Der wandernde Aramäer. Karsten Decker
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Terach hatte alles wortlos mit angehört, und während einer der Botenläufer nach Hause eilte und das Geld holte, wurde bereits der nächste Fall angehört. Eine Frau verlangte die Scheidung von ihrem Mann und die Mitgift zurück, da ihr Gatte vom letzten Feldzug eine Sklavin mitgebracht hatte, die ihm mehr und ganz andere Freude bereitet haben soll, als sie es je konnte oder wollte.
Weit ab von all der Öffentlichkeit, am anderen Ende der großen Stadt, in einem der Vorratsräume des Hauses Schemkahiris war Kentaja ganz allein. Keiner konnte sie hier hören, und das war wichtig. Sie biss immer wieder auf das Stück Holz, um allzu lautes Schreien zu verhindern, und um die Schmerzen besser ertragen zu können. Sie kannte den Ort sehr gut, ja zu gut. Es mochte 9 bis10 Monate her gewesen sein, dass Schemkahiri sie hier überrascht hatte. Sie jaulte vor Schmerz, sei es wegen der Geburtswehen, oder der seelischen Narbe, die wieder aufbrach. Nie würde sie ihm verzeihen, diesem geilen, alten Bock. Und er würde nie Hand an dieses Kind legen, das schwor sie sich. Nur gut, dass seine Frau nichts von Konkubinen hielt, so konnte er sich nur heimlich an ihr und den anderen Sklavinnen vergehen, obwohl er nach dem Gesetz alles mit ihnen tun durfte, aber eben nur, wenn seine Frau keine Einwände hat. Nun war Kentaja wieder an diesem Ort, denn sie wusste, dass von hier kaum Schreie zu hören waren. Sie hatte ein paar saubere Leinentücher ausgebreitet, und war froh, dass sie selber bei anderen Geburten geholfen hatte. Tränen standen in ihren Augen und rollten über ihr von der Anstrengung rot angelaufenes Gesicht. Sie dachte an Prekären, den einzigen Jungen, den sie je geliebt hatte, wo mochte er sein? Ob er eine Frau, eine Familie hatte? Würde sie ihn je wiedersehen? Als sie diese Gedanken noch wälzte, war die kurze Pause zwischen den Wehen auch schon wieder vorbei. Nun kam eine so heftige Wehe, dass sie die Luft anhalten musste und ganz unwillkürlich zu pressen anfing. Und mit der ganzen Kraft Ihres Leibes drückte sie dieses neue, winzige, und ach so verletzliche Wesen hinein in diese feindliche, ach so grausame Welt: ein neues Leben, ein neues Wesen, eine neue Geschichte begann. Sie hob das kleine Mädchen vorsichtig auf, und obwohl der Schmerz schier unerträglich schien, strömte eine Woge des Glücks durch ihren massigen, bebenden Körper, als sie sie auf ihren entblößten Busen legte.
»Iris! So will ich dich nennen, du Lichtschein in dieser Finsternis. Egal, wie du einmal heißen wirst, für mich bist du die Sonne selbst, Hoffnung, die in die Finsternis scheint und sie erhellt. Durch dich soll neue Hoffnung in die Welt kommen. Und ich werde dafür sorgen, dass dich niemand missbraucht und versklavt, dass du zumindest eine Chance hast zu leben. Es bricht mir das Herz, dass ich es nicht selber sehen und erleben werde, aber wir werden verbunden sein, auch wenn ich diese Schnur durchtrenne.« Und während sie dies sprach, zog sie die Klinge in ihrer Rechten mit einem Ruck. Sie wunderte sich, dass sie den Schnitt nicht gespürt hatte, noch schien Iris etwas davon gemerkt zu haben. Aber Blut schoss aus der Schnur, so dass sie nun schnell das Messer zur Seite legte und einen Knoten knüpfte, zuerst an dem kurzen Ende, dass aus Iris’ Bauchdecke trat. Dann wandte sie sich nach unten zu ihrem Unterleib. Aber als sie die Schnur auch dort verknoten wollte, brach die Nachgeburt auch schon aus ihr heraus. Ein Knoten war nicht mehr notwendig, und die Geburt war vorbei. Kentaja war müde, unbeschreiblich müde, doch sie konnte nun nicht einschlafen. Auf keinen Fall einschlafen! Das Kind sog an ihren Brüsten, als wisse es, was zu tun war. Kentaja selber ging in Gedanken die Liste durch, die sie vorbereitet und immer wieder ergänzt hatte. Nichts durfte schiefgehen. Sobald Iris schlafen würde, wäre es Zeit, die Spuren zu beseitigen. Sie hatte in einer Ecke drei große Krüge mit Wasser bereitgestellt, um das Blut fort zu spülen, so dass es im gestampften Boden versickern konnte. Die Nachgeburt würde sie vergraben. Sie hatte im Garten bereits ein Loch dafür ausgehoben. Es war Pflanzzeit, und sie würde eines der Olivenbäumchen darüber pflanzen. Der Baum würde ihr kleiner Schrein sein, hatte sie sich überlegt. Das Kind, das nun vom Trinken und der Anstrengung der Geburt eingeschlafen war, wickelte sie in die Tücher. Sie selber wusch sich mit Kamillentee, den sie bereitet hatte. So hatten es die Frauen in Ägypten getan, um die Wunden zu heilen. Sie hielt nichts von Öl, das man hier benutzte. Sie hatte zu viele Frauen gekannt, die sich für Wochen in Schmerzen gewunden hatten, und viele waren gestorben. Obwohl sie müde und erschöpft war, verlor sie keine Zeit. Als alles zu ihrer Zufriedenheit sauber war, nahm die das Bündel mit Iris und machte sich auf den Weg. Mittlerweile war gnädig Dunkelheit auf die sich zu Bett begebende Stadt gefallen. Die lustig flackernden Ölfeuer brannten rußig an den Straßenecken und gaben genügend Licht, um den Weg durch die verwinkelten Gassen zu finden. Kentaja musste vorsichtig sein. Obwohl Sklaven nachts oft durch die Straßen strichen, war es unüblich, dass sie dabei irgendetwas trugen. Daher hatte sie Iris in einem langen Leinentuch wie in einer Hängematte umgehängt. Doch wenn man sie kontrollieren würde, wäre es sicher nicht leicht, das Neugeborene zu verbergen. Einige Hunde liefen ihr nach und schnupperten an ihren Beinen. Kein Zweifel, sie konnten riechen, dass sie gerade ein Kind geboren hatte, doch sie waren ihr nicht gefährlich. Es sind die Menschen, vor denen sie sich in Acht nehmen musste. Etwas später sah man im fahlen Licht des ersten Frühlingsvollmondes ihren Schatten vom Tor des Hauses Terachs fliehen. Doch es war nicht der einzige Schatten in dieser Nacht bei Terachs Haus.
Während Terach mit seinen Söhnen und Freunden unter den gespannten Zeltplanen auf den Kissenlagern saßen und beim jungen, spritzigen Wein der letzten Lese die Ereignisse des Tages wieder und wieder erzählten, mal mit ernsten Mienen, dann wieder verzerrt vom schallenden Lachen, erklomm jemand die Mauer von außen, und ein unsichtbarer Schatten beobachtete von einem dunklen Eck auf dem Dach aus die Familie mit den Freunden bei ihrer Feier. Die Knechte brachten immer neue Krüge mit Wein, Platten mit Obst, Käse und geräuchertem oder gepökeltem Fisch und Fleisch. Auch der neu erworbene Prentaj brachte Platten zur Feier. Er lächelte Abram zu, als er die Platte mit Obst vor Terach, seinem neuen Herrn, ablegte.
›Da ist ja auch dieser nichtsnutzige, dreckige Prentaj‹ ging es Ischkatar durch den Kopf. ›Nein, Terach soll keine Freude an seinem neuen Sklaven haben.‹ Durch die vielen Lampen war die Sicht gut. Ischkatar, unsichtbar auf einem der Dächer im Schatten verschanzt, zog einen Pfeil aus dem Köcher und zielte. Als Kind hatte er Bogenschießen gelernt, und beim letzten Feldzug, als er eingezogen war, hatte man seine Begabung entdeckt und ihm die ganze Kunst der Scharfschützen beigebracht. Dennoch zitterte seine Hand etwas vor Aufregung, und sofort ließ er die Spannung etwas nach, wie er es gelernt hatte. »Wenn du Zeit hast, nimm sie dir«, hatte sein Ausbilder immer wieder betont: »Lieber ein später Schuss ins Ziel, als ein früher Schuss ins Leere.« Er ließ den Atem aus den Lungen, um dann beim erneuten Anspannen die Luft langsam wieder einzuziehen. Als seine Lungen die volle Kapazität erlangt hatten, war der Bogen bis zum äußersten gespannt, und seine Hände so ruhig, dass er genau zielen konnte. Der Pfeil surrte fast lautlos durch die klare Luft auf sein Ziel, auf Prentaj, zu. Doch gerade in diesem Moment erhob sich Haran, der sich vom Wein erleichtern wollte, und geriet so in die Schusslinie. Der Pfeil drang in seinen Nacken ein und trat an der Kehle wieder hervor. Das Blut spritzte, Krüge zerschmetterten, die Platten wurden umgestoßen, und alle waren sofort nüchtern und sprangen auf. Nahor und einige der Knechte jagten in die Richtung, aus der der Pfeil gekommen sein musste. Und nun sahen sie den Schatten Ischkatars, der sich über die Mauer schwang. Zur gleichen Zeit war Terach mit einem kleinen Trupp zum Tor geeilt und hatte es entriegelt. Abram war mitgelaufen, und als das Tor geöffnet war, sah man auf der Schwelle etwas Fremdes liegen, ein kleines Bündel aus Tüchern, und vom Lärm geweckt, schrie Iris aus den Tüchern. Terach hob es auf, und reichte es Abram: »Halt das!« rief er, »und bleib hier!«
Bereits nach wenigen Minuten war die Jagd vorbei. Ischkatar, oder was von ihm geblieben war, wurde hinterher gezogen. Terach stand über seinem Leichnam. Nachbarn waren erwacht und kamen aus ihren Häusern.
»Du