Korridorium – der SciFi-Fraktor. Cory d'Or
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Читать онлайн книгу Korridorium – der SciFi-Fraktor - Cory d'Or страница 7
»Doch nicht Japanisch! Das ist Chinesisch und heißt ›schnelles Wissen‹.«
»Du sprichst Chinesisch?«
»Nur Mandarin. Jedenfalls steht nichts übers Korridorium drin. Es gibt da nur irgendeine Fußnote. Eine einzige.«
»Was für eine?«
»Keine Ahnung, hab ich mir nicht gemerkt.«
»Zum Thema ›Pluridimensionales Weltbild‹ vielleicht? Oder zu ›fraktale Literatur‹?«
»Mann, du gongst!«
»Dieser Meltdown: Danach ging’s steil bergab, oder? Ich meine: ›Remoderne‹, das klingt nach Regression. Und mit der ›Prenaissance‹ scheint es die Menschheit ja dann auf einen Schlag zurück ins dunkelste Mittelalter versetzt zu haben.«
»Na, das sagt der Richtige. Der Teach hat recht. Hauptcharakteristikum der Postmoderne: ihre abscheuliche Hybris. Neben ihrem fatalen Werte-Relativismus natürlich.«
»Und wer Cory ist? Hast du das recherchiert?«
»Interessiert doch jetzt wirklich keinen Benz. Hör endlich auf, mich vollzugongen. Ich stelle hier die Fragen! Wer soll Cory schon sein? Cory halt. Du.«
»Was soll das mit dem ›Benz‹? Wovon redest du?«
»Das ist chinesisch. Und damit pik.«
»›Benz‹ soll chinesisch sein? Und was ist ›pik‹?«
»Na, pik. Pikant. Zu deiner Zeit hätte man wohl ›cool‹ gesagt.«
»Zu meiner Zeit … Du hast mich doch gerade erst rekonstruiert. Von damals weiß ich nur irgendwelche Geschichten. Der echte Cory dagegen – hat eigentlich mal jemand rausgefunden, wer hinter dem Künstlernamen steckt?«
»Was gibt’s da rauszufinden. Ist halt irgend so ein postmodernes Versteckspiel. Du musst doch wissen, wer du bist!«
Ich kann mich an eine Preisverleihung erinnern. War es nicht sogar der Literatur-Nobelpreis? Offenbar nur eine der Geschichten. Ich kann meinen Erinnerungen nicht trauen. Wenn ich doch nur in Ruhe über mich nachdenken könnte! Und wie ich hier herauskomme aus dem endlosen Korridor … Ich stelle fest, dass mir das Herz pocht und ich nach Luft ringe. Es kommt mir vor, als hätte ich einen Marathonlauf hinter mir. Oder bin ich einfach nur wütend? Ich bin mir nicht sicher – auch nicht, ob ich überhaupt einen Puls habe oder atme. Ich bin nur eine Simulation, zusammengesetzt aus Worten. Können die mit der Methode alle wieder zurückholen? Joyce, Homer, Kafka, Goethe?
»Weißt du was, Mann?«
Ich lehne schweratmend an einer der Wände des Korridors. Was hätte Cory jetzt getan?
»Ich geb den ganzen Kram meiner Mutter. War ’ne Scheißidee, dich zu rekonstruieren. M? meint, ich brauch die Spitzennoten für später, Karriere und so, und dann soll sie halt was dafür tun. Für sie ist die Facharbeit ein Klacks.«
»Und was ist mit mir?«
»Was soll schon sein. Ich lösch dich wieder.«
»Das kannst du nicht tun!«
»Werden wir ja sehen.«
»Warte!« Wie hieß er noch? «Ich kann dir helfen, Tom.«
Er lässt sich Zeit mit der Antwort. Ich fühle, wie mir der Schweiß ausbricht.
»Es gibt da diese Geschichte«, rufe ich in den leeren Korridor, »über die Chinesen: Sie schrumpfen sich, bis alle von ihnen in die Verbotene Stadt reinpassen. Eine Satire.« Ich muss improvisieren. Ein Versuchsballon, aber etwas Besseres fällt mir nicht ein.
»Ganz schlecht. Das wird dem Dschiessiebi nicht gefallen. Komisch, dass das dem Teach durchgerutscht ist.«
»Wer ist dieser Dschiessiebi?«
»Unser Großer Kaiserlicher Wohltäter. Der auf dem Drachenthron.«
»Eine … chinesische Weltdiktatur?«
»G?upì!« Es klingt wie ein abfälliges »Quatsch!«, als er das sagt. Jetzt bloß nichts Falsches sagen! Ich bin ein namenloser Gefreiter, der Teufel, ein Elefant, ein Schweigemönch, eine alte Frau mit Alzheimer, ein Attentäter, eine Stimme aus dem Jenseits, eine Nachtschwärmerin, ein Computeralgorithmus … Alles zugleich, und alles durcheinander. Um Zeit zu gewinnen, muss ich eine Geschichte erzählen. Die Geschichte, die er hören will.
Ich senke meine Stimme und lege allen Nachdruck hinein: »Aber gerade das könnte doch eine Spur zum Untergang der Postmoderne sein, verstehst du?!«
»Hm. Nicht schlecht. Da könnte ich was dran aufziehen.« Tom scheint anzubeißen.
»Hybris, weißt du? Postmoderner, narzisstischer Größenwahn. So waren wir damals alle. «
Vielleicht habe ich übertrieben, denn Tom zögert jetzt. Schließlich meint er gedehnt: »Hast du nicht gesagt, du warst … integral.«
»Ja, klar, das ist ja gerade der Größenwahn: zu denken, man könne ganzheitlich-nachhaltig alle Aspekte umfassen und integrieren, Machthierarchien durch Kompetenzhierarchien ablösen, pluridimensional-umfassende Lösungen für die komplexesten Probleme finden, den Werteverfall als neuen Wert hochjubeln. Das musste ja zum Untergang führen, gerade angesichts dessen, was sich da zu meiner Zeit in China entwickelte.«
»In China entwickelte?«
»Na, die Remoderne. Oder schon die Prenaissance. Der Dschiessiebi und die – wie hieß noch die neue Menschenrechts-Charta?«
»J?ngshénrechts-Charta.«
»Ja, Mann, was auch immer das ist: der Untergang der europäischen Postmoderne – steht alles drüber drin im Korridorium. Ich kann dir da jede Menge erzählen.«
»Dann schieß los. Du diktierst, und Bàs Táishì schreibt mit. Aber schön mit Gliederung und Fußnoten, hörst du? Ich leg dann mal meine Füße hoch.«
Hätte Cory das gemacht? Um sein – oder ihr – Leben geredet und alles verraten, die Hoffnung, Sehnsucht, die Erkenntnisse und das Ringen um etwas, für das es sich zu schreiben und zu kämpfen lohnt? Nur um nicht umgehend wieder gelöscht zu werden? So muss sich Scheherzerade gefühlt haben.
»Weißt du, Cory, ich will später einfach nur Tiger nachzüchten.«
»Tiger nachzüchten, tatsächlich?«
»Lässt der Great Chinese Benefactor in Zhongguancun über tausend Forscher dran tüfteln, aber die kriegen’s einfach nicht hin, trotz DNA und allem. Wenn ich das dann schaffe, bin ich ein gemachter Mann. Du ahnst nicht, was die da für Tigerj?bas bezahlen würden. Als Afrosidia ... diasi …«
»Aphrodisiakum.«
»Japp.« Und nach einer kurzen Pause: »Bist doch gar nicht so’n Idiot, wie ich dachte, Cory.«
Und