Wilde Zeiten - 1970 etc.. Stefan Koenig

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wilde Zeiten - 1970 etc. - Stefan Koenig страница 9

Автор:
Серия:
Издательство:
Wilde Zeiten - 1970 etc. - Stefan Koenig Band 2

Скачать книгу

ob die Bundeslade von Moses elektrisch geladen war. Seiner Meinung nach war die Sintflut vorausgeplant, außerdem paarten sich die Götter und die Menschen sehr gerne. Das war für ihn klar wie Kloßbrühe.

      Ein paar Tage später, Mitte Februar, gab es eine weitere Gerichtsmeldung. Eine im Jahr 1896 geborene Anna Anderson, verheiratete Anastasia Manahan, verlor vor dem Bundesgerichtshof in letzter Instanz ihren Prozess um Anerkennung als Zarentochter Anastasia, der jüngsten Tochter des letzten russischen Zaren.

      Und noch einen Tag später legte US-Präsident Richard Nixon dem Kongress seine außenpolitische Doktrin für die 1970er Jahre vor. Danach sollten die USA ihre Rolle als Weltpolizei aufgeben. „Da lachen ja die Hühner“, meinte Rolf. „Wenn das so kommt, dann fress‘ ich einen Besen!“

      „Das kommt so!“, sagte Karin. „Hier steht schon mal der Besen.“ Sie deutete in die Flur-Ecke hinter der Garderobe, wobei wir alle sofort ein schlechtes Gewissen bekamen, weil wir immer noch nicht geklärt hatten, wer als nächstes mit dem Kehren von Küche, Bad und Flur dran war. „Ich sag euch: Das kommt wirklich so! Der US-Imperialismus geht seinem Ende entgegen.“

      „Wenn das nicht mal wieder eine dieser maoistischen Fehleinschätzungen ist“, antwortete Rolf.

      „Das ist keine Fehleinschätzung, weil Nixon sonst seine NATO-Verbündeten nicht auffordern würde, mehr eigene Verantwortung zu übernehmen. Das ist das Eingeständnis, dass Amerika am Ende ist!“

      „Quatsch mit Soße“, sagte ich. „Das heißt nur, dass wir und die anderen US-Vasallen mehr in die NATO-Aufrüstung stecken sollen. Denk doch mal nach! Wir sollen bei den Amis mehr Panzer und Bomber kaufen. Darum geht es Nixon, schön verklausuliert als »mehr eigene Verantwortung übernehmen!« Klingt gut und lässt bei Amerikas Rüstungsindustrie die Kassen klingeln.“ Mir war klar, dass Nixon den Krieg im Fernen Osten mit europäischem fresh money ausweiten wollte.

      Fast hätte mir Karin die Augen ausgekratzt. Sie saß da wie ein Panther auf dem Sprung. Aber sie hielt die Klappe. Zehn Minuten später legte sie mich im Bett flach und machte mich auf diese Weise mundtot.

      Am nächsten Morgen plauderte Frankholz aus seinem historischen Nähstübchen und legte uns die originalfranzösische Sicht der Dinge zum Maiaufstand 1968 in Paris dar. Im Speziellen ging es um Daniel Cohn-Bendit, den Roten Dany. Das interessierte zwar keinen mehr, da es aus unserer Sicht schon eine Ewigkeit, nämlich zwei Jahre, her war. Doch Jean-Francois plauderte munter drauflos.

      „Ich glaube, Dany le Rouge, also glaube ich, war deutscher Anarchist in unser Lande, um die Sozialismus zu stoppen. Hat so viel Wirrzeug gemacht, alles durcheinander und nix auf die Beine gebracht, was könnte bleiben. Nur kaputt machen ist doch kein … wie sagt man … Concepion …“

      „Konzept“, sagte ich und goss mir die warme Milch über die Haferflocken. Die mussten erst zirka drei Minuten aufquellen, aber nicht zu viel, dann kam das kleingeschnippelte Obst obendrauf. Das war das Konzept für mein Rezept.

      „Hoch die internationale Solidarität!“, rief Rolf.

      Richy und ich mussten lachen. Frankholz grinste und reckte die Faust hoch. Auch Karins Mao-Fäustchen mit den lila lackierten Fingernägeln flog hoch; sie musste sich beeilen, die Schule rief, und sie verließ uns hastig, wie immer etwas zu spät für den pünktlichen Unterrichtsbeginn. Aber als revolutionäre Abiturientin mit Plateau-Schuhen konnte man sich das offenbar irgendwie leisten.

      Und was kam nach dem Frühstück? Das obligatorische »Rettchen«. Es war wirklich so, auch an diesem Morgen; Rauchen war wie ein stilles Übereinkommen, eine Geheimsprache, die signalisierte: Ich bin gelassen und bin so frei, so zu sein, wie ich bin.

      „Brav macht ihr das; ihr verhaltet euch so, genau wie es sich die Zigarettenindustrie wünscht“, sagte Richy.

      „Was wünscht die sich denn?“, fragte Rolf zurück.

      „Na, genau solch eine Haltung, wie ihr sie an den Tag legt: Wir sind immer entspannt. Hippie happy. Uns regt nichts auf. Wir sind so cool. Wir sind die Cowboys, die ohne zu schwitzen die Rinder einfangen.“

      Da hatte er Recht; diese Haltung wurde von der Tabakindustrie, wenn nicht initiiert, so doch kultiviert. Die Zigarettenwerbung verknüpfte Rauchen mit unbändiger Freiheit, mit Cowboys und Abenteuer. Ich, als geborener Nichtraucher, hatte mich oft einem rauchigen Gruppenzwang ausgesetzt gefühlt. Aber wie beim Saufen und Kiffen hatte ich heldenhaft widerstanden, einsam, aber zufrieden.

      In unserer WG stand ich nun nicht mehr einsam auf verlorenem Posten, wenn sich alle anderen der Lässigkeit des qualmenden Abenteuers auslieferten. Raucher und Nichtraucher respektierten sich. Es gab keine Eklats, weil ausreichend gelüftet wurde und sich die Raucher an die Paragraphen an der Pinnwand hielten. Es tat niemandem einen Abbruch.

      Beim Kiffen allerdings tat sich was. Die ausgestoßenen Inhalationsdünste schienen noch genug THC zu enthalten, um mich lockerer und wesentlich lustiger werden zu lassen, als die Direktkonsumenten selbst je wurden. Offenbar war ich sehr empfänglich für diese Gaben. Ohne wirklich Gras geraucht zu haben, war ich oftmals high bis über die Ohren.

      In diesem Zustand führten wir grundsätzlich ernsthafte Grundsatzdiskussionen, die man nur bekifft-amüsiert überstehen konnte, darunter die bedeutendste Grundsatzfrage aller Zeiten: Was ist eigentlich unser Ziel?

      Im Athener Grill saßen wir beisammen, Karin, Rosi, Tommi, Richy und ich. Rolf musste noch im Steuerbüro an einer Schummelbilanz für seinen stramm CDU-treuen Bürochef arbeiten. Auch unsere guten Kumpels und Solidaritätsverband-Helfer Andy, Britta und Ingo waren dabei. Alle hatten vorm Essen einen Joint gezogen, außer Karin, Richy und ich.

      „Unsere Vision ist – ganz einfach gesagt – die freie Persönlichkeitsentfaltung, frei, das heißt ohne Fremdbestimmung“, sagte Karin nach dem zweiten Bier und schwadronierte weiter: „Ohne Manipulation durch die Presse der herrschenden Wirtschaftsmächtigen. Nicht der Profit, der Mensch muss im Mittelpunkt stehen!“

      Rosi schaute aus ihren etwas roten Augen, was dem Gras geschuldet war, und fragte in ihrer leidenschaftslosen Naivität: „Und wo bleibt die Natur?“

      Ihr Liebster streichelte ihr die Hand, die gerade nach dem Tsatsiki-Teller griff. „Die sorgt für sich selbst. Mach dir keine Sorgen, die regeneriert sich, ist doch intakt, was willst du mehr?“

      Ich sah, wie Richy nach Luft schnappte und Tommi ins Visier nahm. „Die Luft ist verpestet bis dorthinaus. Wie soll die sich von selbst regenerieren?“

      Rosi stocherte in ihrem Zaziki herum und fragte, ob da Knoblauch drin sei. Tommi meinte, er hätte gehört, drüben der Sozialismus könne noch nicht auf Industrie verzichten, während der Kapitalismus industriell und militärisch ununterbrochen aufrüste, das sei doch wohl logisch. Erst im Kommunismus sei die Industrie überflüssig – was natürlich nur seinem derzeit arg benebelten Kopf entsprang. Der sozialistische Braunkohlegeruch über Berlin habe ein besonderes Flair oder so. Und so verlief sich die Diskussion im griechischen Nirwana zwischen Feta aus dem Ofen, gebratenen Zucchini und leckerem Braunkohl-Düftchen; oder war es vielleicht doch das Düftchen des Kohlsüppchens? Auf dem kurzen Nachhauseweg sangen wir auf dem Kudamm in einheitlicher Geschlossenheit.

      „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft, so mit ihrem holden Duft, Duft, Duft, wo nur selten was verpufft, pufft, pufft, in dem Duft, Duft, Duft, dieser Luft, Luft, Luft!“

      Weit vor uns an der Ecke Joachimstaler Straße – außer Konkurrenz von uns Neuberliner-Luftikussen –lieferten sich die Hare-Krishna-Jünger mit der Heilsarmee ihre eigene singende Präsenzschlacht:

Скачать книгу