Ein Prinz für Movenna. Petra Hartmann
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„Wuääääääh!“
„Feine Gute-Nacht-Geschichte“, höhnte Orh. Er war noch etwas bleich um die Nase herum, doch schaffte er es inzwischen wieder, den Kopf oben zu halten. „Besser als meine Moglàt-Schlacht sind deine Schauermärchen ja wohl auch nicht.“
„Ach, warte es ab“, meinte Sparrow ungerührt. „Sieh einmal, Varel, das Sharkenthökk-Riff, das sind rasiermesserscharfe Unterwasserfelsen. Nur höchstens eine Handbreit unter der Meeresoberfläche liegen sie, sodass kein Ausguck sie jemals entdecken kann. Wenn Borh der Nordwind und die hartherzige Meereskönigin Reene ein Schiff dort hineintreiben – wie eine Messerklinge durch Butter zerschneiden dann die Riffkanten die Schiffskiele, und die Seeleute sind unrettbar verloren. Große, graue Eishaie kreisen rund um die Felsen, und wer sein Leben nicht in den steinernen Messerklingen verliert, der wird von den Eisbestien lebendig verschlungen mit Haut und Haar. Dann kreisen sie rund um das Riff, und nur ihre stahlgrauen Rückenflossen durchschneiden die Wasserlinie. Und wenn die Bluternte für sie gut und reichlich ausgefallen ist, dann will man sie sogar singen gehört haben: ‚Danke, Mutter des Meeres, für die gute Mahlzeit!‘“
„Wuääääääh!“
„Ach, du bist ja nicht bei Trost!“, schimpfte Orh. „Wie kannst du dem Kind solche Angst einjagen!“
„Ach was“, sagte Sparrow. Aber ein klein wenig ärgerte es ihn doch, dass Orh so gar keine Angst zeigte.
„Dort an der Küste gab es viele kleine Fischerdörfer, in denen Menschen zu Hause waren, die vom Ertrag der See lebten“, fuhr er fort. „Manche stellten dem Thunfisch und dem Hering nach, manche legten Kastenfallen für Hummer und Krebse aus, und manche heuerten auch auf den abenteuerlichen Walfängern an und kehrten erst nach Jahren wieder zurück – die Taschen voll Gold und den Mund voller Seemannsgarn. Doch viele, und das ist wirklich wahr, lebten auch vom Riff selbst. Sie sammelten Strandgut. Und diejenigen, die das an der Küste angeschwemmte Treibholz sammelten, waren noch die harmlosesten. Manche waren auf die Ladung der Kauffahrer aus, die am Haifischriff gescheitert waren. Und manche, aber das ist nur ein Gerücht, manche sollen sogar absichtlich die Schiffer mit ihren flachen Booten ins Verderben gelotst haben. Das waren böse Zeiten damals.
Nun lebte aber auch in jener Zeit ein kleiner Junge, den sie Elektryon riefen. Er hatte bernsteinfarbene, blitzende Augen und einen wachen Verstand, und oft, wenn die Erwachsenen von tödlichen Havarien auf dem Sharkenthökk-Riff erzählten, stand er dabei und dachte mit gerunzelter Stirn nach. Oft sah man diesen Jungen, wie er am Ufer stand und weit aufs Meer hinausblickte, dorthin, wo man zwar die gefährlichen Felsenriffe nicht sehen konnte, wohl aber die Rückenflossen der Eishaie, die dort draußen ihre Bahnen zogen.“
Prinz Varel hatte aufgehört zu schreien. Aus kritisch zusammengezogenen Augen blickte er den Schiffsjungen an, der mitten im Orkan am Mast hockte und Märchen von Haifischen und Riffen erzählte.
„Als die Zeit herankam, in der die jungen Männer ihren künftigen Beruf wählen sollten“, fuhr Sparrow fort, „da nahm Elektryons Bruder eine Stelle bei einem Kaufmann an. Ein Vetter ging an Bord eines Walfängers. Und mehrere seiner Freunde gingen wohl auch unter die Riffpiraten. ‚Und du, sag, was möchtest du einmal werden?‘, fragte man den Knaben. ‚Ach‘, sagte er träumend, ‚ich will Leuchtturmwärter werden.‘ Da lachten sie ihn alle aus. ‚Du Dummer‘, spotteten sie, ‚an der ganzen Küste gibt es keinen Leuchtturm. Wo willst du denn Leuchtturmwärter sein?‘ ‚Dann werde ich eben selbst einen bauen. Mittendrin im Sharkenthökk-Riff‘, sagte er trotzig. Und als sie weiter lachten, da schnürte er sein Bündel und zog in die weite Welt auf der Suche nach einer Möglichkeit, seinen Traum wahr werden zu lassen.
Elektryon zog südwärts. Viele Dörfer und Städte sah er. Aber wo immer er seinen Traum vom Leuchtturm auf dem großen Riff erzählte, erntete er nur Gelächter oder ungläubiges Kopfschütteln. Hilfe fand er nicht, und niemand schien Interesse an einem solchen Signalfeuer zu haben.
So gelangte er schließlich auch in die Stadt Dichtaby. Abgerissen und müde, in durchgelaufenen Schuhen, so kam er durchs Stadttor herein, die Haare staubig und das Gesicht voll Schmutz, und nur die Bernsteinaugen des Fischersohnes leuchteten noch immer vom Traum, einen Leuchtturm zu bauen. Ein mitleidiger Schiffsbauer gab ihm schließlich Arbeit in seiner Werft, und für Essen und ein Quartier begann Elektryon mit dem Kalfatern von dickbauchigen Kaufmannsschiffen ...“
„Verstehe kein Wort, und der Prinz auch nicht“, knurrte Orh unwillig. „Was ist Kalfatern?“
„Abdichten“, sagte Sparrow. „Entschuldige, Varel. Er schmierte die Fugen zwischen den Hölzern zu. In seinem Dorf hatte man die Ritzen fest mit Werg verstopft und schwarzes, klebriges Erdpech dazugegeben. Und wenn die ganze Schiffswand mit einer dreifachen Pechschicht überzogen war, dann drang bestimmt kein Wasser mehr ins Innere ein. In Dichtaby aber war vor kurzem das Dibbukit erfunden worden, ein neuer Klebstoff, der wesentlich schneller trocknete als das Fischerpech und dabei auch noch elastisch blieb und nicht riss oder bröckelte wie das Pech, das man spätestens nach der dritten Ausfahrt wieder erneuern musste. Für eine Weile vergaß Elektryon sogar seinen Traum vom Leuchtturm über der Arbeit mit dem Dibbukit.
Doch dann, eines Tages, kam die Nachricht nach Dichtaby, dass der König die Nachbarstadt Urasport besuchen würde. König Flaric wollte dort die Bauarbeiten für das neue Hafenbecken inspizieren. Da beschloss der Junge, mit dem König über seinen Leuchtturm zu sprechen. Er verabschiedete sich also von seinem Schiffsbauer und machte sich auf den Weg nach Urasport.
Aber ach, als der kleine Leuchtturmwärter dort ankam, da hingen überall in der Stadt schwarze Flaggen, und das prächtige Königsbanner mit der Lachmöwe auf rotem Grund schwankte traurig auf halbmast. Alle Frauen hatten ihr Gesicht unter schwarzen Tüchern verhüllt. Und als Elektryon um eine Audienz beim König bat, da hieß es, König Flaric sei in Trauer, und er habe schon seit Tagen mit niemandem mehr gesprochen.
‚Das ist ja furchtbar‘, sagte der Junge. ‚Ist denn jemand aus der königlichen Familie gestorben?‘
‚Nein, etwas viel Schlimmeres ist geschehen‘, sagte ein Diener des Königs. ‚Ein schrecklicher feuerspeiender Drache ist über die Stadt hergefallen und hat des Königs Tochter entführt. Ach, wir werden die liebliche Beryllis sicher nie mehr wieder sehen.‘
Da stellte sich Elektryon auf die Zehenspitzen – und tatsächlich, er reichte dem Diener fast bis zur Brust. ‚Sag dem König, ich werde ihm seine Tochter wieder zurückbringen‘, gab der Fischersohn entschlossen bekannt. Und als der Diener sich halb totlachen wollte, machte der Leuchtturmwärter auf dem Absatz kehrt und stapfte mit festem Schritt zum Hafen.
In einer Schiffswerft am Fluss Lethargyrion fand er Arbeit und hatte bald so viel Geld verdient, dass man ihm aus der Werkstatt alles überließ, was er als Drachenjäger gebrauchen konnte – einschließlich eines alten Zinneimers als Helm, eines rostigen Enterhakens und einer großen Anzahl Taue. Auf einem Fischerboot aus Dichtaby vervollständigte er seine Ausrüstung und nahm auch ein Dutzend Stockfische mit auf seine Expedition. So zog er los in die Berge, wohin, wie mehrere Zeugen berichteten, der Drache geflogen sein sollte.
Die Spur des Untiers war nicht schwer zu finden. Überall hatte die Riesenechse schreckliche Verwüstungen angerichtet. Verkohlte Reste von Höfen und Hütten, die der Feuerstrahl des Drachen getroffen hatte, säumten den Weg. Brennende Felder und von Flammen verzehrte Wälder zeigten dem Jungen nur allzu deutlich, wohin der Drache geflogen war. Da, plötzlich, sah er ihn. Hoch oben in den Felsen hatte er seine Höhle. Und er hörte auch schon die Prinzessin Beryllis um Hilfe rufen. Da machte sich der kleine Leuchtturmwärter startklar. Er setzte den Zinneimer auf, den er