Korridorium – der SciFi-Fraktor. Cory d'Or

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Korridorium – der SciFi-Fraktor - Cory d'Or страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
Korridorium – der SciFi-Fraktor - Cory d'Or

Скачать книгу

Versteckspiel immer wieder die monströse Hybris und der ebenso abscheuliche wie fatale Werte-relativierende Narzissmus aufschimmern, die aber dann letztlich das glorreiche Zeitalter der Remoderne einläuteten und die Prenaissance ermöglichten – und natürlich unseren Großen Kaiserlichen Wohltäter auf dem Drachenthron, den Dschiessiebi.

      [Auf viele in dieser Geschichte erwähnten Figuren und Situationen wird im Original-Blog jeweils intern verlinkt. Passwort und Link – und damit den Zugriff auf die »Korridore«, auf die in dieser Story angespielt wird – finden Sie im Nachwort dieses E-Books. Anm. d. Hrsg.]

      156/398

       14.4.12

      Ich betrete den Korridor. Pascals Coq au vin duftet wieder einmal köstlich. Gerade verklingen die zwölf Schläge der Kirchturmuhr. Ich bin ein wenig früh dran und bleibe wartend vor Zimmer Nr. 27 stehen.

      »Aber ich habe uns Essen bestellt!«, höre ich hinter der Tür die Stimme von Herrn Koriander, unserem Gast für diese Nacht. Etwas rumpelt. Die Antwort kann ich nicht verstehen. »Oh doch, das können Sie, ich bestehe darauf!«, meint Herr Koriander nachdrücklich. Wieder poltert etwas. »Warten Sie doch bitte wenigstens auf das Essen!«, fleht Herr Koriander. Ich beschließe, auch wenn ich vor Aufregung jetzt bestimmt rot werde, sofort zu servieren. Ich klopfe. Herr Koriander öffnet mir. »Sehen Sie?«, sagt er nach hinten gewandt..

      Ein kleiner Mann steht auf dem Bett. Er hat eine Halbglatze und hinten nur wenige weiße Haare, trägt eine Brille und hat ein recht lustiges, rundes Gesicht mit abstehenden Ohren. Wie alt mag er sein? Sechzig Jahre, achtzig Jahre? Schwer zu sagen …

      »Oh«, macht er und steigt vom Bett runter. Er inspiziert mein Tablett, und es scheint ihm zu gefallen, was er sieht. Ich serviere ihnen das Essen auf dem Tisch. »Nur Wasser?«, fragt er, als ich das Tafelwasser in zwei Gläser gieße. Er hat einen leichten Akzent, den ich nicht ganz einordnen kann.

      »Natürlich«, sagt Herr Koriander. Dann öffnet er sein Notizbuch und fängt, während sein Gast anfängt, das Hähnchen zu zerlegen und es kräftig zu pfeffern, mit seinen Fragen an. Ich trete ein paar Schritte zurück neben das Bett und halte mich bereit, um Wasser nachzuschenken.

      Zu Anfang geht es – ich hätte es mir fast denken können – um den Mars. Da sie Deutsch reden, verstehe ich diesmal alles. Und doch kapiere ich so gut wie nichts. »Arlanthropos« scheint der Name für einen Marsmenschen zu sein, der jedoch nur ein Stückchen Gehirn in einer großen Maschine aus Metall ist und keine menschlichen Interessen teilt. Korianders Gast jedoch scheint nicht darüber reden zu wollen und brummt immer wieder missmutig. Er scheint dem Akzent nach irgendwo aus dem Osten zu kommen, Russland vielleicht oder Rumänien. Ich bin mir nicht sicher.

      »Wohin ist Golem der Vierzehnte verschwunden?«, möchte Herr Koriander nun wissen, aber sein Gast belehrt ihn, dass es so nicht geht und auf ganz andere Dinge ankomme, auch gerade angesichts der kurzen Zeit.

      Herr Koriander scheint ein wenig pikiert. Er presst die Lippen zusammen und schlägt sein Notizbuch zu. Sein Gast lächelt, nimmt es ihm aus der Hand, sieht hinein und sagt »Pirx«. Doch Herr Koriander schüttelt den Kopf. Es gehe ihm um Evolution und um Bewusstsein.

      Sein Gast lächelt spitzbübisch und fragt: »In einem kleinen schwarzen Kasten?« Herr Koriander beißt auf seine Lippen und sagt dann: »Trurl«. »Klapauzius«, sagt sein Gast. So verrückt geht das Gespräch der beiden weiter. Irgendwie bekomme ich mit, dass sich der Besucher offenbar eher als andere Gedanken um Künstliche Intelligenz und Nanotechnologie gemacht hat. Eine Zeitlang geht es zwischen den beiden um etwas, das sie »Phantomatik« nennen, dann um eine gewisse bakterielle »Eruntik«. Sie hätten aber auch Altägyptisch reden können, da hätte ich wohl genauso viel verstanden.

      Schließlich ist es Zeit, abzuräumen. Herr Koriander scheint ein wenig verzweifelt, als er in seinem Notizbuch die Liste seiner noch gar nicht gestellten Fragen studiert. Sein Gast lacht, und ich höre sein Lachen noch, als ich vor dem Aufzug stehe und die Kirchturmuhr eins schlägt.

      [Unter der originalen Blog-Veröffentlichung des obenstehenden Textes gibt es einen externen Link zu Informationen über den Science-Fiction-Autor Stanislaw Lem († 2006). Sämtliche externen Links des Korridoriums finden Sie in der archivierten Version; s. Nachwort. Anm. d. Hrsg.]

      163/398

       21.4.12

      Ich betrete den – Korridor ist hier vielleicht das falsche Wort, da es nahelegt, dieser Gang sei dafür da, dass Menschen ihn benutzen. Das würde ich in diesem Falle zwar gerne glauben, aber tatsächlich ist das bei einem Kanal oder genauer: einem Abwasserkanal nicht der Fall. Es ist ein mannshoher, gemauerter Tunnel, in den von beiden Seiten weitere Kanäle münden – ein Tunnelsystem unter der Stadt.

      Ein toter menschlicher Körper mag sich, je nach den äußeren Umständen, in wenigen Wochen oder Monaten zersetzen – beim Metabolismus einer Stadt aus Stein, Metall, Glas und dem künstlichen Stoff der Damaligen gehen Jahrhunderte oder Jahrtausende ins Land, bis die Natur sich vollends zurückerobert hat, was der Mensch ihr abgerungen hatte.

      Sie nennen uns Leichenfledderer – und tatsächlich vergleichen wir das Objekt unserer Untersuchungen gerne mit einem Körper, einem menschlichen Körper. Da die Stadt seit langer Zeit verlassen ist, handelt es sich um einen toten Körper. Eigentlich führen wir wie Pathologen eine Obduktion durch, nur dass wir nicht nach der Todesursache forschen. Die liegt auf der Hand. Wir forschen nach kleinen Organen der Stadt, die vielleicht noch von Nutzen sind.

      Das Kanalsystem der Stadt, mein Fachgebiet, stellt ihr Ausscheidungsorgan dar. Durch ihre tief in der Erde verborgenen Gedärme fließt schon lange kein Abwasser mehr. Deshalb stinkt es hier auch nicht, wie manche vielleicht meinen, die angesichts meiner Aufgabe die Nase rümpfen. Ich bin nicht sehr angesehen unter meinen Leuten, ich weiß. Aber ich nehme meine Aufgabe ernst und gebe mein Bestes.

      Es ist immer dasselbe. Nach einem langen Fußmarsch sind wir plötzlich da, der ganze Trupp. Uns bietet sich kein Widerstand – von Schlingpflanzen und einsturzgefährdeten Bauten abgesehen. Wir fallen lärmend in die meist totenstill daliegende Stadt ein, erreichen ihr Zentrum, verteilen uns vor dort aus, jeder mit seiner persönlichen Aufgabe betraut. Wenige Stunden später sammeln wir uns wieder auf dem Hauptplatz, und schon wenig später liegt die verfallene Stadt wieder tot da, und es ist, als seien wir nie dort gewesen.

      Einem lebenden Körper muss Luft und Nahrung zugeführt werden. Nervenbahnen, Adern und ein Lymphsystem durchziehen ihn. Die Nahrung wird verdaut und Energie wird produziert, die in Tätigkeiten und Kommunikation umgesetzt wird. Ein Immunsystem und verschiedene Reparaturmechanismen wehren Feinde ab und halten Verfall, Verschleiß und unkontrollierten Wildwuchs auf, wo immer und wie lange das eben möglich ist.

      All dies galt auch für die großen Städte. Wir haben uns, in Anlehnung an Heiler, die damals mit den verschiedenen Organen und Systemen im menschlichen Metabolismus betraut waren, Namen gegeben, Spitznamen, die sich auf unser jeweiliges Spezialgebiet beziehen. Ich bin der »Proktologe«.

      Die alten Städte gelten als verfluchte Orte, und ein wenig färbt das auf uns, die Totenbeschauer, ab. Wir sind Ausgestoßene, und es heißt, wir stehen mit Dämonen im Bunde. Deshalb sind wir gezwungen, unter uns zu bleiben. Manchmal rauben wir Frauen. Auch ich komme langsam in das Alter, in dem ich eine Familie gründen sollte. Ich habe mein Auge auf die »Neurologin« geworfen. Aber wie soll ich ihr imponieren? Ich müsste dafür einen bedeutenden Fund machen. Doch was lässt sich hier in den Abwässerkanälen schon entdecken?

Скачать книгу