Der wandernde Aramäer. Karsten Decker
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»Großvater, Großvater, was ist mit Papa?« und dann brach er in Terachs Armen in lautes Weinen aus. Terach streichelte seinen Kopf und Rücken und drückte ihn immer wieder an sich heran.
»Hab keine Angst, Lot, ich bin ja da. Dein Papa war ein großer Mann. Und er hat dich so liebgehabt. Weißt du noch, wie er dir deinen ersten Flitzebogen geschenkt hat? Das war doch gar nicht so lange her, und er hat dir gezeigt, wie man damit schießt. Und er hat dir gesagt, wie gefährlich der Bogen ist. Nun siehst du es selber. Und die Tiere, die er dir geschnitzt hat, damit kannst du spielen und an ihn dabei denken. Du bist ein großer Junge. Ich weiß, du kannst stark sein. Und ich bin ja da, ich bin ja da.«
Wieder begann Lot zu weinen, und Terach weinte mit ihm für eine Weile, dann sagte er: »Komm, lass uns etwas essen, damit wir stark sind für diesen Tag!« Terach erhob sich langsam und trug Lot zu den anderen. Terach nahm einen Fladen Brot und riss ihn in der Mitte entzwei.
»Nimm und iss« sagte er, und Lot begann zu knabbern. Dann trank er einen Becher frische Ziegenmilch und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Abram«, rief Lot plötzlich, »was hast du da?« und er huschte rüber zu seinem Onkel, der mehr wie ein großer Bruder und Freund für ihn war, und schaute ganz verdutzt auf Sarai.
»Hast du den gefunden?« fragte er.
»Das ist ein Mädchen, Sarai,« sagte Abram, »und ja, wir haben sie gefunden. Sie lag vor dem Tor. In der Nacht haben wir sie gefunden. Guck mal, sie ist noch ganz klein und winzig. Kaum eine Elle lang, und sieh mal, die kleinen Finger!«
»Darf ich sie mal halten?« fragte Lot und hatte sie schon halb aus Abrams Armen gezerrt.
»Vorsichtig«, sagte Abram, »ganz vorsichtig. Sieh, du musst eine Hand unter das Köpfchen legen, so, und nun lass sie nicht fallen. Siehst du ihre hübschen Augen? Sie heißt Sarai. Sie ist jetzt meine kleine Schwester. Mein Vater hat sie adoptoviert oder so. Sie ist jetzt meine Schwester.«
»Ich glaube, sie hat mich lieb? Kann sie auch meine kleine Schwester sein, Großvater? Bitte!« sagte Lot. Und dann wandte er sich auch schon wieder zu Abram: »Guck mal, sie hält meinen Zeigefinger ganz fest. Sie will ihn in ihren Mund stecken. Vielleicht ist sie hungrig. Gib mir schnell etwas Brot, dann kann ich sie füttern!«
»Nein, nein«, sagte Abram, »kein Brot. Guck, sie hat noch gar keine Zähne. Das geht doch nicht. Wenn sie Hunger hat, müssen wir Telna rufen. Die hat auch gerade ein Kind bekommen, die kleine Hagar, und Telna kann ihr Milch geben.«
»Du bist ein guter, großer Bruder«, sagte Terach zu Abram, »du kümmerst dich um sie ganz prima. Und Lot, du sollst auch ihr Bruder sein. Jetzt haben wir eine richtig große Kinderschar im Haus. Das wird sicher lustig: Ihr beide, Lot und Abram, dazu Sarai, Hagar, und der neue Knecht Prentaj.«
»Meschek« verbesserte Abram ihn. »Sein Name ist eigentlich Meschek. Wir sollten ihn bei seinem richtigen Namen nennen, dann müssen wir nicht mehr an diesen Ischkatar denken. Ich, ich…«
Nun war Abram der, der zu heulen anfing. Als Nahor ihn stoppen wollte, sprach Terach: »Lass ihn nur, Nahor. Die Gefühle müssen doch irgendwie rauskommen. Das war ein schwerer Schlag für uns alle.«
»Ich werde nie wieder Wein trinken und feiern. Wenn wir nüchtern gewesen wären, hätte dieser Schakal sich nie hier einschleichen können. Wir hätten die normale Wache gehabt, ich hätte selber aufpassen müssen. Ich habe den ganzen Abend in diese Richtung geschaut. Vielleicht hätte ich ihn gesehen, diesen Hund, wenn ich nüchtern gewesen wäre. Ich werde mir das nie verzeihen.«
»Beruhige Dich, Nahor. Du hast nichts Falsches getan. Es ist nicht deine Schuld. Und unsere kleine Feier hat auch nichts damit zu tun. Ischkatar war krank, krank von seiner eigenen Galle und seinem Zorn. Und das hat Unglück nicht nur über uns gebracht, sondern noch viel mehr über sein ganzes Haus. Hast du seine Familie gesehen. Sie sterben fast vor Angst. O, ich würde gerne Rache an ihnen allen nehmen, aber lass uns milde mit ihnen sein. Ich habe die ganze Nacht hin und her überlegt. Sie sind Opfer wie wir. Alles nur wegen dieses dummen Ischkatars. Hätte ich denn ahnen können, dass er so irrsinnig ist? Er hat 10 Silberlinge bekommen. Das war ein fairer Preis. Es ist doch nicht so, dass ich noch einen Sklaven gebraucht hätte, aber es war ein fairer Preis. Und wenn er so scharf darauf war, Meschek zu behalten oder zu töten, er hätte mir ja auch die 5 Silberlinge anbieten können. Glaube mir, ich hätte sie ohnehin nicht von ihm genommen. Nein, Nahor, du hättest nichts tun können, und am Ende ist geschehen, was Gott bereits wusste. Er ist es, der jedem Leben seine Spanne gibt. Ischkatar wollte da hineingreifen, er wollte Mescheks Leben beenden, aber Gott scheint für Meschek noch Pläne zu haben, Haran war seit dem Tod seiner Frau unglücklich. Wir alle haben ihm nicht helfen können. Nein, Gott weiß, ich wollte ihn nicht verlieren, nicht so! Und ich werde es nicht begreifen, aber eins weiß ich, weder Du, noch irgendjemand sonst hier, muss sein Gewissen quälen. Haran ist uns genommen, aber nicht ohne unser Leben vorher zu bereichern. Und wir haben seinen Sohn! In Lot lebt ein Stück von Haran weiter, und wir haben ein neues Kind, Sarai, das Leben geht weiter, es muss weitergehen.«
Ischkatars Frau musste um die 50 volle Jahre sein, er hatte einen Sohn von etwa 25 mit Frau und zwei Kindern, etwa 3 und 5, außerdem hatte Ischkatar eine Tochter, die noch nicht verheiratet war, und drei weitere Sklaven, einen älteren, der wohl seit vielen Jahren bei ihm war, und von dunkler Haut war, dazu eine Ägypterin um die 18 Jahre, etwas klein und pummelig, und einen weiteren Jungen etwa vom Alter Mescheks, aber kein Gomerer, sondern eher ein Kanaaniter, oder ein Perisiter. Nun erfuhr Terach, dass Ischkatar eine Töpferei betrieben hatte und dazu eine kleine Landwirtschaft mit drei Feldern am Euphrat. Außerdem besaß er eine Herde von etwa 20 Ziegen und Schafen. Sein Haus war nicht sehr groß, dazu die Werkstatt und ein kleiner Stall mit Scheune. Damit hatte Ischkatar der Mittelschicht in Ur angehört. Terach besaß ein Vielfaches davon. War es vielleicht Neid, der den Zorn Ischkatars gegen ihn gelenkt hatte? Dem Gesetz zufolge, gehörte all das nun auch Terach. Doch was wollte er damit. Nach dem Frühstück, von dem kaum einer wirklich gegessen hatten, überlegte Terach, was das klügste war, und schließlich kam er zu dem Schluss, dass er das Unheil nicht noch weiter steigern wollte.
»Hört«, sprach er, » Gott tue mir dies und das, wenn ich die Familie dieses Mannes nehme, der mir meinen Sohn geraubt hat. Sie sollen frei sein und ihr Haus und ihre Felder behalten. Allein die Sklaven sollen mein sein, und alle einjährigen weiblichen Ziegen und Schafe! Die einjährigen männlichen Tiere von Ischkatar sollen als Sühneopfer auf dem Altar dargebracht werden. Wir werden sie den Priestern übergeben. Die älteren Tiere sollen seinem Sohn als dem Hausvorstand gehören. Löst alle Fesseln und lasst sie gehen. Die Sklaven bringt in die Unterkünfte. Ich werde mich später um sie kümmern.«
Mehr und mehr Menschen trafen nun im Hause ein, um Haran die letzte Ehre zu erweisen und Terach ihren Respekt zu zollen. Terachs Freund, der Tuchhändler, der am Vortag den Schlichterspruch gefunden hatte, war auch gekommen. Er hatte diese letzten Worte mit angehört, während er von Milka, seiner Tochter, bedient wurde.
»Du bist großmütig, Terach. Was hat dich dazu bewogen, die Familie gehen zu lassen?« sprach er.
»Nun, mir wurde mein Sohn genommen, und nun sieh diese Familie an. Ihnen ist der Vater genommen. Doch sie können kaum trauern, so verängstigt sind sie. Da sind die gleichen Gefühle für den Vater. Soll ich das zerstören. Und wer weiß. Am Ende kommt irgendein Vetter von dieser verrückten Familie und klettert über meine Mauer. Nein, diese wären ohnehin nie gute Sklaven in meinem Hause geworden. Ich hätte mir die Revolte selber ins Haus geholt. Sie haben den Hausvater durch meine Hand verloren. Das macht nicht zum loyalen Diener. Selbst wenn ich sie als Sklaven verkaufte, müsste ich ihre Rache fürchten. Nein, weder habe ich in meinem Haus Platz für sie, noch kann oder will ich sie auseinanderreißen und verkaufen. Wenn ich sie aber freilasse, so werden Sie mich