Rücken zukehrten. Das Licht im Raum wurde durch Schichten toter Motten und Fliegen in den trüben Lampenschalen gedämpft, doch in der Ecke entdeckte ich am Ende eines rostigen Rohres einen einzelnen Wasserhahn, vor dem ein zerbeulter Emailletrog stand. Schnell noch die Hände waschen! Ich eilte hin und da der Boden hier ziemlich feucht wurde, klebten meine Schuhsohlen auch nicht mehr an den Fliesen. Stolz auf mein eben bewiesenes und mit vortrefflicher Feinmotorik gepaartes Balancevermögen trat ich überlegen lächelnd an den Waschbeckenersatz. Ich drehte den Wasserhahn auf – und … Mist!!
Das nahezu waagerecht herausspritzende Wasser traf meine Hose zentral unterhalb der Gürtelschnalle! – Ich fluchte kräftig und rehabilitierte auf der Stelle den Typen auf der Treppe.
Frauentag
Ja, wer kennt es nicht, das unangenehme Gefühl, wenn einem plötzlich einfällt, dass man seine Liebste/seinen Liebsten eigentlich phantasievoll überraschen wollte, die Vorbereitungen aber vollkommen vergessen hat und nun improvisieren muss. Kennenlerntag, Erster-Kuss-Tag, Valentinstag, Frauentag, Verlobungs- oder Hochzeitstag – Anlässe gibt es genug.
Jedenfalls war ich eines schönen Abends einer Flasche Rotwein auf den Grund gegangen als mir siedendheiß einfiel, dass ein besonderer Tag vor der Tür stand! Der Tag des so genannten schwachen Geschlechts, das in Wirklichkeit das Stärkere ist. Morgen ist der 8. März, an dem ich meine Liebste doch beeindrucken wollte. Bekanntermaßen ist es stetes Ziel der Männer (möglichst viele) Frauen zu beeindrucken, aber ich beabsichtigte dies sogar in einem mir weitgehend fremden Terrain zu wagen. Ja, ich hatte mir vorgenommen, mich einer Herausforderung am Herd zu stellen!
Ich bin wahrlich kein Küchenprofi, denke aber belustigt an eine Studentenparty zurück, bei der die weit unkundigere Gastgeberin ein Glas Gurken nicht aufbekam und dazu meinte: „Ich hasse Kochen!“
Doch fremdes Elend hilft nicht weiter. Ich wollte eine lecker-süße Überraschung zaubern, zudem meine (ebensolche) Liebste tatsächlich etwas Nervennahrung brauchte und damit zur eigentlichen Geschichte.
Meine Liebste kämpft mit Ihrer Diplomarbeit und wird sich in den nächsten Wochen wohl nicht dem Krimi widmen können, den ich ihr am Morgen zum Frauentag geschenkt habe. Sie sitzt hinter einem Bollwerk aus Fachliteratur am PC, ich höre Serien von Mausklicks, vereinzelte Unmutsäußerungen und nur selten die Tastatur. Wahrscheinlich recherchiert sie im Internet und kommt nicht recht voran.
Wettermäßig gibt sich der Internationale Frauentag keinerlei Mühe, Niesel hängt in der Luft, alles grau in grau, also ist es an mir, einen kleinen Farbtupfer zu setzen. Wegen der Kommerzialisierung von Valentinstag & Co. schenke oder überrasche ich lieber antizyklisch, doch heute tut eine Stimmungsaufhellung wirklich Not.
Bereits letztes Wochenende wollte ich ihr das Zentralgestirn des k.u.k.-Mehlspeisenhimmels kredenzen, was jedoch am fehlenden Mehl gescheitert war. Ehrlich gesagt hatte ich seit meinem Einzug eine Tüte im Küchenschrank, doch da waren mittlerweile kleine, braune Pünktchen drin, die sich langsam bewegten. Kein gutes Mehl! Und dass gerade diese zentrale Zutat in meinem Singlehaushalt jahrelang keine zentrale Rolle spielte, unterstreicht das Wagnis meines Vorhabens! – Aber laut meiner Arbeitskollegin soll ja so ein Kaiserschmarrn kinderleicht sein. Sie hatte mir auch gleich eine Internetadresse mit dem Rezept geschickt und sich amüsiert, als ich mich nach dem Stand der Technik des Trennens von Eiweiß und -gelb erkundigte. – Es wäre noch wie zu Großmutters Zeiten.
Nachdem ich mir bei meiner Nachbarin eine Tüte Mehl geborgt habe, rufe ich selbstbewusst über den Bücherberg, dass es in 20 Minuten eine leckere Überraschung gibt, verziehe mich mit meinen Notizen in die Küche und beginne mit dem Teig. 125 Gramm Mehl, 500 ml Milch… – ich mustere die abgemessenen Mengen, also das kann nicht sein! Ich hab’ vom Backen keine Ahnung, aber das wird viel zu dünn. Warum hatte ich bloß das Rezept nicht ausgedruckt!?
So hole ich mein Notebook in die Küche und surfe drahtlos ins Netz. Auf der Kochclub-Seite finde ich das Rezept von Melaniebrit wieder, daneben ihr Foto (eine attraktive Frau, der ich spontan eher wenig Erfahrung in der Küche zutraue) und sogar einen Portionsrechner. Okay! »Zutaten für 1 Portionen«, klick! – „62 g Mehl, 250 ml Milch, 1 großes Ei, 1 Packung Vanillezucker…“ und so weiter, daneben erscheint ein Werbebanner für ein Singleportal. Aha! »Zutaten für 2 Portionen«, klick! „125 g Mehl, 500 ml Milch, 4 mittlere Eier, 2 Packungen Vanillezucker…“ daneben Reklame für eine Seitensprungagentur. Oha! »Zutaten für 3 Portionen«, klick! „188 g Mehl, 750 ml Milch, 3 große Eier, 3 Packungen Vanillezucker…“ und eine Bannerwerbung, die junge Familien anspricht. Nun gut. »Zutaten für 200 Portionen«, klick! „12,5 kg Mehl, 50 l Milch, 200 große Eier, 200 Packungen Vanillezucker…“ und Werbung für einen Großmarkt. Irgendwie hatte alles System, doch es war immer zu viel Milch!
So würde das kein Teig werden. Also suche ich im Internet nach weiteren Rezepturen: Wiener Kaiserschmarrn, Vollkorn-Kaiserschmarrn mit Zwetschgenröster, Apfel-Kaiserschmarren… – ach Schmarrn! Die unterschiedlichen Rezepturen verwirren mich nur. Beschließe lieber beim Empfohlenen zu bleiben und einfach die Hälfte der Milch zu nehmen. Zudem hat diese Melaniebrit (beziehungsweise ihr Rezept) laut Nutzerstatistik immerhin 4 von 5 Sternen bekommen, wurde 2.455-mal gelesen und 700-mal ausgedruckt. Das wird doch hoffentlich nicht allein wegen dem Foto sein. Ich bekomme das schon irgendwie gebacken und überwinde auch die folgenden Hürden: Was ist eine Prise Salz? Was ist ein Ei mittelgroß? Wie verwandle ich den vorrätigen Würfel- in den benötigten Puderzucker? Was sind »Rosinen je nach Geschmack« und wie ziehe ich Eiweißschnee unter?
Tja, die entstandene Masse sieht interessant aus. Unklugerweise gebe ich alles auf einmal in die Pfanne. Immerhin duftet es bald sehr lecker. – „Wie soll ich dieses Teil jetzt bloß wenden?“, überlege ich etwas zu laut. – „Zur Not kannst Du ja einen Kaiserschmarrn draus machen!“, tönt es hinter dem Bücherstapel. – Na klasse! Zur Not!!
PS: Es war übrigens richtig lecker, nur vielleicht etwas zu wenig Milch … und mit Palatschinken hätte ich den absoluten Volltreffer bei ihr gelandet.
Lust auf Figur
… der vogelstimmengewürzte Spätmorgen versprach einen wundervollen Wintertag und ich versprach mir etwas vom Gang zum Briefkasten. Für Geburtstagspost war es noch zu