Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel. Gerhard Gemke

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Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel - Gerhard Gemke

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auf das letzte Verlies zu. Dabei riss sie wütend die Hände aus den Jackentaschen, die sie dort wegen der Kälte tief vergraben hatte. Ein zerknitterter Papierfetzen segelte zu Boden. Jo sah, dass Oskar sich bückte. Deutlich war das KyanTox-Logo darauf zu erkennen. Es war der Brief, den Tusnelda von ihrer Schwester bekommen hatte. Ganz klar.

      Oskar schnaufte: „Frau Baronin, Sie haben …“

      „Herr Sievers!“, kreischte die adelige Fregatte schon fast aus dem Stollen. „Würden Sie die Güte haben, mich zu begleiten? Wo bitte sind die Ergebnisse Ihrer Forschun... iiiiih … eine Ratte!“

      „Ich komm ja schon.“ Ob da Freude über das langschwänzige Nagetier in Oskars Stimme zu hören war? Jo musste unwillkürlich grinsen. Das Letzte, was sie von Oskar sah, war seine Hand, die den Wisch in die Hosentasche stopfte. Dann kroch Oskars Bass hinter dem nervtötenden Kreischen in das Loch.

      Jo atmete auf. Einen Moment lang verharrte sie noch in ihrem Versteck. Als sie sicher sein konnte, dass die beiden die Fußabdruckhöhle hinter sich gelassen hatten, wetzte sie die Treppe hinauf. Vorsichtig öffnete sie die Eichentür. Die Luft war rein.

      Das Fräulein von Oelmütz entwickelte zu Jos Leidwesen in den nächsten Wochen einen Ehrgeiz, der an Verbissenheit grenzte. War es der nahende Abschied aus ihrem Berufsleben, war es Jos baldiger Wechsel an eine öffentliche Schule? Jedenfalls setzte das Fräulein alles daran, Jo in Mathe, Deutsch und Französisch zu Höchstleistungen anzuspornen. Jo schwitzte und stöhnte, doch alle Proteste konnten das Fräulein nicht dazu bewegen, eine langsamere Gangart einzuschlagen. Jo fand kaum noch Zeit, Schach oder Geige zu spielen. Geschweige denn eine neue Gelegenheit, Oskar Sievers nachzuspionieren.

      Hinzu kam, dass sie in diesen Tagen ständig bemüht sein musste, Tusnelda nicht in die Quere zu kommen. Solche Begegnungen, die sich nun mal nicht immer vermeiden ließen, führten regelmäßig zu lautstarken Auseinandersetzungen über Jos angeblich fehlenden Ordnungssinn, oder endeten mit Aufträgen der Sorte: „Bring den Müll runter!“, „Feg den Hof!“, oder „Hol endlich die Post ab!“ Und was Tusnelda noch so aus dem Ärmel schüttelte.

      Überall im Gemäuer konnte man förmlich riechen, dass sich etwas zusammenbraute. Die Baronin war ungenießbar, und ihre schlechte Laune steigerte sich täglich. Jo meinte gar, stündlich. Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis es richtig knallte.

      Ein bunter Hund

      Am Freitag, dem 20. Juni war es dann soweit. Die Burg hallte wider von Tusnelda Gekeife.

      Was dieser Kerl sich einbildet!

      Die restlichen Burgbewohner verkrochen sich in ihre Zimmer. Jeder wusste, dass Oskar Sievers gemeint war.

      „Wenn man solchen Leuten den kleinen Finger reicht!“, zeterte die Baronin. Und dass er sich unterstehen solle, in den Archiven herumzuschnüffeln! Die alten Pläne der Festung einsehen, wolle der Schrat, die, wie jeder wusste, sorgfältig verschlossen in Tusneldas Arbeitszimmer lagerten. Und dann noch – und das war der Gipfel! – diesen Herrn Zuffhausen anschleppen. Vom Breselner Historischen Museum.

      „Nein, nein und nochmals nein!“, schrammte Tusneldas Stimme durch die Gänge, dass Baron Eduard schließlich nach Bresel flüchtete. Jo verdrückte sich in die Küche und sah Emma bei ihren Vorbereitungen für das Mittagessen zu. Bis hierher drang das Gekreische.

      Die treuherzige Emma schüttelte wieder und wieder erschrocken die Locken und murmelte ihr: „Ogottogott! Warum lässt sie bloß den alten Mann nicht an die Bücher?“

      Jo zog den Finger aus der Bratensoße und betrachtete die dicke dunkle Pampe. Genau das war die Frage. Emma hatte völlig Recht. Erst bestellte Tusnelda den wortkargen Heimatforscher auf die Burg und schickte ihn in die Verliese. Um tourismustaugliche Stollen und Höhlen zu finden. Angeblich. Und plötzlich war er unerwünscht. Von Jetzt auf Gleich. Auf einmal war Oskar der Baronin lästig. So sehr, dass sie ihn so schnell wie möglich loswerden wollte. Irgendetwas musste doch zwischen den beiden vorgefallen sein. Jedenfalls mehr, als bloß der Wunsch nach verstaubten Burgplänen.

      Jo dachte an den Zusammenstoß in den Verliesen. Hatte Oskar der Baronin etwas gezeigt, was die so auf hundertachtzig brachte? Hatte Oskar Forderungen gestellt? Geldforderungen? Unvorstellbar. Oder hatte er ihr gedroht?

      Jo schüttelte den Kopf. Mit was sollte ein Oskar Sievers der Herrin auf Knittelstein drohen? Vermutlich war die Erklärung ganz schlicht. Aus Tusneldas Ungeduld und Oskars brummeliger Gemütsruhe hatte sich ein vulkanisches Gemisch zusammengebraut, das jetzt Tusnelda zum Kochen brachte. Man konnte nur abwarten und hoffen, dass ihre Wut sich verbrauchte.

      Tatsächlich kühlte in den folgenden Tagen der Zorn der Baronin wieder ab. Langsam zwar, aber immerhin so weit, dass er das gewohnte Maß erreichte. Fast kehrte sogar so etwas wie eine entspannte Ruhe auf Knittelstein ein. Jo traute ihr keine Sekunde.

      Der Sommer kündigte sich an. Der Breselwald stand in vollem Laub und raschelte vor Fußvolk, das in seinem Schatten Erholung suchte. Bald würden täglich hunderte von Touristen den Burgberg hochkraxeln. Oskar Sievers tauchte in dieser Zeit immer seltener auf. Und wenn, dann konnte man mit Tusneldas Blicken die Südsee vereisen. Auf einmal war auch keine Rede mehr von touristisch erschlossenen Stollen. Die Baronin ging Oskar stets aus dem Weg, und wenn der alte Mann einen Besuch bei ihr anmelden wollte, ließ sie sich verleugnen. Fast hatte Jo den Eindruck, Tusnelda fürchtete sich vor Oskar. Was natürlich Unsinn war, wie sie sich selbst auf der Stelle korrigierte.

      Am Donnerstag, dem 26. Juni fauchte Baronin Tusnelda ihren Gatten mit solcher Liebenswürdigkeit an, dass dieser sich ohne ein Wort in sein Büro zurückzog.

      Dass es den werten Herrn Baron einen feuchten Kehricht anginge, warum sie zum Kloster müsse. Sie brauche halt den Wagen, und der Herr Baron könne ja den Bus nehmen, wenn er so dringend in die Stadt wolle.

      Rumms knallte die Bürotür. Rumms knallte bald darauf ebenso laut die Fahrertür des Knittelsteiner Volvos, und Jo sah die altersschwache Karre den Hof verlassen.

      Wie lang geht das wohl noch gut?, dachte sie. Zwischen den beiden. Und überhaupt.

      Das Kloster Sankt Florian in Bresel war alt. Vermutlich sogar älter als die Burg. Es hatte glanzvolle Zeiten gesehen. Es diente in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges als Soldatenunterkunft und wurde 1832 von Heinrich II. von Kalkstein und Breselberg zur Zweitwohnung ausgebaut. Mit einem großzügig angelegten Schwimmbad im Keller. Ende des 19. Jahrhunderts erlebte das Kloster eine neue Blüte als Stammsitz der Florian-Mönche. Doch jetzt, weitere einhundert Jahre später, war der Niedergang nicht mehr aufzuhalten. Nachwuchssorgen und Geldmangel beschleunigten den Verfall des Ordenslebens, sowie des Gebäudes.

      In diesem Jahr war die Stimmung in Sankt Florian besonders schlecht. Der Schlendrian hielt unaufhaltsam Einzug. Die gerade mal sechs verbliebenen Mönche schafften es kaum noch, einen anständigen Klosterbetrieb auf die Beine zu stellen. Es fehlte an allen Enden und besonders am Geld. Das Dach war löchrig, und niemand kletterte hinauf; der Keller vermoderte, doch Kellermeister Bruder Klumpp stieg bloß noch zum Rauchen hinunter. Eine Gewohnheit, von der er nicht lassen mochte, und die die Mitbrüder nur im Kartoffelkeller duldeten. Mit der Folge übrigens, dass manche Gäste von dem eigentümlich rauchigen Geschmack der Kartoffelgerichte schwärmten, die Bruder Schorff, der Koch, auf den Tisch zauberte. Doch auch die Gäste, deren Schmatzen in früheren Zeiten regelmäßig den Remter des Klosters erfüllt hatte, kamen immer seltener. Eigentlich gar nicht mehr.

      Höchstens zu Ostern und Weihnachten schaute noch Sankt-Urban-Organist

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