Wilde Zeiten - 1970 etc.. Stefan Koenig
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In unserem Gemeinschaftsbad hatte sich Rosi mit ihren Make-up-Utensilien ganz gut ausgebreitet. Jetzt fiel mir auf unserem Schmökertisch neben dem Stapel unserer Kloliteratur, den Micky-Maus-Heften, dem stern, der Satirezeitschrift Pardon, der konkret und dem bürgerlich-kritischen Spiegel, eine ausgeschnittene Anzeige ins Auge.
„Jeder kennt dieses Problem: Besonders bei körperlicher und nervlicher Anspannung entstehen in intimen Körperbereichen Sekrete, die das Gefühl der Frische beeinträchtigen.“
Mann oh Mann, war das vornehm ausgedrückt. Andere würden sagen, man schwitzt und stinkt!
Und worin lag nun die Lösung dieses schier kopfzerbrechenden Problems?
Na klar, diese „natürliche, aber lästige Begleiterscheinung beseitigt Camelia-Spray nachhaltig und auf angenehme Weise. Mit Camelia-Spray fühlen Sie sich frisch und unbekümmert – jeden Tag …“
Und wer war wieder mal auf so’ne Werbung reingefallen, statt sich zu waschen? Unsere Rosi. Sie hatte gleich sieben Spraydosen gekauft, für jeden von uns eine, und alles aus unserer Gemeinschaftskasse. Richy war der erste, der es monierte, dann beschwerten sich auch noch Rolf, Frankholz und ich – nur unsere zwei hübschen Vorzeigefrauen hielten zusammen und lobten das Spray in höchstkapitalistischen Werbetönen. Tommi hielt sich diplomatisch zurück, als Rosi das Wort ergriff: „Gerade euch Typen tut das Spray gut, ihr schwitzt viel mehr als wir und ihr riecht dann ziemlich schnell ziemlich streng.“ Rosi sah uns mitleidig an.
Karin, eingepfercht in einen extra für sie angefertigten Mao-Anzug, nickte zustimmend, als hätte auch der Große Vorsitzende uns das Spray in der Vierten Direktive des Fünften Parteitags zum Dreißigsten Jubiläum der glorreichen Volksbefreiungsarmee empfohlen. Na ja, was hatten die Studenten noch vor wenigen Monaten auf Westberlins Straßen außer Ho-Ho-Ho-Chi-Minh gerufen? Genau das: Kapitalismus führt zum Faschismus – Kapitalismus muss weg! Und jetzt dieses Camelia-Spray!
Was dringend einer Lösung bedurfte, war der Zigarettengestank in der WG. Rolf, der werktags im Steuerbüro eines Herrn Elmar Tanner arbeitete, rauchte Gauloises; auch sein Chef, ein offensichtlich wichtiger CDU-Mann, war Gauloises-Raucher – und dass ihm einige Jahre später im Zuge eines Westberliner CDU- und Regierungsskandals der Kopf rauchen und er in monatelanger Untersuchungshaft sitzen würde, ahnten wir damals natürlich nicht. Aber suspekt war mir schon, was Rolf hin und wieder von seinem Chef, vom Steuerbüro und allerlei merkwürdigen Besuchen berichtete.
Tommi und Rosi waren typische Gelegenheitsraucher und rauchten dann das, was ihnen eben in die Finger kam; Frankholz, der Originalfranzose, rauchte Pfeife mit dem gallischen Gauloises-Tabak, „weil das Tabak ist so schön stark, weißt du, weil gute Sorte und schmeckt so schön intensiv, weil durch das Maispapier. Ist nämlich Tabak in Maispapier gedreht, weißt du.“
An jeder Ecke hingen Zigaretten- und Kaugummiautomaten. Und rund um den Kudamm gab es eine Menge Tabakgeschäfte, in denen Jean-Francois seinen Stopftabak kaufte. Wie er mir einmal erklärte, hatte die Maispapiervariante die Eigenschaft, dass die Gauloises ausging, wenn nicht regelmäßig an ihr gezogen wurde. Sie kam damit der lange Zeit in Frankreich üblichen Angewohnheit, die Zigarette einfach im Mundwinkel hängen zu lassen, entgegen. Sie prägte den Typ vom Bilderbuchfranzosen mit der Zigarette im Mundwinkel. Aber in diesem Punkt scherte sich Frankholz nicht ums Stereotyp. Er rauchte Pfeife.
Die Nichtraucherfront bestand aus Karin, Richy und mir. Wir schrieben einen großen Zettel und hängten ihn an die Pinnwand neben die Einkaufsliste: „§ 1 Ich nehme Rücksicht auf die Nichtraucher. § 2 Nach jeder Zigarette und nach jedem Pfeifchen lüfte ich kräftig den Raum, in dem geraucht wurde. § 3 Mehr ist nicht zu tun. § 4 Daaaanke !!!
Roland rief an und fragte, wie es mit den Sammlungen stehe. Meine angeheuerten studentischen Helfer, Andy, Britta und Ingo, hatten gute Arbeit geleistet und bis zur zweiten Januarwoche die Türen und Hauseingänge samt Hinterhöfen in halb Charlottenburg mit unseren Info-Zetteln zugeklebt. Am Donnerstag, dem ersten Einsammeltag, merkten wir, dass die Kleidersammlung in Westberlin wesentlich ergiebiger war als im Rhein-Main-Gebiet, und so konnte ich unserem großen kleinen Vereinsvorsitzenden, er maß zirka 160 Zentimeter, eine enorme Einnahme prognostizieren. Wenn das so weiterging, hatten wir bereits im Januar rund 45.000 DM an Spendengelder zusammen, wenn man die LKW- und Personalkosten abzog.
Wir fuhren jetzt mit zwei Großlastwagen, Richy und Beppo jeweils am Steuer, und als Einsammelhelfer die drei studentischen „Heinzelmännchen“ wie der ASTA als Jobvermittler seine studentischen Hilfskräfte bezeichnete. Sie waren natürlich sozialversichert und wir bezahlten sehr gut: das Doppelte, was sie als Babysitter, Aushilfsgärtner oder in einer Putzkolonne verdient hätten.
Die größere Tour fuhren Richy mit Andy und Britta, aus denen schon bald ein Pärchen wurde. Sie wollten, wie sie mir sagten, mit ihren hier verdienten Penunzen in den Semesterferien über Spanien bis nach Marokko trampen. Dort sei es preiswert und es gäbe tolle Hippietreffs und gutes Kraut. Unterwegs würden sie in Torremolinos Halt machen. Ich musste gleich an Wolle und Quiny denken. Von ihr hatte ich gehört, dass sie sich bereits im Kinderladen, wo sie als Kindergärtnerin arbeitete, ab April für sechs Monate hatte beurlauben lassen. „Kein Aprilscherz, Kara, aber am 1. April geht’s ab Richtung Torremolinos!“ Ich freute mich für Quiny.
Die kleinere Einsammel-Tour fuhren Beppo und Ingo, zwei Pragmatiker, die ihren Verdienst lieber hier vor Ort in Autos und Frauen investierten.
Tommi, unser angehender Postbeamter und Telefonspezialist, liebte Telefonstreiche. Manchmal war ich unfreiwilliger Mithörer. Manchmal Mitmacher, wie heute. Ich schlug eine x-beliebige Seite im Telefonbuch auf und fuhr blind mit dem Finger über die Namen und Nummern bis Tommi „Stopp!“ rief.
Dann wählte er. „Hier ist die Störstelle der Deutschen Bundespost. Ihr Telefon hat eine Störung. Können Sie mich verstehen? Nein? Ich kann Sie nur mit Unterbrechungen verstehen. Würden Sie bitte meinen Anweisungen folgen!“
„Wer ist da?“, fragte eine arglose Frauenstimme.
„Die Post. Die Entstörungsstelle. Ihr Telefon muss dringend gereinigt werden. Bitte holen Sie zuerst ein Staubtuch. Haben Sie das zur Hand?“
„Ja, einen Moment“, sagte die Frau am anderen Ende und man hört sie rumkruscheln. „Ich hab’s.“
Tommi zwinkerte mir zu und sagte: „Dann drehen Sie bitte die Sprechmuschel auf und reinigen Sie den Tonkopf vorsichtig mit dem trockenen Tuch.“
Zum Schluss bedankte sich Tommi höflich, legte auf und wir lachten uns kaputt. Da waren wir Kindsköpfe zwanzig Jahre alt.
Die »konkret« &Ulrike Meinhof
Bisschen kindsköpfig war ich mir auch vorgekommen, als ich mit Neunzehn im Februar 1969 bei meinem allerersten Kontaktversuch in der Hamburger konkret-Redaktion Ulrike Meinhof begegnet war. Sie war mit dem Chefredakteur Röhl verheiratet und führte mich in ihr Büro, da Röhl in München auf CSU-Recherche-Tour war. Er wollte christsoziale Insider treffen, die ihm mehr über die Beziehungen