Der wandernde Aramäer. Karsten Decker

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Der wandernde Aramäer - Karsten Decker

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Armee standhalten. Und so rutschte es aus Abrams Mund, als sie eintraten: »Hier sind wir sicher!«

      Doch Terach schüttelte den Kopf: »Mauern und Riegel, Waffen und Gewalt geben dir nie wirkliche Sicherheit, allenfalls eine Illusion von Sicherheit. Nichts ist für die Ewigkeit gebaut. Reichtum kommt und vergeht, Reiche entstehen und fallen, Häuser werden gebaut und brechen ein. Wenn du Sicherheit suchst, dann vertraue nicht auf das von Menschen Geschaffene noch auf Menschen, sondern auf den, der alles in Händen hält.«

      »Ist das dieser Gott des Himmels und der Erde?« fragte Abram, »und welcher ist das? Gibt es nicht viele Götter. Meinst du Maduk und seine 49 Dämonen? Meinst du vielleicht Sin den Mondgott, Schamasch, den Sonnengott, Ischtar Anunitu den Venus Gott oder die Schöpfungsmutter? Wir haben darüber im Unterricht gehört. Sie ist wie ein böser Drache, der Dämonen ausspeit, um uns im Chaos zu versenken. Wie soll ich da Sicherheit finden?«

      »Du bist so klug für dein Alter, Abram. Nein, von diesen Göttern erwarte keine Hilfe. Ich weiß es nicht genau, aber umso mehr ich darüber nachdenke, kann es mit den Göttern nicht wie mit den Menschen sein. Nein, nur ein Gott, der wirklich unangefochten ist, kann ein Gott heißen. Dann kann es aber nur einen Gott geben, da alle anderen Götter doch irgendwie seine Macht begrenzen würden, oder etwa nicht? Und solch ein Gott ist dann sicher nicht abhängig von Menschen, die sein Abbild schaffen, die Tempel errichten und mit Opfergaben versuchen, ihn zu bestechen. Das Leben ist kein großer Basar, Gott ist kein Krämer, der seinen Preis hat. Wenn du älter wirst, wirst du verstehen, was ich meine.«

      Sie waren eingetreten, und einer der Knechte hatte ihnen eine Schüssel Wasser gebracht, in der sie nun die von den Sandalen befreiten Füße wuschen, um den trockenen Staub der Straße loszuwerden. Unter einem luftigen Baldachin war ein Lager gerichtet, und frisches Obst, Feigen, Äpfel, Datteln und Trauben lagen auf großen, aus Silber getriebenen und reichlich verzierten Tabletts. Abrams älteren Brüder Nahor und Haran lagen schon auf den Kissen und sprangen auf ihre Füße, als der Vater kam.

      »Ach, bleibt doch sitzen!« sagte Terach, doch gleichzeitig verriet sein Gesicht, dass er stolz auf die gute Erziehung seiner Söhne war. Milka, Nahors Frau, brachte einen Krug mit erfrischendem, kaltem Tee und einige Becher. Lot, gerade sechs chaldäische Jahre alt geworden, folgte ihr. Er war Harans Sohn. Seine Mutter war, wie das leider viel zu häufig war, bei der Geburt gestorben. Er freute sich, Abram zu sehen.

      »Abram, komm spielen!« rief er, und Abram sprang auf und die beiden waren verschwunden. Terach ließ sich nieder und während sie sich erfrischten, erzählte er seinen erwachsenen Söhnen vom Nachmittag. Und nun konnte er die Sorge äußern, die er vor Abram zu verbergen versucht hatte. Ja, es konnte schwierig werden heute Abend. Der Sklaventreiber war so voller Gift und Galle gewesen, nein, er würde die Sache sicher vorbringen, und die Gesetze Hammurabis bezüglich der Sklaven konnten tatsächlich ein Problem darstellen. Es würde wohl viel davon abhängen, wer gerade heute im Tor den Vorsitz haben würde, und ob Haran, der Tuchhändler, sein alter Freund und Nahors Schwiegervater, da war. Milka schickte sofort eine kleine Botschaft mit ihrer Magd zu ihres Vaters Haus. Terach würde im Rat alle Unterstützung brauchen. Seit einiger Zeit gab es Unruhen in der Stadt. Seit die Söldner vom letzten Feldzug zurückgekommen waren, hatte es Unzufriedenheit gegeben. Nach den Gesetzen des Hammurabis waren ihre Felder und die Geschäfte der Soldaten, so keine männlichen Verwandten da waren, von anderen verwaltet worden. Nach drei Jahren hätten die Eigentümer alles verloren, und manch ein eingesetzter Verwalter sah sich schon als neuer Besitzer, doch dann kamen die meisten nach über zwei Jahren zurück und die Übergaben waren nicht so reibungslos verlaufen, wie sich Hammurabi das wohl gemäß seinem Gesetz vorgestellt hatte. Das lag auch daran, dass in Ur noch viele der alten Familien die alte Jahreszählung bevorzugten, wonach das, was die Assyrer in Babylon ein Jahr nannten, zwei Jahre, ein sakrales und ein säkulares Jahr bildeten, jeweils sechs Monate lang und mit den Tag-Nacht-Gleichen als Neujahrsfesten. Die nach Ur rückkehrenden Soldaten gingen aber ganz selbstverständlich von assyrischen Jahren mit 12 Monaten aus, was ja auch dem Gesetz viel näherkam, da es ein babylonisches Gesetz, also assyrisch war. Sie bestanden darauf, dass sie somit lediglich 2 Jahre fort gewesen waren, während einige gewiefte Verwalter einfach chaldäische Jahre angesetzt hatten und mithin nach 3 Neujahrsfesten die verwalteten Grundstücke in Besitz genommen hatten. Es gab viele Gerichtsverfahren damals und in der Regel bekamen die Soldaten ihren Besitz zurück, aber erst nach Schwierigkeiten und manchmal in desolatem Zustand. Am Ende fühlten sich viele vom Gesetz betrogen, und darum wurde nun bei jeder Kleinigkeit genau darauf geachtet, dass Stand und Ansehen nicht das Recht beugten.

      »Bereust du, dass du eingegriffen hast?« fragte Haran seinen Vater. Er hatte seinen Namen nach eben jenem besten Freund Terachs, dem Tuchhändler, bekommen, eine Ehre, die ihm jener wohl gerne erwidert hätte, hätte er neben seinen beiden Töchtern auch einen Sohn gehabt. Nahor hatte seinen Namen vom Großvater väterlicherseits, und Abram vom Großvater mütterlicherseits. Allein, seine Mutter war schon vor Jahren gestorben.

      »Bereuen? Nein! Mitunter muss man seinem Gewissen gehorchen, auch wenn es klüger wäre zu schweigen. Es gibt genug Menschen, die andere im Unrecht gewähren lassen, weil sie Angst vor der eigenen Courage haben. Mitläufer, die das Unrecht vorantreiben, weil sie das Gesetz nur nach dem Buchstaben kennen, nicht aber nach dem Sinn. Und ich werde mich verteidigen, denn es war legitim. Natürlich, der Sklave gilt als Besitz, aber der Mensch, der in jenem Sklaven gefangen ist, ist ein Mensch. Und dieser Mensch ist geschützt, nicht nur durch das Gesetz des Hammurabi, sondern durch seine Geschöpflichkeit. Legal und legitim, illegal und illegitim, das sind zwei Welten. Wir müssen uns dem Gesetz beugen, aber gleichzeitig gerade stehen vor unserem Gewissen, und wenn diese zwei Haltungen, gebeugt werden und geradestehen, in Konflikt geraten, dann werde ich stets versuchen, den schweren, den geraden Weg zu wählen. Und, wenn erzwungen, auch die Konsequenzen meines Handelns tragen. Denn das macht den Unterschied zwischen einem freien Menschen und jenem aus, der in Angst sich windet wie ein Schakal, der anderen nach dem Munde redet, und hinter dem Rücken den Dolch doch schon hält.« Terach hatte sich in Rage geredet. Ja, dies war das beste Training für die Verhandlung am Abend. Wenn nur der Tuchhändler die Mitteilung rechtzeitig bekam. Er war ein gewandter Redner, und würde ohne Frage in jedem Fall einen Weg finden, der für alle Beteiligten erträglich wäre, nur ob jener Ischkatar sich besänftigen ließ? Er war so aufgebracht, verdrehte die Worte im Munde.

      Der Abend kam rasch herbei. Erfrischt von Obst und Tee machte Terach sich auf den Weg, diesmal begleitet von seinen drei Söhnen und einem Dutzend von Knechten, dazu einige Mägde und jugendliche Knechte, die als Nachrichtenläufer mitkamen. Das gewaltige, mit glasierten Ziegeln wie ein Mosaik ausgestaltete Tor, bot den ganzen Tag kühlen Schatten und vom Strom kam des Abends ein milder Windhauch, der durch das Tor strich. Kein Wunder, dass dieser Ort seit alters her der Gerichtshof war. Am Anfang, als vor vielen Jahrhunderten die Stadt gegründet wurde - und die mächtigen, befestigten Städte in Mesopotamien war die ältesten in der Welt westlich des fernen Chinas -, traf man sich ganz natürlich hier und Streitigkeiten wurden im Tor geregelt. Damals gab es kein geschriebenes Gesetz, aber ein gesundes Rechtsempfinden und Gebräuche, nach denen man sich richtete. Nun hatte vor ein paar Jahren Hammurabi über 3000 Gesetze verfasst und auf Tontafeln aufschreiben lassen, zum Teil aus Präzedenzfällen entwickelt, zum Teil rein hypothetisch für den Fall der Fälle entwickelt. In allen Städten des erstarkenden Reiches gab es Kopien der Tafeln, und so wurden sie nun zur Grundlage der Entscheidungen, obgleich sie nie offiziell als wirkliches Gesetz in Kraft getreten waren. Es war einfach so überzeugend und entsprach der Sehnsucht nach mehr Sicherheit, auch Sicherheit vor den Herrschenden und Reichen. Nun gab es gewählte Bürgerrichter, Älteste, angesehene Bürger, die sich gegen 5 Uhr nachmittags bis Sonnenuntergang im Tor trafen, um Streit zu schlichten und Recht zu sprechen. Es gab annähernd 300 solcher Bürgerrichter in Ur allein, und der Zufall, oder auch die vielen Botenläufer, bestimmte, wer an jenem Abend gerade Lust verspürte, ins Tor zu gehen. Mal traf man nur wenige Richter an, mal versuchten 20 oder 30 von ihnen, gemeinsam Recht zu sprechen. Jeder in der Stadt versuchte, zu wenigstens einem dieser Bürgerrichter eine freundschaftliche Beziehung zu unterhalten, denn man konnte ja nie wissen, wann man ihn brauchen

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