Ein Prinz für Movenna. Petra Hartmann

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Ein Prinz für Movenna - Petra Hartmann Movenna

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wäre der Frieden vollkommen.

      Orh Jonoth lehnte am Bugspriet und starrte gedankenverloren in die See. Der riesenhafte Krieger hatte auch am vierten Tag ihrer Reise den schwarzen Harnisch noch nicht abgelegt. Auch wenn der schwere Eisenpanzer seinen sicheren Tod bedeuten würde, falls der Hüne bei einer ruckartigen Bewegung des Schiffes über Bord gehen sollte. Die fast fingerstarken Metallplatten, die in der Schlacht schon mehrfach sein Leben bewahrt hatten, würden ihn unrettbar in die Tiefe ziehen, und Harrod und Löwener hatten ihn bereits mehrfach eindringlich gewarnt. Doch Orh hatte nur eigensinnig den Kopf geschüttelt und die Rechte auf den schweren Waffengurt gelegt. Das wuchtige Breitschwert baumelte wie eine blutige Drohung an der Seite des Akkatossers, und die dunkle Doppelaxt aus hartem, bernländischem Stahl mochte schon mehr Schädel gespalten haben, als Menschen an Bord waren.

      Welch ein eigenwilliger Entschluss von König Orsan, ausgerechnet diesen Kämpen als Kindermädchen für den Säugling abzustellen, dachte Löwener. In alten Zeiten hätte man gewiss eine Komödie darüber verfasst. Aber Orsan war tot, gefallen in der letzten Schlacht um Movenna, und einen besseren Mann für seinen letzten Auftrag hätte er schwerlich finden können. Orh würde das Kind mit seinem Leben verteidigen, soviel stand für den Steuermann fest. Keine Frage, der beste Mann des Königs würde diesen Auftrag ausführen ...

      Orh Jonoth starrte düster ins Wasser. Die dunklen Wolken, die um seine Stirn lagerten, verliehen ihm ein noch finstereres Aussehen, als es der dunkle Panzer ohnehin schon tat. Wie ein drohender schwarzer Felsen stand er dort in der Mittagssonne, dumpf vor sich hinbrütend in nachtschwarzen Gedanken.

      „Auf dem Schild oder mit dem Schild sollst du heimkehren“, so riefen die Frauen der Bernländer es einem Krieger nach, wenn er in die Schlacht zog. So hatte es auch seine Rieke ihm nachgerufen. Tot oder als Sieger führte der Weg zurück in die Heimat, ein Drittes gab es nicht. Aber dort hinten, jenseits der Berge, war das Heer Movennas hingesunken. Der König tot. Die jungen Moven’Am tot. Die bernländische Garde tot, wie es einem Krieger aus Akkatossa ziemte. Nur er selbst ... Der Kämpe ballte die Faust.

      Wusste Orsan eigentlich, was er von ihm verlangt hatte? Der König war kein Kriegsmann. Den empfindlichen Ehrenkodex der Bernländer – er hätte ihn nie begreifen können. Flieh und rette meinen Sohn – ein solcher Befehl an einen Bernländer. Orh Jonoth war Soldat. Ein Soldat hat den Befehlen seines Heerführers zu gehorchen. Auch wenn es nur ein Tölpel mit Krone war. Wieder ballte er die Faust, ließ sie donnernd auf die Bordwand niederjagen, dass das Schiff erzitterte. Auch, wenn der Befehl lautete zu fliehen?, grübelte er grimmig. Auch, wenn der Befehl den Stolz und die Ehre des Kriegers in den Staub trat? Wäre es da nicht seine Pflicht gewesen, Fahnenflucht zu begehen und sich dem Heer voran in die erste Schlachtreihe zu stellen? Er wusste es nicht.

      Nur, dass er selbst, wenn er das Kommando gehabt hätte, die Schlacht nicht so hoffnungslos verloren hätte, das schien ihm sicher. Was sollte man auch von einem König halten, der im Angesicht des Feindes den Schlachtruf Surbolds vergaß? „Mir nach!“, hätte er brüllen sollen, sich selbst als erster den Scharen der Moglàt entgegenwerfen müssen. Doch dieser unreife Knabe, Angst hatte er bekommen, als die Ebene vor ihm schwarz wurde vom Heer der Moglàt. „Ihr Männer, voran!“, hatte er in der ersten Panik gebrüllt und hatte damit ein heilloses Chaos angerichtet. Die Gegner hatten ein leichtes Spiel mit den verwirrten Schlachtreihen Movennas. Doch da war er selbst schon auf der Flucht. Ein Bernländer auf der Flucht. Orh Jonoth, der sich aus der Schlacht davonstahl wie ein Knabe der Waldwohner. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn. Hätte er bleiben sollen?

      Der Riese starrte brütend vor sich ins Meer. Die Lachmöwe glitt durch flaches, klares Wasser, und unter sich konnte der Hüne den Meeresgrund erkennen. Eine bizarre Landschaft aus Korallen und lautlosen Algenwäldern breitete sich dort aus, über die der Schatten ihres Schiffes wie eine schwarze Wolke hinweg glitt. Dunkle, grüne Pflanzenwedel wogten dort unten auf und nieder, und der Akkatosser verfolgte mit den Augen eine gefleckte Muräne, die sich durch das Buschwerk des Meeres wand und davonglitt, lautlos wie eine der großen Sandkatzen des Festlands.

      Ein Schwarm von bunten Fischen blinkte im Schatten der Lachmöwe auf. In allen Regenbogenfarben glänzten ihre Schuppen, und Orh wurde fast fröhlich zumute, als er diese Komödianten des Meeres durcheinanderpurzeln sah. Doch plötzlich stoben die Tiere in wilder Flucht auseinander. Zurück blieb ein grauer, fast armlanger Raubfisch, der einen der Kleinen als Beute zwischen den Zähnen hielt. Mit einem raschen Flossenschlag tauchte er ab. Orh entdeckte erst jetzt in der Tiefe eine Gruppe in schimmernde Muschelpanzer gekleidete Gestalten. Hoch auf schlanken Delphinen ritten diese Meerleute, und einer, oder vielmehr eine von ihnen, machte eine knappe Geste mit der Hand. Sofort sank der graue Räuber wie ein gelehriger Falke auf den Arm der zierlichen Seeprinzessin nieder und warf ihr seine Beute in den Schoß.

      Und weiter huschte der Schatten der Lachmöwe über den Meeresgrund. Orh sah Felder und Wälder, und dort, tatsächlich, da breitete sich unter ihm ein kleines Städtchen aus mit zierlichen rotgedeckten Dächern und Kuppeln aus grünschimmerndem Kupfer wie in seiner bernländischen Heimat. Rotberockte Meermädchen schritten mit geflochtenen Körben unter dem Arm zum Markt, und junge See-Männer glitten stolz auf dem Rücken ihrer Delphine durch die Straßen. Vierspännige Kutschen rollten über die Hauptstraße, und dort, das junge Mädchen mit dem Strauß Korallen in der Hand, das war wohl auf dem Weg zu seinem Liebsten. Als der Schatten des Seglers sich über das Städtchen legte, blickten die Menschen nach oben. Viele lachten freundlich und winkten. Doch als das Mädchen den Kopf hob, da standen Tränen in seinen Augen.

      „Rieke“, flüsterte Orh, als er das bleiche Gesicht erkannte.

      Ein freudiger Glanz breitete sich über das Gesicht des Mädchens. Rieke öffnete die Arme, und Orh flog seiner Geliebten entgegen ...

      „Großer, bist du verrückt geworden!“ Eine kleine braune Faust umklammerte seinen Fußknöchel wie ein Schraubstock. Schnell sprang Löwener herbei und half dem Schiffsjungen, Orh zurück an Bord zu hieven. „Nur ein Gaukelspiel Reenes“, meinte der Steuermann knapp. „Hütet Euch vor den Künsten der Meeralten.“

      Orh Jonoth nickte. „Danke“, sagte er. Und doch wünschte er, die beiden hätten ihn nicht gerettet.

      Goldauge

      Windstille. Missmutig stapfte Orh Jonoth an Deck der Lachmöwe auf und ab. Die Planken dröhnten dumpf unter dem Gewicht des bernländischen Riesen, der noch immer den schweren, dunklen Schuppenpanzer trug, als gelte es, in eine Schlacht zu ziehen. Schon seit zwei Tagen dümpelte der flachbordige Segler bereits auf der fast unbewegten See vor sich hin, und ein Ende der Flaute war nicht abzusehen. Die Segel hingen wie schlaffe Gespenster im unbewölkten Winterhimmel, und selbst als Kapitän Harrod den Befehl gegeben hatte, das Tuch zu befeuchten, damit nur ja kein noch so leichter Windzug durch die Poren des Leinengewebes entkommen konnte, selbst da hatte sich dort oben nichts geregt. Sicher, die Ruderer hatten sich anfangs noch tüchtig in die Riemen gelegt. Aber selbst der zähe Löwener hatte irgendwann nicht mehr weiter gekonnt, und Harrod hatte eine Pause geboten.

      Zornig ballte Orh die Faust. Es hätte nicht viel gefehlt, und der Riese hätte die schwere Doppelaxt aus dem Gürtel gezogen und vor lauter Ärger den Mast niedergehauen. Und nur das eine war an der ganzen Lage noch erfreulich zu nennen, dass nämlich der Säugling, der ihm die ganze Nacht über die Ohren vollgeplärrt hatte, endlich verstummt war. Sparrow, der Schiffsjunge, hatte für Varelian aus einem alten Wasserfass eine provisorische Wiege gebaut und am Großbaum aufgehängt, und da pendelte der junge Kronprinz nun zwischen Luft und Meer und war augenscheinlich eingeschlafen. Gut so. Wenn nun noch Wind käme ...

      Einzig Sparrow schien gut gelaunt zu sein. Leise pfeifend schlenderte er auf Orh zu und grinste ihn an. „Hey, Großer, wenn du nichts zu tun hast, könntest du mir eigentlich helfen.“

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