Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel. Gerhard Gemke
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die hohle Schlange, das Labyrinth und die schrecklichen Mönche von Bresel - Gerhard Gemke страница 6
Das Haus wackelte und der Schornstein wankte bedrohlich. Die Tür öffnete sich sperrangelweit, zwei Blondschöpfe mit zwei Handbreit Höhenunterschied stürmten heraus und liefen Radolf in die Arme.
„Also könnt ihr denn nicht ein einziges Mal …“
„Tschüss, Onkel Radolf!“
„Schüssonkeladoff!“
„… leise die Treppe runtergehen?“ Weg waren sie. Radolf Müller-Pfuhr schüttelte den Kopf. Als er noch ein Kind war, da – da versagte auch schon seine Erinnerung.
Radolf betrat die Müller-Pfuhrsche Wohnung. „Hallo Schatz! Du wirst es nicht glauben, was Aloisius zu mir gesagt hat!“
„Nein.“
„Er hat gesagt …“
„Hast du an die Eier gedacht?“
„Oh! … aber Aloisius hat …“
„Da brauchst du erst gar nicht deine dreckigen Schuhe am Teppich abwischen. Zehn Eier!“
„Ja, gleich. Aloisi …“
„Jetzt!“
„… Aloi …“
Es gibt Blicke, die können Gehirnmasse verdampfen lassen. Radolf schluckte mühsam und tat, was er immer tat, wenn er sich gegen Agathes Gewitterstimmung nicht zu helfen wusste.
„Also … ich geh ja schon.“
Als Radolf die Wohnungstür von außen geschlossen hatte, schnaufte Agathe noch einmal entrüstet. Dann ging sie in die Küche. Holte ein kleines Fläschchen aus dem Kühlschrank, in dem eine rubinrote Flüssigkeit schwappte. Prüfend hielt sie es gegen das milchige Licht der Aprilsonne, das zum Fenster hereinsickerte, und kicherte leise. Dann schnitt sie ein Stück Schwarzbrot in Würfel, träufelte den roten Saft auf die Bröckchen – nur einen, höchstens zwei Tropfen – und stieg damit hinunter in den Keller.
Zu den Ratten.
Denn Agathe wusste sich zu helfen.
Dienstag, 15. April.
Baronin Tusnelda von Knittelstein-Breselberg stand an einem Fenster der Burg, die Lippen zu einem Strich gepresst. Gestern Morgen hatte der Bürgermeister angerufen. Dieser Schwobenhammer. Wegen der Tausend-Jahr-Feier von Bresel und der Burg. Ob man nicht ein gemeinsames Fest am ersten Wochenende im Wonnemonat Mai und so weiter blablabla. Er hätte schon mit diesem Herrn Zuffhausen vom Historischen Museum gesprochen. Der könne doch die Feier auf dem Burghof organisieren. Der kenne doch ihren Gatten gut, hatte Schwobenhammer gesagt. Die Stadt würde sich selbstverständlich an den Kosten beteiligen. Großzügig.
Mit ärgerlichen Schritten ging Tusnelda die Ahnengalerie entlang. Vor Kunibald blieb sie stehen. „Nur weil du vor tausend Jahren diesen Laden gebaut hast, kommt jetzt das ganze Pack hier rauf. Und will feiern!“
Sie stapfte weiter am dicken Meinhardt und dem verschwundenen Ademar vorbei. Mit halb geschlossenen Lidern giftete sie Arnulf von Breselberg-Zoffhausen an: „Und weil du ein Ururur-Ahn von diesem Zuffhausen bist – was noch niemand bewiesen hat! – tut der jetzt wichtig. Will sich um das Burgmuseum kümmern. Und was sonst noch alles. Und weil er meinen Gatten so gut kennt. Ha!“
Noch ein paar Schritte weiter, hinter dem sanften Adalbert, hing Aimo Rochefort de Bresèl. „Und du bist der Allerklügste gewesen. Eine Rutsche bauen! Vom Burgturm zum Rathaus!“ Tusnelda verbog verächtlich die Gesichtszüge. „Dazu ist es zum Glück nie gekommen. Hast stattdessen den Berg durchlöchert wie einen Käse. Deine einzige gute Tat!“
Tusnelda schnaubte. Dieser Löcherkäse war nichts weniger, als das legendäre Knittelsteiner Labyrinth. Jahr für Jahr flatterten unzählige Forschungsgesuche in den Burgbriefkasten und direkt weiter in Tusneldas Papierkorb. Bis vor drei Wochen. Wie aus heiterem Himmel hatte die Baronin dem hartnäckigsten Bittsteller nachgegeben. Diesem Oskar Sievers. Und hatte ihm erlaubt, in die Stollen unter Knittelstein einzusteigen. Warum? Tusnelda hatte ihre Gründe! Die gingen niemandem sonst etwas an.
Nur schade, dass Oskar nicht ihre Erwartungen erfüllte. Nein, ganz und gar nicht. Tusnelda schritt langsam weiter. Längst hatte sie ihr Nachgeben bereut. Wie man es auch drehte, Oskar war sogar ein Problem geworden. Ein Problem, dass sie lösen musste, früher oder später. Ihr Blick blieb an den Händen Heinrich II. hängen. An dem Ring, den er trug. An der doppelten Zungenspitze.
Ein freudloses Lachen hallte die Galerie entlang und klatschte gegen eine kahle Stelle an der Wand. Von dort würde einmal ihr Bild neben dem ihrer Schwester Adelgunde auf die Nachwelt herabblicken. Adelgunde von Breselberg-Rummelpott, die mit einem Lackvertreter und ihren zwei Blagen in Augsburg wohnte. In einer kleinen schmucken Villa. Und sich nicht mit neugierigen Touristen und feiernden Breselnern herumschlagen musste. Und einem Problem namens Oskar.
Tusnelda grunzte und verschwand.
Oskar
„Der schräge Oskar“, sagte Freddie. Er hatte das Fernglas auf die Friedhofsmauer gerichtet. Von dort stapfte ein Mann auf den Saum des Breselwaldes zu.
„Gib mal her.“ Jan kletterte einen Ast höher und nahm Freddie das Glas aus der Hand.
Im Geäst ihrer Lieblingseiche reckten sich gerade die ersten grünen Spitzen aus den Knospen. Es würde noch ein paar Wochen dauern, bis die freie Sicht auf die Fischteiche zugewachsen war.
Jan hielt das Fernglas vor die Augen. „Letzte Woche hätte ich Oskar fast zum Witwer gemacht.“
„Ja klar.“ Freddie war nicht sonderlich beeindruckt.
Jan breitete die Arme aus und begann mit dramatischer Stimme: Wie er um Haaresbreite in den stadtbekannten Kamelhaarmantel gerauscht wäre, und nur ein kühner Sprung in allerletzter Sekunde Oma Sievers vor der Pulverisierung gerettet hätte. Triumphierend blickte er durch die Zweige des Breselwaldes hinunter zum Friedhof, als erwartete er von dort donnernden Beifall. Freddie rollte die Augen, aber Jan war nicht zu bremsen.
„Und auch ich lebe noch!“, verjagte er mit schriller Stimme die Vögel aus den umliegenden Bäumen. „Denn so höre! Agathe die Schreckliche versucht, mich und meine gesamte Familie auszurotten!“ Und düster fügte er hinzu: „Mit Gift!“
Freddie lehnte den Kopf an den Eichenstamm und hielt sich die Ohren zu. Wie aus weiter Ferne vernahm er, dass es den Fesenfeld-Kindern unter Androhung strenger Strafen verboten war, den Keller zu betreten. Agathe die Schreckliche hatte dort Köder mit Rattengift ausgelegt, was bekanntlich auch für Menschen keine bekömmliche Kost war. Jan dichtete ihr eine Warze auf die Nase und spielte mit krummen Gichtfingern, wie Agathe Nacht für Nacht in die Unterwelt des Hauses Nummer 153 stieg und den röchelnden Ratten die Hälse …
„Aufhören!“ Freddie kniff ihm ins Bein. „Halt endlich den Schnabel!“ Und leiser fügte