Der wandernde Aramäer. Karsten Decker
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»Ja, aber wie kam es dazu, dass wir alle unterschiedliche Götter verehren, welcher von ihnen war denn der große Durcheinanderbringer? Der Chaosgott der Babylonier, war es die Urmutter, war es Baal?«
»Nun, das ist ein ganz neues Problem. Wenn wir schon bei den Sprachen meinen, unsere eigene sei die ursprüngliche, wahre, bestüberlieferte, wie sollen wir uns dann bei den Göttern je einig werden. Ich selber glaube jedoch, dass die ganze Götterwelt nur eine Reflexion, ein Widerglanz eines einzigen, wahren Gottes sein kann. Denn wie kann das ein Gott heißen, das seine Macht teilen muss? Ist ein Gott nicht für…« in diesem Moment erschallte ein lautes Gebrüll. Alle Männer waren sofort auf den Beinen. Jeder hastete nach den Waffen, die Kinder wurden von den Frauen und Mägden hastig wie von Glucken unter die weiten Umhänge gezogen. Alles ging so schnell, dass Abram zunächst überhaupt nicht verstand, was vor sich ging.
»Räuberbande« schrie Terach und eilten einer dunklen Gestalt nach, die versuchte, einige der Esel wegzuziehen. Meschek stürzte mit einem Mal unter dem Gewand einer der Frauen hervor und sprang auf den Wagen Terachs. Instinktiv hob er dabei das rechte Bein, winkelte es an und ließ es gerade in dem Moment heraus schnellen, als er unmittelbar vor einer anderen dunklen Gestalt war, die gerade eine der Kisten von dem Wagen heben wollte. Der Seittritt kam mit so viel Kraft und Schwung, dass der Fremde, ungleich größer und schwerer als Meschek, mit einem Schmerz verratendem Schrei vom Wagen stürzte. Abram riss sich ebenfalls von den Frauen los und lief Meschek zur Hilfe.
»Au, das war ein guter Tritt!« rief Abram. »Den musst du mir beibringen.« Noch bevor Meschek antworten konnte, sahen sich die Freunde einem erneuten Angriff gegenüber.
»Räudiger Schakal« rief Meschek, und platzierte einen weiteren Tritt vom Wagen herunter gerade ins Gesicht des Angreifers, der, als er sich einigermaßen wieder aufgerappelt hatte, nun doch endlich aufgab und nach rückwärts davon hastete. Es schien, auch die anderen der Räuber hatten nun genug und suchten das Weite. Der ganze Überfall hatte nicht einmal zehn Minuten gedauert. Die Räuberbande hatte wohl gemeint, sie könne heimlich ein paar Tiere und Wertgegenstände stehlen, da alle um die Feuer saßen. Sie hatten eindeutig nicht mit Entdeckung, und schon gar nicht mit Gegenwehr gerechnet. Nur gut, dass die Wachen ihrem Namen alle Ehre gemacht hatten. Bei der Gegenwehr nahmen sie Reiß aus. Langsam beruhigte sich das Lager, die Männer standen, noch immer breitbeinig entschlossen, mit ihren Waffen in den Händen, und starrten in die Dunkelheit.
»Es hat keinen Sinn, ihnen nachzusetzen«, rief Terach, »Die kennen hier jeden Strauch und jede Felsspalte, wir hingegen sind fremd und wären vereinzelt im Dunkeln mehr in Gefahr als sie. Ich glaube nicht, dass sie etwas mitgenommen haben. Einen von ihnen habe ich erwischt. Verdoppeln wir die Wachen, aber ich glaube nicht, dass sie sich noch mal her trauen.«
»Recht hast du!«, sprach Elidon, einer der Kaufleute aus Damaskus. »Leider muss man mit so was immer mehr rechnen, umso weiter wir in den Norden kommen. Ja, noch schlimmer, die Räuber im Norden sind auch nicht so feige. Dein Sohn ist ein guter Kämpfer. Er hat deinen Wagen ohne Waffen verteidigt, als ginge es um sein Leben« Er deutet auf Meschek. Terach sah zu den beiden Jungen hinüber. Meschek war fast einen Kopf größer als Abram, er war in den wenigen Monaten seit dem Zwischenfall in Ur ungeheuer gewachsen.
»Das, das ist mein Knecht«, sagte Terach. »Und es scheint, es ist ein treuer Knecht. Mein Sohn ist der Jüngere von den beiden.«
»Nun, dann ist dein Sohn auch sehr mutig, denn er kam ihm zur Hilfe; obgleich, Hilfe hat dein Knecht nicht gebraucht. Seine Füße waren wie Keulen.«
Mit diesen Worten verabschiedete er sich. Jeder ging und sah nun nach seiner eigenen Reisegruppe, die Wachen wurden verstärkt, und alle anderen gingen zu Bett. Für den Rest der Nacht blieb es tatsächlich ruhig. Allein in den Träumen war der Kampf noch nicht ausgestanden. Und sollte es wirklich noch schlimmer werden, umso weiter sie reisten? Terach mochte keine Orakel und Prophezeiungen. Sie machen uns nur unnötig Angst, oder auch leichtsinnig. Nachdem er sich noch einmal vergewissert hatte, dass alles ruhig was, drehte er sich um, schloss die Augen und schlief.
Kapitel 4: Ein Neubeginn
Mehr als die Vergangenheit interessiert mich die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.
Albert Einstein
Am nächsten Morgen wurde sorgfältig alles geordnet, gezählt und neu verpackt. Eine der Edelsteintruhen lag auf dem Boden dicht neben dem Wagen. Hätte Meschek nicht aufgepasst, wäre sie hin gewesen, ein Vermögen, dazu bestimmt, neues Land und ein Haus zu kaufen. In einer Nacht hätte es weg sein können. Nur ein aufmerksames Auge und dieser ungeheuer starke Tritt hatten diesen Verlust verhindert. Was, wenn Meschek nicht gewesen wäre? Bei diesem Gedanken stockte Terach, denn wäre Meschek nicht gewesen, dann wäre Haran nicht getötet worden, wäre er nie aufgebrochen von Ur. »Was wäre wenn?« ein unendliches Gedankenspiel. Terach begann zu grübeln: »gibt es einen Plan für unser Leben, oder ist alles reiner Zufall? Doch wenn Zufall, von wo oder wem fällt es uns zu? Das Leben ist, wie es ist, und wir können uns dagegen kaum auflehnen, alles kommt, wie es wohl kommen muss. Wir meinen, wir haben alles in der Hand, wir planen und denken, unser Reichtum könne uns alles kaufen, und doch, alles ist vergänglich, nichts ist von Dauer. Ich kann verstehen, dass die Menschen versuchen, die Götter zu bestechen, ja für jeden Fall der Fälle je einen Gott zu haben. Eigentlich ist es kein Wunder, dass die Menschen immer neue Götter erdenken, für Fruchtbarkeit, Krieg, Wetter, Liebe und Tod. Doch die Vielzahl der Götter macht sie eben nur zu Teilgöttern, mit begrenzter Macht und begrenzter Zuständigkeit, und wie vertragen sich solche Götter, streiten sie wie wir Menschen? Nein, es kann nicht mehrere Götter geben, sonst sind es eben keine Götter. Aber es muss einen Gott geben, einen mit unbegrenzter Macht, einen, der hinter allem steht, hinter dem Zufall, durch den unser Dasein in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, Sinn zugemessen bekommt. Die Geschichten der Urzeit, sie alle belegen, dass unser Geschick in einem Zusammenhang steht, ohne Gott lässt sich nichts deuten, hat nichts Bedeutung. Ohne Gott, ja ohne Gott versänke die Menschheit im Chaos. Ohne einen Gott ist unser Leben ohne Bedeutung, sind wir wie Fliegen, oder wie Gras, das heute wächst und blüht, aber morgen von der Sonne versengt welkt und verdorrt. Ohne Gott gibt es keine Gemeinschaft, ist Lust und Trieb der einzige Lebenszweck, ist der Tod das Siegel der Sinnlosigkeit und Bedeutungslosigkeit. Und gleichzeitig, gibt es einen Gott, so sind wir verantwortlich, müssen Antwort geben.«
Mitten in diesem Gedankenspiel, das Terach seit Harans Tod immer öfter beschäftigte, bemerkte er Abram, der zu ihm gekommen war. »Wann ziehen wir denn weiter?« fragte er.
»Ja, du hast Recht, lasst uns aufbrechen! Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.«
Die nächsten Tage sollten tatsächlich ruhiger bleiben. Kurz hinter Babel trennte sich die Hauptstraße. Die nördliche Route führte nach Assyrien mit Assur und Ninive, immer entlang des nördlichen Ufers des Tigris, während die südlichere Route am Euphrat entlang westwärts zu den neuen Provinzen in Syrien, Libanon und Kanaan sowie zum nun verbündeten Hethiterreich führte. Terach folgte der südlichen Route. Nicht nur war es der Weg zu den neuen Provinzen, die ja sein Ziel waren, sondern auch, da der Tigris wegen der Regenfälle im Norden Hochwasser führte, und somit wegen der Stromschnellen ein Übersetzen in absehbarer Zeit nicht möglich schien. Die Flussbarken waren nicht besonders stark und