Korridorium – der SciFi-Fraktor. Cory d'Or

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Korridorium – der SciFi-Fraktor - Cory d'Or

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Coq au vin, den Herr Koriander nicht angerührt hatte, schmeckt jedenfalls auch kalt noch überaus köstlich.

      [Unter der originalen Blog-Veröffentlichung des obenstehenden Textes gibt es einen externen Link zu Informationen über den Science-Fiction-Autor Stanley G. Weinbaum († 1935). Sämtliche externen Links des Korridoriums finden Sie in der archivierten Version; s. Nachwort. Anm. d. Hrsg.]

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       16.12.11

      Ich betrete den Korridor, der einmal ein Abluftrohr gewesen ist, um zum mehrstöckigen Einkaufsviertel zu gelangen, das wir ins Tai He Dian, in die Halle der Höchsten Harmonie, gebaut haben. Hier leben, auf viele Ebenen verteilt, Millionen von uns. Die jungen Menschen hier in den Straßen und auf den geschwungenen Brücken sehen mich mit einer gewissen Ehrfurcht an: ein Greis. Sie mögen ahnen, dass ich ein Relikt bin und zur allerersten Generation der Neuen Chinesen gehöre, den Pionieren des Großen Umbaus. Der Gedanke, die Verbotene Stadt könne Platz für knapp drei Milliarden von uns bieten, rückte damals in den Bereich der technischen Umsetzbarkeit, und tatsächlich gehörte ich damals zu den Wissenschaftlern, die dem Nationalen Volkskongress vorschlugen, unser Volk zu verkleinern, um die Ressourcen unseres Kontinents zu schonen und unserem Volk eine lange und glückliche Zukunft im Wohlstand zu ermöglichen.

      Auch wenn wir das Projekt eines Neuen China mit großem Ernst und akribischer Sorgfalt zu Ende gebracht haben, bin ich heute nicht mehr sicher, ob die großangelegte Miniaturisierung eine gute Idee war. Zwar verbrauchen wir jetzt – nur noch ein Dreißigstel unserer ursprünglichen Größe messend – nicht mehr als knapp ein Hundertstel der vorherigen Ressourcen. Dennoch ist unser Plan, mit gutem Beispiel voranzugehen und zum ehrenhaften Vorbild für die anderen Völker der Welt zu werden, nicht aufgegangen. Aus dem Riesenreich China haben wir, wenn auch mit den ehrenhaftesten Absichten, ein Zwergenreich gemacht. Einmal ganz abgesehen von dem Rattenproblem, das wir, auch wenn es vertuscht wird, hier in der Verbotenen Stadt haben und vor dem uns auch nicht unsere 13844 antiken geschnitzten Drachen bewahren: Nicht nur, dass sich kein anderes Land unserem Gemeinsamen Marsch Zur Wahren Größe anschließen mochte – man achtet uns nicht mehr und nimmt uns nicht mehr für voll. In den Augen der Welt sind wir Chinesen zu einem unbedeutenden und bestenfalls niedlichen Kuriosum geschrumpft.

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       19.1.12

      Ich betrete den Korridor. Oder vielleicht sollte ich angesichts der fehlenden Schwerkraft besser sagen: Ich schwebe in eine der Speichen unserer Raumstation hinein. Hier lagern unsere Archäologen die Artefakte einer Zivilisation halbwegs intelligenter Wesen, die sich offenbar selbst vernichtet haben. Was genau auf diesem Planeten geschehen ist, bleibt derzeit Gegenstand der Spekulation, da wir die Schrift der Aliens noch nicht entziffert haben. Sie besiedelten den gesamten Planeten, und fast überall fanden unsere Wissenschaftler ihre mit Motoren und Rädern versehenen Metallpanzerungen, die sie offenbar industriell anfertigten. Dass sie sich bevorzugt damit auf der Oberfläche ihres Planeten umherbewegten, führen unsere Forscher in einer ersten Arbeitshypothese auf eine übertriebene Angst vor Meteoriten zurück – zu ihrer Vernichtung muss allerdings etwas anderes geführt haben.

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       1.2.12

      Ich betrete den Korridor und beeile mich, rechtzeitig zu Zimmer Nr. 27 zu gelangen. Herr Koriander, unser Gast, legt Wert darauf, dass ihm das Essen – wieder ist es Coq au vin, eine Spezialität unseres Hauses – pünktlich um fünf Minuten nach Mitternacht serviert wird. Heute hat Pascal, der Koch, ein wenig getrödelt, und ich muss es ausbaden. Doch Herr Koriander, der mir die Tür aufmacht, scheint nicht böse zu sein, dass ich mich ein wenig verspätet habe. Wieder ist er nicht allein. Es sitzt ein älterer Herr dort, mit erstem Gesicht und dichtem schwarzem Haar, der ein wenig steif und unsicher wirkt.

      Ich serviere beiden ihre Mahlzeit und gieße jedem ein Glas stilles Tafelwasser ein, so, wie es Herr Koriander wünscht. »Bitte bleiben Sie doch«, bietet er mir an, und ich stelle mich neben das Bett in dem kleinen Gästezimmer, um jederzeit nachschenken zu können.

      Der Gast von Herrn Koriander beäugt ein wenig kritisch das Hähnchen auf seinem Teller. »Man is no more than a little fleck of foam …«, sagt Herr Koriander, und als sein Gast fortfährt »… on the torrent of existence«, höre ich heraus, dass er Engländer ist. Er lächelt. Das Eis scheint gebrochen.

      Der Engländer beginnt zu essen, und Herr Koriander stellt lauter Fragen und schreibt eifrig in seine Notizbuch. Mich scheinen die beiden vergessen haben, oder vielleicht denken sie auch, ich spreche kein Englisch. Ich verstehe aber genug, um mitzubekommen, dass die beiden kurz den Mars und seine Bewohner streifen, um dann zur Venus, auf der Menschen leben, was mich sehr verwirrt. Herrn Koriander scheint es immer wieder um Dinge wie Intelligenz und Bewusstsein zu gehen, denn er stellt ständig Fragen danach und lässt sich von seinem Gast dessen Sicht auf diese Dinge erklären.

      Plötzlich dreht sich der Engländer zu mir um. Er hat einen sehr wachen Blick, und ich glaube, ich werde ein wenig rot. Ohne seine tiefliegenden Augen von mir zu lassen, fragt er Herrn Koriander, ob sie hier im Hotel vielleicht ein Schwimmbad haben. Herr Koriander verneint. Auch ich schüttle den Kopf. Der Engländer senkt wieder den Blick und murmelt so etwas wie »too bad«.

      Das intensive Gespräch der beiden geht weiter, und die Reise in eine ferne Zukunft setzt sich fort. Nicht nur von einer, von unserer Menschheit, ist die Rede, sondern von einer ganzen Reihe aufeinanderfolgender Menschheiten und sogar einer, in der sich die einzelnen Menschen telepathisch zusammenschließen zu einer Art Superintelligenz, wenn ich das richtig verstanden habe. In zwei Milliarden Jahren – kann es wirklich sein, dass die beiden über eine solche unvorstellbare Zeitspanne reden? Und das, wo doch unsere Welt noch in diesem Jahr enden soll?!

      Der Engländer hat schließlich den Teller leergegessen, schüttelt aber den Kopf, als ihm Herr Koriander noch seine Portion anbietet, die er nicht angerührt hat. »Sie können abräumen«, meint dieser dann zu mir. Gerne hätte er sich, sagt er zu seinem Gast, als ich mit dem Tablett das Zimmer verlasse, noch über die Intelligenz und das Bewusstsein von Sternen und Galaxien unterhalten hätte. Mir schwirrt der Kopf. Ich starre oft staunend in den lichterübersäten nächtlichen Himmel. Dass aber die abertausend Leuchtpunkte über mir ein eigenes Bewusstsein, dass sie Intelligenz besitzen könnten, ist mir noch nie in den Sinn gekommen!

      Pascal ist noch da und löchert mich, als ich ihm das Tablett in die Küche stelle. Eigentlich müsste ich ihm erklären, dass es zwei Verrückte sind – von denen der eine auf rätselhafte Weise aufgetaucht ist, denn ich habe den ganzen Abend die Rezeption nicht verlassen, außer einmal, als ich aufs Klo musste. Aber mir stehen noch ihre beiden Gesichter vor Augen und die Ernsthaftigkeit, mit denen sie sich über ihre verschrobenen Themen unterhalten haben. Deshalb sage ich Pascal nur, dass sich da oben in Zimmer 27 bei uns zwei Schriftsteller getroffen hätten.

      »Schriftsteller, hm-hm«, sagt Pascal mit einem süffisanten Grinsen, »und nur Tafelwasser, sagst du?« Er möchte noch einen Wein mit mir aufmachen, aber ich schicke ihn nach Hause.

      Kurze Zeit später steht Herr Koriander mit Hut und Mantel an der Rezeption und legt mir den Zimmerschlüssel und ein Trinkgeld hin. Fast hätte ich ihn gefragt, wer dieser Mann mit den intensiven Augen gewesen ist, aber da ich glaube, Herr Koriander hat unser kleines Landhotel deshalb ausgewählt, weil wir hier sehr diskret sind, halte ich dann doch den Mund.

      Das Zimmer ist leer, das Bett unberührt. Wie es der Engländer geschafft hat, unbemerkt

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