Kuckucksspucke. Gloria Fröhlich

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Kuckucksspucke - Gloria Fröhlich

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Lines Ohren liefen auf Hochtouren.

      „Sie hatten Schwierigkeiten, sie in den Sarg zu legen.

      Sie war zu dick und zu breit, und sie wussten nicht, wohin mit den Armen und haben sie schließlich auf die Seite gedreht, aber das ging auch nicht, weil sie dann zu hoch war.“

      Ihre Zuhörerinnen lachten unterdrückt.

      Eine prustete Kuchenkrümel in ihre hohle Hand und flötete: „Oh, wie sind wir pietätlos, schämen wir uns, aber erzählen sie doch weiter, man nimmt doch selbstverständlich Anteil.“

      Na, ja, irgendwie hatten sie es dann doch geschafft, dass von ihr nicht so viel zu sehen war, als sie den Sargdeckel auf sie drückten.

      Stellen sie sich mal vor, das mussten sie zu Dritt machen, und das hat unheimliche Geräusche gegeben.“

      „Ja, das ist bekannt, wenn….das ist grauenhaft, da geht die Luft aus den Lungen ab“, entsetzte sich eine der anderen Damen und rutschte auf ihrem Platz sehr lebendig hin und her.

      Keine von ihnen kaute oder schluckte jetzt noch.

      Und alle Augen hingen an den feucht glänzenden Lippen der Erzählenden, auf denen noch ein winziges Stück von einem Mandelplättchen klebte.

      „Am Kopfende gelang es ihnen, den Sargdeckel zuzunageln, aber weiter hinten stand er noch so weit offen.“ Sie zeigte einen etwa drei Zentimeter breiten Abstand zwischen Daumen und Zeigefinger, atmete danach mit aufgerissenen Augen tief durch und sah dann versteckt amüsiert und abwartend in die Runde.

      „Dass unser Herrgott das zulässt, das ist ja kaum zu glauben“, empörte sich eine Stimme.

      „Da gibt es nichts zu glauben, da weiß man, dass man einen größeren Sarg nehmen muss. Der Herrgott lässt die Bäume zwar nicht in den Himmel wachsen, aber es ist doch genug Holz für einen großen Sarg da“, meinte eine andere, und das hörte sich ziemlich vernünftig an.

      „Heute ist das ja wirklich kein Problem, aber damals“, hauchte die Großbäuerin.

      „Meine Großeltern hatten ihre Särge noch in der Tenne stehen. Früher war das so, denn wenn es mal eine Seuche und viele Tote gab, kam der Zimmermann mit der Arbeit nicht hinterher, also hatte jede Familie mindestens einen Sarg vorrätig.

      Es gab sogar schmale, schwarze Sargtische, auf denen sie standen. Und dann warteten sie in der Diele auf „Belegung“, oft jahrelang!

      Und ich weiß noch, bei meinen Großeltern kamen in einen der Särge abends immer die Hühner.“

      Die Kränzchendamen lachten, und in den Gläsern moussierte es.

      Die Damen waren ausgelassen.

      Der altrosa Schleier, der über ihre Wangen kroch, war auch ein Zeichen für ihre Erregung aufgrund der außergewöhnlichen Begebenheit, die ihnen gerade zu Ohren gekommen war.

      Mit der grauenhaften Vorstellung, dass der Sargdeckel nicht geschlossen werden konnte, waren sie bereits an die Grenzen des für sie Erträglichen gekommen, als sie mit kreischendem Gewimmer der Erzählenden das an sich herankommen lassen mussten, was eine Steigerung ihres Entsetzens nicht mehr zu übertreffen, nur noch in der Hölle möglich gewesen wäre.

      „In der glühenden Hitze des frühen Nachmittags auf dem langen Marsch zum Friedhof, entging den herumlungernden Straßenfliegen natürlich nicht, was sich dort in dem blumenbekränzten Holzkasten verbarg und wohin man ohne große Umstände durch eine fingerbreite Ritze gelangen konnte. Und so waren es erst wenige und dann eine ganze Horde von Fliegen, die unter den entsetzten Blicken tränenverschleierter Augen ein- und ausflogen und sich beharrlich ihrer Sache widmeten und sich nicht davon abhalten ließen, die Tote bis ins Grab zu begleiten.

      Stellen sie sich das mal vor!

      Mit ihren Taschentüchern haben die nahen Angehörigen, die gleich hinter dem Sarg hergingen und das Elend mit ansehen mussten, versucht, die Fliegen zu verscheuchen, aber die Biester waren hartnäckig, wie Fliegen eben so sind, es war gruselig.“

      Line konnte geradezu den bestialischen Verwesungsgeruch riechen, der von der dicken, toten Frau im Sarg ausgegangen sein musste.

      Sie kannte den Gestank aus dem dichten Brombeergebüsch ganz hinten im Garten von Frau Mu nur zu gut, als dort ein schwarzer, toter Vogel auf dem Rücken mit hoch aufgerichteten, starren Beinen vor sich hin faulte, in dessen offenem Bauch dicke, weiße Maden in gleichmäßigem Rhythmus um einander tanzten.

      Die Damen ächzten hinter vorgehaltenen Händen.

      In diesem Augenblick spürte Line das merkwürdige Gefühl wieder, das sich in ihrem Bauch auch jetzt ganz absonderlich anfühlte, wie damals, als sie die ramponierte, hässliche Puppe, die ihre Cousine ihr großzügig überlassen hatte, und mit der sich Line nur aus der Not heraus abzufinden, jeden Tag wieder große Mühe gab, in aller Stille und mit keinem schlechten Gewissen begraben hatte. Es war schon lange niemand mehr gestorben, und sie hatte darin eine Möglichkeit gesehen, ihr Bedürfnis nach der begehrten Beerdigungszeremonie zu befriedigen. Mit der Puppe unter dem Arm und mit einem Löffel war in den Garten gegangen, war ein wenig unter den großen Rhododendron gekrochen und hatte ein tiefes Loch gegraben, die Puppe hineingelegt und langsam mit Erde bedeckt, bis auch von ihrem Gesicht nichts mehr zu sehen war. Line hatte inne gehalten, als die Puppe unter der Erde verschwunden war. Auf Knien hatte sie dann inbrünstig gebetet und eine handvoll Gänseblümchen dazu gezwungen, das Grab zu schmücken. Langsam und mit gesenktem Kopf hatte sie die letzte Ruhestätte ihrer ungeliebten Puppe in stiller, seltsamer Stimmung verlassen. Und dann spürte sie wenig später, wie ein kleiner, geheimer Kummer von ihr Besitz ergriff, und als es dämmerte, überkam sie unendliche Reue. Schließlich hatte sie Panik für die Puppe empfunden, obwohl sie von ihr immer von „der Puppe“ und nie von „meiner Puppe“ gesprochen hatte. Auf flinken Füßen war sie zu der winzigen Erderhebung gerannt und hatte die schon welken Gänseblümchen beiseite geschoben und wie gehetzt mit bloßen Händen nach der Puppe gebuddelt, ihren Kopf gegriffen und die Puppe mit einem Ruck aus dem Grab gezogen. Sie hatte ihr auf dem Weg ins Haus die feuchte Erde vom Leib geklopft, sie in die leere Apfelkiste gelegt, die neben dem großen Kachelofen stand und zur Hälfte mit Holzwolle gefüllt war und erleichtert „So“ gesagt.

      Inzwischen wusste Line aber auch, dass nicht alles, was tot war, beerdigt wurde.

      Manch ein totes Tier wurde gegessen.

      Zum Beispiel ein Huhn.

      Wie das gehandhabt wurde, wollte Line miterleben, als es um das tote Huhn ging, das kopfüber an dem Fahrradlenker von Lüders Vater hing.

      Wie es zu Tode gekommen war, wusste Line nicht, aber dass es gegessen werden sollte, wurde schnell von Lüders Mutter beschlossen, die aus der Tür geeilt war und vor Begeisterung wegen der unvorhergesehenen ordentlichen Fleischmahlzeit in die Hände geklatscht und gut gelaunt: „Mal was Richtiges“, gezwitschert hatte.

      Lüders Vater hatte sein Rad an die Hauswand gestellt und das Huhn losgebunden, dem dabei ordentlich der Kopf wackelte.

      Dann trug er es an den großen, blassgelben, verkrampften Füßen kopfüber baumelnd ins Haus. Seine Frau und Lüder folgten ihm freudig.

      Und Line fragte gar nicht erst, ob sie mitgehen durfte, sondern blieb ihnen dicht auf den Fersen. Sie war neugierig und hatte keine Vorstellung davon, was mit dem Huhn

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