Korridorium – der SciFi-Fraktor. Cory d'Or

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Korridorium – der SciFi-Fraktor - Cory d'Or

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Stimme klingt nach einem Jugendlichen. Ich kann sie nicht lokalisieren und stolpere den Korridor entlang. Kommt sie von vorne? Der Gang ist gebogen, sein Ende nicht zu sehen. »Hallo? Ist da wer?«

      »Tom. N?h?o. Ich hab da ein paar Fragen, Cory.«

      Cory? Ja, Cory. Aber wer ist Cory? Meine Erinnerungen widersprechen sich. Ich bin gleichzeitig eine Journalistin, der Schüler eines buddhistischen Meisters, der Minotaurus, eine Xeno-Linguistin … Wie kann das sein?

      »Du bist doch ’n schlaues Kerlchen. Hast ’ne Menge geschrieben. Und ich brauch jetzt deine Hilfe. Es geht um den ›Untergang der europäischen Postmoderne am Beispiel eines Literatur-Blogs aus dem Jahr 2012‹. Ich brauch da Input.«

      Wovon redet er? Der Korridor hat einfach kein Ende, und die Stimme bleibt immer bei mir. Ein Traum? Nein: Immer, wenn mir dieser Verdacht in einem Traum kommt, verwandelt er sich in einen Klartraum. Doch das funktioniert diesmal nicht. Ich wache nicht auf, weder im Traum noch im Bett. Und doch ist es irreal.

      »Kannst du was anfangen damit, Cory? ›Untergang der Postmoderne‹?« Die Stimme hat etwas Drängendes.

      »Das Korridorium …«

      »Japp. Davon rede ich. Soll ich ’ne Facharbeit drüber schreiben.«

      »Das Korridorium …«, setze ich erneut an, aber ich verstumme, denn mit einem Mal wird mir klar, dass ich das Korridorium und alle Geschichten darin geschrieben habe. Ich bin das nicht, sondern ich habe es erdacht. Ja, so muss es gewesen sein. Daher die widersprüchlichen Erinnerungen: Geschichten, die ich mir alle nur ausgemalt habe.

      »Wo bin ich?«, frage ich in den gebogenen Gang. Es sind Türen da – habe ich sie vorher nicht bemerkt? Sie tragen Nummern, wie in einem Hotel. Dabei fühlt es sich eher an wie eine Bibliothek, wie der Korridor zwischen den Bücherregalen, und so riecht es hier auch. Ein Hotel, das nach Büchern riecht. Gar nicht schlecht eigentlich. 398 steht auf der Tür. Ich drücke die Klinke herunter, aber sie ist verschlossen.

      »Überall und nirgends. Du bist ein Y?ulíng mit der Aufgabe, mir bei der Facharbeit zu helfen. ›Postmoderne‹, der Teach spinnt doch!«

      Auch die nächste Tür ist verschlossen. Und die nächste. Und so fort. Jede trägt die gleiche Nummer. 398. Vielleicht bin ich verrückt geworden? Oder tot.

      »Jetzt sag schon: Was ist postmodern an deinem Geschreibsel, und inwieweit spiegelt das den Untergang wider?«

      »Was ist ›Teach‹?«

      »Mein Deutsch-Teach. Tut aber nichts zur Sache. Die wird nie von dir erfahren. Ich hab dich mit Hilfe deiner Texte rekonstruiert. Private Y?ulíngs sind zwar verboten laut J?ngshénrechts-Charta, aber das ist ja hier sozusagen ein Notfall.«

      Rekonstruiert? Ich laufe den Korridor entlang, rüttle an verschlossenen Türen, die alle die 398 tragen – dazu meine durcheinanderwirbelnden Erinnerungen an einen Haufen Hippies, die Pest, an ein Endlager für Atommüll, an die Arche Noah …

      »Eine Rekonstruktion?«

      »Japp. Hab hier am Labor-Táishì meines Vaters einfach einen Blanko-Mind genommen, mit deinen Texten gefüttert und die Sekundärliteratur abrufen lassen. Plus die wichtigsten Daten vom Anfang des Jahrtausends, das Zeitgeist-Package 1970 bis 2012. Den Rest erledigt die Stem.«

      »Blanko-Mind?«

      »Interessiert doch jetzt keinen Benz, Mann. Das ist alles nach deiner Zeit. Ich bin nicht hier, um dir die Welt zu erklären.«

      »Die Welt von wann?«

      »67. Ich sag ja: Lange nach deiner Zeit.«

      »2067?«

      »Ja, Bingo.« Seine Stimme klingt genervt.

      2067. Wie kann das sein? Tatsächlich erinnere ich mich dunkel, gestorben zu sein. Der Tunnel ins Licht. Oder nein, das Schwert im Rücken. Doch das sind wohl auch nur Geschichten, Geschichten, anhand derer ich rekonstruiert wurde. Deshalb kann ich nur wissen, was in den Texten steht – und nichts von meinem Tod, dem des Autors, dessen Rekonstruktion ich bin. Seine – oder ihre – Storys allerdings sind widersprüchlich. Es muss Absicht sein, dass sie sich nicht festlegen. Wie soll ich wissen, wer ich bin, nicht einmal ob Mann oder Frau oder ob überhaupt ein menschliches Wesen, wenn genau das gerade das Suchspiel war, das Rätsel? Wenn alles pluridimensional daherkommt und fraktal zersplittert? Aber nein, löst sich nicht am Ende des Blogs überraschend alles auf, und es wird klar, wer Cory ist und was es mit all den Geschichten auf sich hat?!

      Doch ich kann dem Gedanken nicht weiter folgen, sondern werde unterbrochen. »Okay, Mann, also das Korridorium: 400 Blogeinträge, insgesamt vom Umfang eines mittelschweren Romans. Irgendwo da drin muss was zum Untergang der Postmoderne stehen – oder halt was Postmodernes, das den Untergang beleuchtet. Also leg mal los, du bist doch Schreiberling.«

      »Es sind 398 Texte. Nicht 400. Dreihundertachtundneunzig!«

      »Wie auch immer.«

      »Und sie sollten nicht postmodern sein, sondern post-postmodern. Verstehst du? Integral.«

      »Hör zu: Das ist hier nicht der Mathe-Unterricht.«

      Ich werde wütend. Da rekonstruiert mich jemand im Jahr 2067, indem er ein Blanko-Bewusstsein mit meinen Texten füttert und irgendein Computer daraus den Geist des Autors, also mich, hervorkitzelt, aber es ist kein Literaturwissenschaftler, kein Historiker, nicht einmal ein Liebhaber skurriler Kurzprosa, sondern nur irgend so ein ignoranter Schnösel, der für die Schule was über mich schreiben muss und zu faul ist, auch nur eine Zeile davon zu lesen!

      »Jetzt hör du mir mal zu, du Banause! Du musst da was falsch verstanden haben: Ich hab die Postmoderne transzendiert, das mit dem Untergang ist Schwachsinn: Die Postmoderne kann doch allenfalls durch die nächste Kulturstufe, also die Integrale Perspektive abgelöst und in sie integriert worden sein! Die Moderne ist doch auch nicht ›untergegangen‹.«

      »Nee, im Gegenteil: Nach der Postmoderne kam die Remoderne, und dann die Prenaissance. Déle. Das ist alles nach deiner Zeit, und jetzt lass uns endlich die Facharbeit schreiben.«

      Mir schwirrt der Kopf. Die Postmoderne mit all ihren Errungenschaften soll gescheitert und spurlos verschwunden sein? Doch nicht etwa – durch mich?!

      »Das Korridorium hat den Untergang verursacht?!«

      »Wohl kaum. Ich hab natürlich recherchiert, was es mit diesem Korri- D?ngd?ng auf sich hat, aber es ist nix drüber zu finden. Blieb wohl unbeachtet, und ich schätze, dass es an der Quote für deutsche Literatur liegt, dass der Teach das Ding ausgegraben hat. O Mann! Zwanzigtausend Zeichen Minimum inklusive Leerzeichen – hätte echt lieber was über chinesische Literatur geschrieben!«

      »Aber es muss doch einen Wikipedia-Eintrag zum Korridorium geben!«

      Die Stimme lacht. Ein kurzes, genervtes Lachen. »Das ist dann wohl der monströse postmoderne Narzissmus, von dem der Teach redet: immer nur um sich selbst kreisen. Nee, Wikipedia ist längst Geschichte, der Dschiessibi hat die Sùzhìpedia draus gemacht, nach dem Meltdown.«

      »Meltdown?«

      »2030. War nach deiner Zeit. Und in der Sùzhìpedia …«

      »Was

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