Wilde Zeiten - 1970 etc.. Stefan Koenig

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Wilde Zeiten - 1970 etc. - Stefan Koenig Band 2

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Meinhof war für mich bis dahin eine völlig unbekannte Person, nur aus ihren konkret-Kolumnen konnte ich mir ein Bild über sie machen. Noch stand sie ja nicht im Kreuzfeuer des gewaltbereiten Terrors. Wie sie mir so gegenüber saß, sah sie sehr bürgerlich solide aus, halblanges, gepflegtes dunkles Haar, eine leicht bräunlich getönte Brille, ein dunkler Rollkragenpullover, dazu eine dunkle Hose und schwarze halbhohe Schuhe. Sie war zirka Mitte Dreißig, vielleicht ein, zwei Jahre jünger oder älter – sehr schwer zu schätzen für mich, da mir alle über Dreißig schon ziemlich alt erschienen.

      „Wie sieht denn Ihr politischer Lebenslauf aus?“, fragte sie mich. „Sie wissen ja, dass wir eine politische, gesellschaftskritische Kulturzeitschrift sind. Da erwarten wir von unseren Mitarbeitern freilich eine solide Kenntnis der gesellschaftlichen Zusammenhänge.“

      Ich berichtete ihr von meiner frühen Politisierung bei der Jungen Union, von der ich mich ebenso wie von den christlichen Pfadfindern rechtzeitig abnabeln konnte, um mein eigenes Köpfchen zu entwickeln, bevor ich bei den Provos landete. Genau das war der Zeitpunkt, an dem ich mir dann doch sehr kindisch vorkam, als sich die Chefkolumnistin und Ehefrau des Chefredakteurs und Herausgebers für meinen mickrigen politischen Lebenslauf interessierte. Ich lief rot an und bereute noch in diesem Augenblick, ihr von meiner halbherzigen Gammler- und Provo-Zeit etwas vorgeschwärmt zu haben.

      Es schien aber nichts auszumachen, denn sie machte einen interessiert-höflichen Eindruck und sagte abschließend nur noch, ich würde von ihr hören. Das war vor ziemlich genau einem Jahr gewesen. Aber ich hörte von ihr nichts mehr, kein einziges Wort. Wie ich sehr viel später erfuhr, lag sie zu dieser Zeit bereits schwer im Clinch mit ihrem Mann und seinem redaktionellen Marketingkonzept. Der konkret standen bewegte Zeiten bevor.

      Ende des Monats las ich in der Tageszeitung, dass konkret-Chefredakteur Röhl wegen Lästerung der deutschen Flagge von der Kriminalpolizei vernommen worden war. Anlass war ein Lolly lutschender Nackedei mit erdbeerfarbenem Schmollmund auf einem der konkret-Titel. Die Farbe des Lutschers: Schwarz-Rot-Gold.

      Dazu fiel Frankholz bei unserem atheistischen Abendmahl ein Gedicht seines mittelalterlichen Landsmannes Francois Villon ein, das er mit seinem Französischakzent in fast einwandfreiem Deutsch zum Besten gab.

      „Ich bin so wilde nach deinem Erdbeermund,

       ich schrie mir schon das Lungen wund

       nach deinem weißen … äh …“

      „Leib, du Weib!“, ergänzte Richy.

      Unser französischer Freund („Ah ja“) fuhr fort:

      „Im Klee, da hat der Mai eine Bett gemacht,

       da blühte einem schöner Zeitvertreib

       mit deinem Leib die lange Nacht.

       Da wille ich sein im tiefen Tal

       Deine Nachtgebet und auch dein Sterngemahl.“

      Wir klatschten. Jean-Francois stand auf und verbeugte sich tief. „Ich liebe dieses Dichter.“

      „Was ist das, ein Sterngemahl?“, fragte Rosi.

      Tommi räusperte sich.

      „Ach so“, sagte Rosi. „Du bist so was. Aber erst dann, wenn du mich heiratest.“

      Wir diskutierten über den Sinn von Heirat noch eine ganze Stunde lang und kamen zu dem Ergebnis, dass die Heirat ein typischer Kunstharzkleister aus dem Hause des Kapitalismus ist. Das brauchten wir nicht – vielleicht aber auch nur „noch nicht“, wie Karin unter Verweis auf die chinesische Revolutionspraxis und die Haltung des Großen Vorsitzenden einwendete.

      *

      Anfang Februar 1970 kam es zum bisher größten Ost-West-Geschäft zwischen der BRD und der UdSSR, nämlich zur Lieferung von Erdgas gegen Großröhren. Geboren war die politische Maxime „Wandel durch Handel“.

      „Das kann nicht falsch sein“, meinte Richy.

      „Was kann nicht falsch sein? Dass wir jetzt vom Gas der Russen abhängig werden?“, fragte Karin.

      „Wandel durch Annäherung kann nicht falsch sein“, sagte Richy. „Du schürst Ängste, die sonst nur von Konservativen bedient werden! Aber da sieht man wieder mal die Übereinstimmung zwischen Maoisten und antisowjetischen Reaktionären.“

      „Revisionisten-Geschwafel!“, sagte Karin und wedelte mit der neuesten Ausgabe der Peking Rundschau herum. „Hier steht schwarz auf weiß, was der Große Vorsitzende Mao dazu sagt: Den Marxismus und nicht den Revisionismus praktizieren; sich zusammenschließen und nicht Spaltertätigkeit betreiben; offen und ehrlich sein und sich nicht mit Verschwörungen und Ränken befassen!“

      „Na, dann merk dir das mal, Genossin Karin: Nicht Spaltertätigkeit betreiben!“, sagte Richy und verschwand schmunzelnd in seinem kleinen, anspruchslosen Zimmer, das kein Plakat und nur eine Stechpalme schmückte.

      Ich mischte mich in solche Zoffereien ungern ein; mich belustigte es eher. Irgendwie nahm ich meiner Liebsten sowieso nicht ab, was da an blumig-chine­sischen Worten über ihre wundervollen Lippen purzelte. Für mich war das eine aufgesetzte Show. Sie wollte sich behaupten, wollte sich einen besonderen Stellenwert im Kreis von uns politisierten Männern erkämpfen, wollte sich Achtung durch eine ausgefallene Politposition verschaffen.

      Zeitweise hatte sie sich in Frankfurt für den Weiberrat interessiert. Das waren die weiblichen SDS-Mitglieder; wenn nicht Mitglieder, so waren es doch zumindest SDS-affine Mädels, die den publicitygeilen SDS-Jungs nicht nachstehen wollten. Auch bemängelten sie das noch tief verwurzelte Mackertum im jungen Blut der Jungrevolutionäre. Die Frankfurter Machos im Sozialistischen Deutschen Studentenbund rund um Hans-Jürgen Krahl, Cohn-Bendit, die Brüder Wolff und Günter Amendt dominierten tatsächlich das politische Geschehen und die Presse. Und sie gaben vor, auch im Namen der Frauen zu sprechen, denn eine eigenständige Frauenbewegung existierte noch nicht so recht.

      Aber Karin war total eigensinnig und ließ nur ihren eigenen Weg gelten; alles, was nach deutscher Normalität roch, war ihr suspekt. Dazu gehörten die organisierten Studenten, die gewerkschaftlich engagierten Sozialisten und alle SPDler, DKPler und alle K-Gruppen außer natürlich der maoistischen KPD/ML. Aber auch dort mochte sie sich nicht organisieren, sondern sprach nur unablässig davon, wie wichtig eine revolutionäre Organisation sei. „Die Arbeiterklasse braucht eine revolutionäre Vorhut“, war eine ihrer Standardaussagen.

      „Aber wofür braucht der revolutionäre Mann überhaupt eine Vorhaut?“, fragt Tommi. Wenn Tommi ihr mit solchen Scherzen in die maoistische Parade fuhr, konnte sie lächelnd über seinen Einwand hinweggehen. Bei mir aber konnte sie in solchen Situationen höllisch explodieren. Dem konnte ich nur Einhalt gebieten, indem ich mich entwaffnend auszog und mich ergab. Ab da wurde das explosive Spiel erst interessant und ich spürte, wie sich Karins Verbissenheit im Liebesspiel in kleinen Liebesbissen auflöste.

      *

      Ohjessesmaria, der für seine außerirdischen Liebeleien und Geheimwissenschaften bekannte schweizerische Erfolgsautor Erich von Däniken wurde vom Kantonsgericht in Chur wegen Betrugs und Urkundenfälschung zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. Meine Mutter konnte es nicht glauben, sie liebte zwar vornehmlich die Romane von Johannes Mario Simmel, hatte

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