Kuckucksspucke. Gloria Fröhlich
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Читать онлайн книгу Kuckucksspucke - Gloria Fröhlich страница 4
Von da an teilte sie mit ihm ihr erstes, dunkles Geheimnis.
Line fürchtete sich nicht auf dem Friedhof.
Ome hatte sich immer gefürchtet und vom schwarzen Sensenmann gesprochen, der unter einer tief nach vorn gezogenen Kapuze seinen Totenkopf versteckt und auf dem Friedhof spuckt.
Und Line hatte ihm widersprochen: „Spuuuuken, Ome, es heißt er spuuukt auf dem Friedhof, tut es aber nicht wirklich.“
„Die tot geblieben sind jawohl“, hatte Ome behauptet und mit dem Fuß aufgestampft.
Auf dem Friedhof gab es keine alten Bäume, die für Düsternis gesorgt hätten.
Aber eine weiße Gruft, befriedet von einem schwarz gelackten Eisenzaun und zu der es ein paar Stufen nach unten vor eine schmale Tür ging.
Dort hätte Line gern gewohnt.
Lines Freund Lüder hatte kopfschüttelnd gesagt: „Ne, Line, das kann man nicht, und außerdem liegt da doch schon einer drin.“
Und ihre Mutter hatte eine Gänsehaut bekommen und geflüstert: „Oh, mein Gott, Line, was sagst du da!“
Line hätte es trotzdem gern gewollt, auch schon deshalb, weil am Eingang ein wunderschöner, großer, weißer Marmorengel in einem langen, faltenreichen Gewand mit hoch erhobenen, segnenden Händen stand.
Die Schönheit des Engels beeindruckte und beruhigte Line, wenn sie nach oben in das ebenmäßige Gesicht und auf die geschlossenen Augen sah.
Die großen Flügel waren hoch aufgerichtet, und Line versuchte immer vergeblich, nicht an den schmutzigen Gänseflügel zu denken, mit dem Frau Mu die Brotkrumen vom Tisch fegte, und dem schon einige Federn fehlten.
Sie wollte diesen Vergleich einfach nicht.
Die Flügel des Friedhofengels waren unversehrt und so weiß wie Gänseblümchen.
Line hatte den Wunsch, sie wenigstens einmal zu berühren.
Auf Zehenspitzen, und mit ganz nach oben ausgestreckten Händen, reichte sie gerade an die Flügelspitzen heran und fühlte mit ihren Fingern die Federn aus Stein – und wie eiskalt sie waren.
2. Kapitel
Line liebte es, dabei zu sein, wenn in der Wohnung ihrer Großmutter regelmäßig ein Kaffeekränzchen mit Kuchen, Likör und Musik von Mozart in Zimmerlautstärke stattfand.
Die Gattin des Apothekers, des Schulleiters, des Dorfarztes und die des reichsten Bauern in der Umgebung dufteten so heftig nach Lavendel und Kölnisch Wasser, dass es für Lines Nase im Wohnzimmer der Großmutter nach einer Weile regelrecht stank.
Und unter dieser Duftwolke bekakelten sie dann alles, was im Dorf seit dem letzten Zusammentreffen passiert war.
Und während sie Streuselkuchen aßen, Kaffee, Likör und auch mal prickelnden Schaumwein tranken, und Line sich in eine Ecke kauerte, um nicht entdeckt und weggeschickt zu werden, sprachen sie dieses Mal über einen Bauer, den sie alle mehr oder weniger gut kannten. Die Tasse machte beinahe kein Geräusch, als eine der Damen sie mit vornehm abgespreiztem kleinen Finger behutsam auf die Untertasse stellte, nickend in die Runde sah und hauchte: „Er ist ja vergangene Woche richtig zusammengebrochen“.
„Ach, ist er etwa….“.
Die Fragende nagte erwartungsvoll an ihrer Unterlippe.
„Nein, aber er hat schon jahrelang Zucker, und es stand mit ihm nicht zum ersten Mal auf der Kippe. Mein Schwager wurde in kurzer Zeit vom Zucker dahingerafft.
Das war damals schlimm.
Wie die Zeit vergeht, er ist nun schon zwei Jahre tot“.
Für wenige Sekunden war es still im Wohnzimmer der Großmutter.
„Es ist zu befürchten, dass es bei dem auch nicht mehr lange geht“, wusste eine andere nun ganz genau, was ihm über kurz oder lang blühen würde.
Line verstand nicht, wieso sie tatsächlich glaubten, dass die weiße, süße Herrlichkeit überhaupt jemanden dahinraffen konnte.
Und wie denn!
Und wenn doch?
Die Großmutter sprach manchmal von „Raffinade“, wenn es um Zucker ging.
So bekam das Wort „dahingerafft“ für Line dann einen Sinn.
Vielleicht bewahrte die Großmutter ihren süßen Vorrat deshalb in einer fest verschlossenen Dose, für Line unerreichbar, in der Speisekammer auf.
Und die Kränzchendamen griffen nicht einfach mit den Fingern in die Zuckerdose, um sich einen Zuckerwürfel zu nehmen, sondern benutzten dazu eine kleine silberne Zange, die rechts und links mit einer Rosenranke verziert war. Außerdem verfügte sie über zwei gespreizte Krallen, mit denen die Zuckerwürfel fest gepackt werden konnten, wenn man nicht ungeschickt war.
„Seine Frau sagte ganz verzweifelt im Schlachterladen, er würde seinen Zucker nicht ernst nehmen, und sie befürchtet, dass ihm das das Genick brechen wird“, hörte Line jetzt und verstand den Zusammenhang nicht.
Aber sie witterte freudig eine Beerdigung, eine die von sich reden machen würde.
Denn der Bauer war reich, und Reiche ließen sich nicht nur Hochzeiten etwas kosten.
Jetzt aber ärgerte es Line, als ein kürzlich stattgefundenes Begräbnis erwähnt wurde, das sie verpasst hatte.
Mitten im Sommer hatte es tatsächlich eins gegeben, und zwar auf der anderen Seite der Eisenbahnlinie, die das Dorf und Line vom Rest der Welt trennte.
Sie kannte die, um die es ging, und es war jetzt ein merkwürdiges Gefühl, dass die tot sein sollte. Line erinnerte sich an einen massigen Körper, auf dem ein kleiner Kopf mit Pausbäckchen saß, und aus dessen Wurstzipfelmund es pfeifend schnaubte, während es auf der Steintreppe zum Bäckerladen nur sehr langsam nach oben voranging, Schritt für Schritt.
Und dick, damit meinten die Damen wohl „korpulent“, denn eine von ihnen zeigte mit beiden Armen an ihrem eigenen Körper einen gewaltigen Bauchumfang, der bis an die Tischkante reichte. Und die, die hatte die Tote auch auf ihrem letzten Weg begleitet.
„Das hätte sie von mir erwartet, so wie wir zueinander standen, sie war ja über dreißig Jahre auf unserem Hof, bevor sie im vergangenen Jahr so unglücklich in die Forke gefallen ist und sich beinahe aufgespießt hatte“, flüsterte sie mit beschwörendem Blick und heruntergezogenen Mundwinkeln.
„Davon hat sie sich nie mehr richtig erholt, Gott sei ihr gnädig!“
Doch jetzt hielt sich die Erzählende die Hand vor den Mund, und Line entdeckte, dass sie sich das Lachen verkniff, weil diese Geschichte wohl kein Thema zum Lachen war.
Sie rang die Hände und wisperte: „Entschuldigung, aber es ist so grauenhaft und doch so komisch, ich muss es einfach loswerden.“
Die