Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel. Gerhard Gemke
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Freddies Blick fiel auf den rauchenden Florian-Mönch, der vor dem Kirchenportal stand und sich mit dem alten Fritz unterhielt. Fritz kramte umständlich etwas aus seiner Hosentasche. Was das war, konnte Freddie auf die Entfernung nicht erkennen. Damit fuchtelte der Alte dem Mönch vor der Nase herum. Angewidert wich der Kapuzenmann zurück. Schließlich zog er ein paar Geldscheine aus seiner Kutte. Fritz ergriff sie hastig. Als jenes Ding in Fritzens Hand den Besitzer in umgekehrter Richtung wechselte, blitzte es kurz in der Maisonne auf.
Etwas kleines Rotes, dachte Freddie, hätte das aber nicht beschwören können. Fritz packte die Hände des Mönchs und schüttelte sie überschwänglich. Dann verschwand er im Gewühl. Freddie schaute der Mönchskapuze nach, bis sie in die Altstadtgassen einbog. Richtung Kloster.
Soso, dachte Freddie. Was für Geschäfte macht ein Mönch mit der alten Triefnase Morchel? Und viel später glaubte Freddie sich zu erinnern, dass er in diesem Moment zum ersten Mal ein ungutes Gefühl gehabt hatte. Dass etwas in Bresel nicht stimmte. Als ob das Sonnenlicht eine falsche Färbung bekommen hätte. Vielleicht lag das auch nur daran, dass ihm der alte Fritz (wie den meisten Breselnern) unheimlich war. Oder dass er in der Kirche zu lange Agathe angestarrt und an das Rattengift in ihrem Keller gedacht hatte.
Freddie gab Kunibald einen Nasenstüber und sprang vom Brunnenrand. Wo waren bloß Jan und Lisa abgeblieben? Freddie fand sie an der Wurfbude, und die Sonne hatte wieder ihren alten Glanz.
Punkt 20 Uhr dirigierte Aloisius Schwobenhammer die Schlussfanfare der Schützenkapelle – die zum Glück nicht so spielte, wie Aloisius mit den Armen ruderte – und wünschte seinen lieben Breselnern noch einen stolperfreien Heimweg und eine geruhsame Nacht.
Nur ein Häuflein mehr oder weniger aufrechter Mitglieder des Musikzuges belagerte Bierbudenbesitzer Bruno Brubeck bis weit nach Mitternacht.
Und – wie konnte es auch anders sein – dieses Häuflein erschien am nächsten Morgen auf die allerletzte Sekunde vor zehn zum großen Platzkonzert der Schützenkapelle auf dem Marktplatz. Das war ein Tuten und Blasen, dass es die Vögel an den Stadtrand trieb, und Ritter Kunibald froh war, dass eiserne Ohren nicht platzen konnten.
Nach einer guten Stunde hatte sich ganz Bresel in festlicher Stimmung vor dem Rathaus versammelt. Von dort ging's mit Tschingderassassa und Rummtata die Serpentinen der Breselbergstraße hinauf zur Burg.
Kurz vor zwölf zogen die Breselner über die Knittelsteiner Zugbrücke, wo sie bereits erwartet wurden. Die ganze Festung war prächtig hergerichtet. Hoch auf dem Bergfried und ringsum auf den Wehrtürmen knatterten Fahnen im Wind. Girlanden und Laternen hingen an den Zinnen und schmückten die Torbögen. Aus den Fenstern des Palas begrüßten Fanfarenbläser die staunenden Gäste.
Neben der Treppe zu den Museumsräumen brutzelte Köchin Emma ein goldbraunes Wildschwein am Spieß. Der Duft zog verführerisch über den Hof und ließ den Breselnern das Wasser im Munde zusammenlaufen. Oskar Sievers' Magen knurrte so vernehmlich, dass Elfriede ihm einen vorwurfsvollen Blick zuwarf.
Schauspieler in blitzenden Ritterrüstungen füllten Krüge mit Orangensaft für die Kinder und mit Gerstensaft für die Älteren. Und eine Musikantentruppe, die auf den lieblichen Namen Henkersmahlzeit hörte, gab mittelalterliche schwäbische Tänze zum Besten – die teilweise weder mittelalterlich noch schwäbisch waren, wie Rubens Bogdanovs gespitzte Ohren bemerkten. Allen anderen Ohren war das wurscht.
Links und rechts vom Torhaus standen Baron Eduard und Clemens Zuffhausen und schüttelten die Hände vom Bürgermeister und Sparkassendirektor, vom Hauptkommissar und Kaufhausbesitzer, Eisverkäufer, Bäckermeister, Schneider, Schuster, Metzger und Frisör und allem, was in Bresel Rang und Namen hatte. Der Hof füllte sich rasch mit Stimmengewirr und Kindergeschrei und platzte bald aus allen Nähten.
Mittendrin stand Jo und spuckte gelangweilt in den Burgbrunnen. Sie sah ihren bescheuerten Cousins Kurt und Knut zu. Die Zwillinge versuchten, die Henkersmahlzeit zum Lachen zu bringen. Es war zum Heulen. Gestern bereits waren die beiden Stimmungskanonen hereingeschneit. Mitsamt ihren Eltern. Jo klangen noch Tusneldas Ermahnungen im Ohr: „Dass du aber auch schön mit deinen Cousins spielst!“ Tante Adelgunde hatte dazu überaus freundlich gelächelt, und Onkel Humbert stank daneben wie der Lackladen, für den er arbeitete.
Später, nachdem sich Jo standhaft geweigert hatte, das Burgfräulein am Spinnrad zu geben, hatten die Zwillinge versucht, sich mit Sticheleien über Fräulein von Oelmütz und Jos Privatgeigenlehrer an ihr zu rächen. Als sie einsehen mussten, dass auch das bei Jo nicht verfing, hatten sie mit Tante Elvira angefangen. Ausgerechnet Elvira! Jos Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt.
Wie schlecht die doch Burg Knittelstein renoviert hätte. Nicht das Gebäude, neinnein! Kurt und Knut wackelten mit den Krausköpfen. Das riesige Ölbild, das in Augsburg die halbe Wohnzimmerwand einnahm. Bei den Breselberg-Rummelpotts. Jo erinnerte sich dunkel an den grottenhässlichen Schinken. Vor wallender Wolkenkulisse thronte eine Ritterburg hoch über schroffen Felsen und blickte verächtlich ins Tal auf eine Handvoll geduckter Bauernhäuser. So jedenfalls kam es Jo vor. Und dieses Gepinsel hatte Elvira restauriert? Elvira, die Schwester von Jos Mutter, bei der Jo ihre halbe Kindheit verbracht hatte. Nachdem ihre Mutter gestorben war.
„Warum?“ Sie hatte sich bemüht, nicht allzu interessiert zu klingen.
„Weil Onkel Aarne drauf rumgemalt hat.“ Knut (oder Kurt) fand das offenbar ausgesprochen witzig.
Jo hatte betont gelangweilt aus dem Fenster geblickt. Onkel Aarne, soso. Onkel Aarne kannte sie. Flüchtig. Der Chef der Firma, für die Lackonkel Humbert arbeitete. Ein Finne mit einen unaussprechlichen Nachnamen, der irgendwie auf mäki endete. Humbert hatte Jo mal durch diese Firma geführt, kurz nachdem Eduard und Tusnelda geheiratet hatten. KyanTox oder so. In Schrobendorf. Das wenige, woran sich Jo noch erinnerte, waren gewaltige Türme aus Fässern. In jeder Halle stapelten sie sich zu Hunderten. Eine ganze Firma voller Fässer, die wie Onkel Humbert rochen.
„Und was hat er darauf gemalt?“
„Fässer“, hatte Kurt (oder Knut, wer wusste das schon) gekräht. „Und deine Tante hat das nicht wieder weggekriegt. Sieht man immer noch. So was von Schlamperei!“
Daraufhin hatte Jo das nette Doppel einfach stehen gelassen und sich in die Bibliothek verzogen. Hinter einem der schweren Brokatvorhänge hatte sie sich auf das Fenstersims gekauert und hinausgestarrt. Vielleicht auch ein bisschen geweint. Und an Tante Elvira gedacht.
„Pssst!“ Jo blickte erschrocken auf. Ein neuerliches „Pssst!“ ihrer Lieblingscousins riss sie zurück in den Burgfesttrubel. Mit ungemein listigen Gesichtern hatten sich die beiden an die Fersen von zwei festlich geschmückten Damen geheftet und wichen ihnen auf Schritt und Tritt nicht von den Hacken. Die beiden Damen hießen Elfriede Sievers und Agathe Müller-Pfuhr und nahmen keinerlei Notiz von dem Theater hinter ihrem Rücken. Sie nämlich hatten nur Blicke für den einen: den werten Herrn Baron Eduard.
Armer Papa, dachte Jo und sah sich auf dem überfüllten Burghof um. Und fing einen Blick von dem blonden Mädchen auf, das am Wildschweingrill stand und vielleicht schon länger zu ihr herüberschaute. Wie ein heißer Strahl traf sie dieser Blick und brannte hinunter bis in die Kehle. Und eine unerklärliche Welle der Panik durchlief sie. Wie lange war das her? Dass sie jemanden kennengelernt hatte. Jemanden Fremdes.
Plötzlich