Der wandernde Aramäer. Karsten Decker
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Die kommenden Wochen waren durch mancherlei Planung und Vorbereitung geprägt. Terach saß oft mit Nahor, Milka und seinem Freund dem Tuchhändler zusammen. Der Besitz wurde aufgeteilt. Haran kaufte einen guten Teil der Felder und der Ernte dieses Jahres. Terach brauchte, wenn er in Kanaan etwas aufbauen wollte, Gold, Silber, Edelsteine, und natürlich einen Großteil seiner Herden und Saatgut. Die Grenzsteine wurden neu markiert. Und auch die Schar der Knechte und Mägde musste aufgeteilt werden. Dabei versuchte Terach nicht nur auf die Tüchtigkeit zu schauen, sondern er respektierte auch die Umstände der Menschen, um die es ging. Am Ende waren alle zufrieden, was es in Ur nicht oft gab.
Es war bereits der dritte Monat des Winterjahrs, Kislew, als sich die gewaltige Karawane Terachs auf den Weg machte. Es gab ein sakrales Sommerjahr, das mit der Tag-Nacht-Gleiche im Frühling begann. Es waren die heißen Sommermonate, in denen nur wenig körperliche Arbeit geleistet werden konnte, deshalb war es geprägt von Festen für die unterschiedlichen Götter, Fruchtbarkeitsriten, Opferwochen und einer Fastenzeit. Da durch die verkürzte Nacht der Machtbereich der Mondgöttin, die in Ur von alters her als Stadtgöttin verehrt wurde, zunächst gegen die wachsende Kraft des Sonnengottes zu schwinden schien, um dann nach der Mittsommerwende wieder anzuwachsen, gab es guten Grund, sie zunächst durch Opfer zu stärken und dann ob ihrer zurückgewonnenen Kraft erneut zu verehren. In der Götterwelt Urs gab es die ständigen Machtkämpfe zwischen Sonnen- und Mondgöttin, die sich im Jahreslauf genauso manifestierte wie in den monatlichen Mondphasen, und seit der Gründung des Großreichs des Hammurabi waren nun noch so viele andere assyrische und babylonische Götter hinzugekommen, dass es im Pantheon nur so wimmelte. Mit der Tagundnachtgleiche im Herbst begann das säkulare Winterjahr, das wegen des milderen Wetters und der Regenzeit mit all den landwirtschaftlichen Rhythmen gefüllt war von Saat und Ernte bis hin zur Schafschere, es war auch die Zeit des Bauens und der Karawanen. Da die Mondphasen im Durchschnitt 29 Tage und 12 Stunden dauern, gab es zwischen den beiden Jahren jeweils ein paar Schalttage, um insbesondere die Feste des sakralen Jahres nach Voll- und Neumond auszurichten und das Sonnenjahr mit dem Mondjahr abzugleichen. Seit jedoch die Babylonier das Reich regierten, gab es nun ein Jahr von 12 Mond-Monaten, und alle paar Jahre wurde dann per Dekret der Kalender wieder mit der Natur und ihren Jahreszeiten in Einklang gebracht. Die verschiedenen Kalender, die so nebeneinander im Reich existierten, sorgten für manche Verwirrung, und in den verschiedenen Reichsteilen hielt man mitunter allein aus Protest am alten Kalender fest.
Immer wieder musste Terach an das alte sumerische Sprichwort denken: »Bier, das ist etwas Gutes, Reisen, das ist etwas Schlechtes.« Insgesamt waren fast 250 Mägde und Knechte in der Karawane, dazu etwa 40 gut ausgebildete Viehhirten, die sich um über 1000 Stück Vieh kümmerten, darunter Ziegen, Schafe und Rinder, aber auch Hühner, Enten und Gänse. Obgleich die Temperaturen das ganze Jahr hindurch unerträglich heiß sein konnten, war der Wind nun erfrischend, und der Tau, der nachts fiel, band den Staub entlang der Wege bis in den späten Vormittag hinein, so dass der frühe Morgen nicht nur wegen der Kühle die beste Zeit zum Reisen war. Die Lasttiere, zumeist Esel, waren entweder mit großen Körben, die rechts und links an den Tieren herunterhingen, oder mit tönernen Amphoren beladen. Darin waren Gerste und Weizen, Wein, Wasser, Bier, Obst, Gemüse, Salz, Gewürze und viele andere Dinge verstaut. Etwa jedes zwanzigste Tier war außerdem mit in offenen Körben verstauten Waffen beladen, so dass man im Falle eines Überfalls schnell Pfeil und Bogen, Speere und Schwerter zur Hand hatte, zusätzlich zu den Dolchen, die jeder Mann, und einige der Frauen, stets bei sich trugen. Auf den Wagen, von denen die meisten ebenfalls von Eseln, aber manche auch von starken Ochsen gezogen wurden, hatte man große Stoffbahnen verpackt, eine beliebte Handelsware aus Ur, dazu Teppiche, und die Stangen und Decken für die Zelte. Silber, Gold, Karneol, Lapislazuli und andere Edelsteine wurden auf Terachs Reisewagen, der von vier bewaffneten Knechten umgeben war, in kleinen Truhen transportiert. Es war der einzige Wagen, der von Pferden gezogen wurde. Nur wenige der Knechte verstanden sich auf Pferde; den meisten waren sie noch unheimlich, weil sie so groß und schnell waren. Terach hatte die Pferde erst vor der Reise eingehandelt, war aber sehr zufrieden mit seinem Kauf.
Die Reise ging täglich in zwei Etappen voran. Dabei war die Morgenetappe die angenehmere. Sie dauerte bis etwa 11 Uhr, wenn die Hitze eben selbst im Winter immer unerträglicher wurde. Nun hieß es, die Mittagspause einzulegen. Die Stoffdecken wurden über lange gerade Stangen verspannt, um Baldachine zu errichten, unter denen man es sich auf Teppichlagern und Kissen gemütlich machte. Da die Erwachsenen diese Zeit auch zum Schlafen nutzten, hörte man immer wieder Mägde, die den Kindern zu zischten, damit auch sie Ruhe gäben und wenn möglich einschliefen. Meist taten sie das auch, da es trotz der neuen Umgebung bald langweilig wurde. Gegen 4 Uhr am Nachmittag begann man dann alles wieder einzupacken und zur zweiten Etappe des Tages aufzubrechen. Insgesamt konnte man so etwa 12 bis 15 Meilen pro Tag zurücklegen, und in diesen Abständen befanden sich auch die Poststationen an der Königstrasse nach Nordwesten. Rund um diese Poststationen gab es Lagerplätze mit Erdwällen oder sogar Mauern zur eventuellen Verteidigung. Das allein war die geringe Gebühr wert, die man für die Übernachtung erhob. Die Wasserkessel wurden mit frischem Wasser aufgefüllt und die Tiere getränkt. Mitunter traf man in diesen Stationen nicht nur kleine Reisegruppen, sondern auch andere große Karawanen. Es war nicht leicht, in dem Gewimmel den Überblick zu behalten. Die Hirten passten auf, dass sich die Herden nicht mischten. Die Reisenden aber mischten sich gerne ein wenig. So waren die Abende rund um die Lagerfeuer erfüllt von Geschichten, Nachrichten, Gesang und manchmal kleinen Feiern und Tänzen mit Musik. Die Tiere blieben dabei auf den umliegenden Wiesen oder Auen, bewacht in drei Schichten von den Hirten.
Die Küchenutensilien allein benötigten 20 Esel und einen Wagen. Aus extra dafür zugeschlagenen flachen Steinen und einigen gebrannten Ziegeln wurden abends die provisorischen Backöfen für das Fladenbrot errichtet. Wieder erwiesen sich die Kenntnisse der Mägde und Knechte aus fernen Ländern als hilfreich. Traditionell wurde der Fladenbrotteich unter die vorgeheizten Steinplatten geklebt. Wenn sie gar waren, fielen sie ganz von allein ab. Früher hatten die Hausfrauen und Mägde stets aufpassen müssen, dass sie dabei nicht in die Asche fielen, doch von einem Knecht aus Vorderasien hatten sie nun eine neue Konstruktion kennen gelernt, bei der man auch unter der Feuerstelle eine flache Steinplatte platzierte. Das Feuer brannte für etwa eine halbe Doppelstunde, dem gängigen Zeitmaß, dann wurde die restliche Glut und Asche mit Gerstenstroh ausgefegt. Die in den Steinen gespeicherte Hitze war groß genug, um die Brote zu backen, und da die Asche entfernt war, brauchte man die fertigen Brote nur von der unteren Steinplatte abzulesen. Die Steinplatten wurden ohne Mörtel kunstvoll von zwei Ofenbauern aufgeschichtet und hatten neben den Ritzen zwischen den Steinen nur eine Öffnung, vor die man beim Backvorgang einen weiteren Stein stellte, damit die Hitze nicht zu schnell entkam. Während des Anheizens sahen diese Öfen wie kleine Vulkane aus, da aus den Ritzen der dichte Qualm quoll. Abends wurde außerdem in Kesseln über offenem Feuer Suppe oder Eintopf bereitet. Der Geruch von Lauch, Knoblauch, Rüben, Erbsen und Linsen, Fleisch und Fisch, und Gewürzen erfüllte die Luft Abend für Abend. Abram genoss es mit seinem neuen Freund Meschek von einem Feuer zum nächsten zu laufen und den Geschichten zuzuhören, die erzählt wurden. Die meisten Leute redeten babylonisch, die Diplomatensprache jener Zeit, andere sprachen aber auch in den unzähligen Dialekten der Chaldäer, Assyrer, Aramäer, Kanaaniter und Ägypter.
Auch die Städte, an denen sie vorüberzogen, wurden besucht. Die erste war Uruk, eine alte Königsstadt aus der untergegangenen Sumererzeit. Abram staunte, als er die gewaltige Stadtbefestigung sah. Die bestand aus einer fast 7 Meilen langen Doppelmauer mit über 800 Türmen und sollte angeblich fast 500 Jahre alt sein und vom sagenumwobenen König Gilgamesch selbst - natürlich waren damit seinen Sklaven gemeint - erbaut worden sein, außerdem gab es den gewaltigen Anu-Tempel, der zusammen mit anderen Tempeln in einer eigens durch eine zweite Mauer eingegrenzten Tempelstadt lag. Abram wollte alles wissen, und er fragte Terach Löcher in den Bauch. Schließlich fanden sie einen