Der wandernde Aramäer. Karsten Decker
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Terach selber war auch einer jener Richter, doch verbot es sich natürlich, über einen eigenen Fall zu Gericht zu sitzen. Terach war zudem unbestechlich, was ihn bei manchen beliebt, bei anderen umso verhasster sein ließ.
Der Streit des Nachmittags war rasch zum Stadtgespräch geworden, dafür hatte Ischkatar schon selber gesorgt. Nun strömten die Menschen zum Tor. Dieser Prozess versprach gute Unterhaltung, wenn es gelang, einen Platz in den vorderen Reihen zu bekommen. Zudem strömten nun hunderte Feldarbeiter von den Äckern zurück in die Stadt. Eselskarren, Ochsen, Schafe und Ziegen und Händler waren auf dem Weg in die Stadt, und wohl ebenso viele Bewohner der kleineren Orte im Umland waren auf ihrem Weg heim. Obwohl das Tor breit genug für drei Wagen und fast 60 Ellen hoch war, entstand bald eine beklemmende Enge durch die Schaulustigen. Als die beiden Parteien eintrafen, Ischkatar hatte ebenfalls Freunde und Verwandte mitgebracht, erhob sich eine Unruhe. Die Richter, 14 waren nun erschienen, saßen etwas erhöht auf den steinernen Richterbänken entlang der Innenwände des Tors. Da sich abzeichnete, dass eine größere Verhandlung anstand, wurde nun der Verkehr von der Tempelpolizei endlich zum nächsten Nebentor umgeleitet. Dadurch wurde es zusehends leiser, und schließlich ergriff einer der Richter das Wort, womit er heute zum vorsitzenden Richter wurde.
»Gibt es einen Kläger in der Stadt Ur, ist hier ein freier Mann aus Chaldäa der Schlichtung sucht im Streit? So nenne er seinen Namen, bringe er die Sache vor, und nenne er die Beschuldigung!«
Ischkatar streckte seine Hand in die Luft und rief, mit sich leicht überschlagender Stimme: »Ich, Ischkatar, freier Mann, Handwerker und Händler nach den Registern der Stadt Ur, erhebe Klage gegen jenen, Terach Ben Nahor, der mich gewaltsam gehalten hat in der Stadt, der mich fluchend ›gottlos‹ schalte, der versucht hat, meinen Sklaven, mein Eigentum, von mir zu reißen, sicherlich verdient er, gebunden ins Wasser geworfen zu werden, und all sein Besitz soll mir gehören, seine Familie und Gesinde sollen mir als Sklaven gebracht werden, und sein Haus niedergerissen werden, wie es geschrieben steht in den Gesetzen des Hammurabi. So habe ich gesprochen, Ischkatar, Freier Bürger der Stadt Ur.«
Ein zweiter Richter griff nun ein: »Bist du gewahr, dass dies eine Anklage wegen eines Kapitalverbrechens ist, wenn du sie so darstellst; und ist dir klar, dass du des Todes bist, sollte dieses Gericht befinden, dass deine Klage keinen Grund hat, nach eben jenen Gesetzen des Hammurabi, die du zitierst?« Die Menge lachte auf. Und Ischkatar Gesicht verzog sich. Daran hatte er in seinem Zorn nicht gedacht. Und ihm war klar, dass seine Anklage so kaum durchkam, zu viele Zeugen und womöglich Richter unter ihnen, hatten ja den Streit mitangesehen. Er wandte sich zu einem großen Mann zu seiner Linken. Die beiden tuschelten, und tauschten anscheinend juristische Ratschläge aus, und nach etwa 2 Minuten, erhob Ischkatar wieder das Wort: »Nun, da Terach ein hoch angesehener Mann ist und viel zu verlieren hat, wie ich gerade angedeutet habe, so will ich ihm die Hand reichen und barmherzig sein, und ihn nur verklagen auf Schadenersatz. Hat er mich doch daran gehindert, meinen Besitz, einen jungen Sklaven, zu formen und zu lehren, wie man Geschäfte führt. Ihr müsst verstehen, er ist nicht sehr tüchtig, mein Prentaj. Ein Nichtsnutz aus Kleinasien. Ich habe ihn damals vom Feldzug mitgebracht, was Besseres konnte ich damals nicht finden. Ist es einem ehrlichen Mann verboten, seine Sklaven zu lehren und zu unterrichten? Nein, und somit hat Terach mir Schaden zugefügt. Soll er mir doch Ersatz geben. Was ist schon ein Schekel Silber zwischen ihm und mir? Er ist ein reicher Mann, und soll es auch dank meiner Barmherzigkeit bleiben, in der ich meine Klage zurückziehe.«
Wieder erhob sich ein Gelächter. Und der Vorsitzende Richter klopfte mit seinem Stab auf den Boden, um Ruhe erreichen.
»Kannst du dich entscheiden, Ischkatar, was du willst? Wir haben hier ein Dutzend Namen in der Zeugenliste, die in der Menge herumging. Ist es das, was dich angst sein lässt? So sei beruhigt, wenn du im Recht bist, hast du nichts zu fürchten. Dieses Gericht kennt keine Person. Doch bevor wir Terach hören, müssen wir genau wissen, worin du Recht suchst. Denn entweder dein Fall ist dir klar, und dann kannst du immer noch Barmherzigkeit zeigen, oder aber dein Fall ist nur ein Hauch der Wahrheit und ein Sturm der Lüge, dann kannst du nicht das Wort führen als Barmherziger, sondern allein um Gnade winseln, denn dann ist es an Terach dich zu verklagen für deine üble Nachrede und falsche Anklage. Denn wenn er deine Klage annimmt und sich verteidigt, dann ist es an dir die Schuld zu beweisen, nicht an ihm, die Unschuld zu zeigen.«
Ischkatar tuschelte erneut, wieder mit dem Großen, und dazu mit einem anderen, und schließlich sprach er: »Vielleicht habe ich den ehrbaren Terach ja nur falsch verstanden, Kann er vielleicht seine Worte wiederholen?«
Nun brach ein Sturm von Gelächter aus, der kaum mehr zur Ruhe kam, einer wandte sich zum andern, wiederholte, ergänzte, lachte und juckste. In all dem erhob sich der Tuchhändler, ja, er war gekommen, und als er endlich Gehör hatte, sprach er mit gewaltiger Stimme: »verehrte Mitrichter, gute Bürger der Stadt Ur, Ischkatar und Terach hört mich an. Mir scheint, dies gerät zur Posse. Ein Kläger der selber nicht weiß, warum er Klage führt? Du verschwendest die Zeit des Gerichtes mit deinem Geplapper. Du warst erregt und erzürnt über einen Sklaven, der nicht viel taugt, ist das wahr?«
»Ja, ja, so ist es, erzürnt« antwortete Ischkatar, der endlich eine Hoffnung sah, ungeschoren aus der Sache herauszukommen, und »ungeschoren« hat hier seine Bewandtnis, denn er begriff, dass er in Gefahr stand, selber nun in Sklaverei zu geraten, so dass man ihm die Haare würde scheren lassen als Zeichen, dass er seine Freiheit eingebüßt hatte.
»Und du, Terach, hast du vielleicht dein Herz wieder weich sein lassen? Wir wissen, wie du denkst. Du bist bekannt. Du bist gottesfürchtig, und von großer Barmherzigkeit bist du, um deine Mitbürger besorgt, und um ihr Eigentum. Kann es sein, dass du fälschlich und fahrlässig nicht begriffen hast, dass jener versuchte den Wert seines Sklaven durch Erziehung zu erhöhen, und hast daher versucht, jenem nur zu helfen, sein Eigentum vor Zerstörung zu schützen? So dass du nicht, wie jener meint, versucht hast, dem Sklaven zu helfen, sondern ihm selber zu helfen, dass er keinen Verlust erleide, wenn er in seinem Zorn den Sklaven eben nicht im Wert erhöht, sondern seinen Wert gänzlich zerstört?«
Terach musste schmunzeln, er erkannte, wie sein Freund ihm und jenem eine Brücke baute. Nur einige der Umstehenden, schienen dem Gedanken folgen zu können. Und ein Raunen ging durch die Menge, als Terach antwortet: »Ich hätte es besser nicht sagen können, hoher Herr.«
»So lasst uns denn schlichten und nicht richten. Keiner soll in Gefahr stehen, zu verlieren, sondern beide sollen gewinnen. Da jener, Ischkatar, den Sklaven für wenig wertachtet, aber dieser, Terach, durch sein Eingreifen den Wert des Sklaven erhalten hat, so soll jener, Ischkatar, so es ihm genehm ist, den Sklaven zum Preis von 10 Silberstücken jenem geben. Ist es ihm nicht genehm, so soll dieser, Terach, 5 Silberstücke von jenem, Ischkatar, erhalten für seinen Versuch, sein Eigentum vor Zerstörung zu schützen. Können mir die übrigen Richter in diesem Schlichtungsspruch zustimmen, so bitte ich den vorsitzenden Richter dies zu verkündigen.«
»Aber, das heißt ja, dass ich verliere, egal was ich wähle, denn der Sklave ist noch jung und wird sicher kräftig sein als Mann, und dann wird er ein Vielfaches wert sein. Ist das denn gerecht?« warf Ischkatar ein. »Was, wenn ich diesen Schlichterspruch nicht akzeptiere? Gibt es denn keinen unter den hoch angesehenen Herren Richtern, der einen besseren Spruch zustande bringt?«
»Es ist nicht deine Zeit zu sprechen. Du hast gesprochen, viel zu viel hast du geredet, Ischkatar, erst bringst du die schlimmsten aller Klagen vor, dann nimmst du zurück, du hast eine Deutung des Vorfalls vor allen hier anwesenden akzeptiert, nun nimm die Schlichtung hin. Allein eines wollen wir dir gönnen, du sollst entscheiden, ob Terach den Sklaven übernimmt und dir 10 Silberstücke gibt, oder ob er von dir jene 5 Silberstücke bekommt. Dazu darfst du jetzt sprechen.« war ihm der vorsitzende Richter ins Wort gefallen.
Und so blieb ihm nur, kleinlaut beizugeben, seinen Zorn nicht verhehlend: »soll er ihn haben. Ich werde mir einen neuen