Wie aus einem totalen Kollateralschaden ein kollateraler Totalschaden wurde. Harald Hartmann

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Wie aus einem totalen Kollateralschaden ein kollateraler Totalschaden wurde - Harald Hartmann

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unaufhaltbar durch jedwede irdischen Kräfte in ihrer libidonösen Entfesselung. Handelte es sich gar, wie heute, um die raren, alles durchbrechenden Nachrichten wurde sogar die ganze Welt in kürzester Zeit wie von einer Epidemie erfasst, in Lichtgeschwindigkeit sozusagen. Moderne Medien waren die einzige Macht, die es schaffen konnte, die Welt ohne traditionelle Waffen, ohne explosive Hardware, zu beherrschen.

      Natürlich wollten sie das von Natur aus fragile Reich, das sich auf der Basis einer Nachricht gründete und das immer dem Zustand einer schwebenden Seifenblase glich, möglichst lange am Leben erhalten und wachten eifersüchtig über ihre Macht. Doch letzten Endes war nicht die Dauerhaftigkeit einer Seifenblase ihre Absicht und nicht die eigentliche Technik, an der sie arbeiteten. Es ging vielmehr um eine Erzielung von Langfristigkeit durch Wiederholbarkeit, um den Eindruck von Stabilität durch die ständige Erzeugung von unablässig aufeinander folgenden neuen Seifenblasen. Es war der immerwährende Aufbau kurzlebiger neuer Reiche durch den unaufhörlichen Strom an Neuigkeiten, ob wirklich wahr, nur behauptet oder Ressourcen schonend recycelt, spielte keine Rolle, die einen wärmenden Mantel von fürsorglicher Medienmacht über die Menschen ausbreiteten.

      6

      Im geheimen bayerischen Atombunker ahnte man nichts von den dramatischen Vorgängen draußen. Immerhin hatte man inzwischen etwas zu essen gefunden. Es gab reichlich Konserven mit wohlklingenden Inhaltsbeschreibungen, doch handelte es sich durchweg um schwere Nahrung, die natürlich in erster Linie den Hunger in einer solchen Situation stillen sollte, um das Tier im Menschen zu beruhigen. Der Finanzminister und der Wirtschaftsminister erklärten sich bereit, gemeinsam, einen großen Eintopf zu kochen, was ein durchaus beachtenswerter Vorgang war und auf allgemeine Zustimmung stieß. Auch der iranische Präsident war froh, dass es etwas zu essen gab.

      Das ursprünglich geplante Staatsbankett hatte die Form einer Feldküche angenommen. Es gab Bohnensuppe. Das machte ihm aber, vom kulinarischen Standpunkt aus betrachtet, überhaupt nichts aus, denn die Kulinarität war zu einem nachrangigen Faktor geschrumpft, weil ihm inzwischen klar geworden war, dass sie alle zusammen in einer Notsituation steckten, und dass man es nicht auf ihn abgesehen hatte. Leider gab es keine Möglichkeit für ihn, dieses nach draußen zu berichten. Er bedauerte das sehr und teilte diese Meinung auch den deutschen Politikern während des gemeinsamen, zivil gebändigten Suppeschlürfens mit. Überhaupt spürten plötzlich alle auch darüber hinaus sehr viel Gemeinsames, das sie verband. Scheinbar unüberbrückbare Gegensätze verschwanden im Angesicht einer gewissen Aussichtslosigkeit, als hätte es sie nie gegeben. Sogar eine Art Heiterkeit entsprang aus ihrer Mitte. Sie steigerte sich noch, als sich irgendwann die Folgen der Bohnensuppe bemerkbar zu machen begannen.

      Der iranische Präsident zeigte dabei unbekannte humoristische Qualitäten, als er ein iranisches Sprichwort, das in etwa bedeutete: Jedes Böhnchen macht ein Tönchen, ins Englische zu übersetzen versuchte. Aber nach einiger Zeit erwies sich, dass die Bohnensuppe aus mehr bestand als aus reinem Humor, nämlich auch als fataler Fehler in der Bestückung des Bunkers mit Nahrungsvorräten, insbesondere wegen der durch einen technischen Fehler verursachten, teilweise unterbrochenen Frischluftzufuhr. Das gemahnte alle mit unerfreulicher und ausdrücklich humorloser Sachlichkeit an den Ernst ihrer Situation.

      Inzwischen hatte die Polizei in Berlin ihre Arbeit getan und die Tote identifiziert, die der Unfall auf der Kreuzung gekostet hatte, als Burkhard Börns bei Rot mit dem Porsche losgerast war. Es war eine junge Frau. Genauer gesagt, war es die neue Freundin des ehemaligen Freundes der Unglücksfahrerin, die später noch diesen Unfall mit dem Eiertransporter auf der Autobahn verursachen sollte. Sie, also die neue Freundin, war, um die Vertreibung der Rivalin zu feiern, mit ihrem neuen Freund, der der alte Freund seiner ehemaligen Freundin war, zu einer Stadtrundfahrt auf die obere Etage eines offenen Doppeldeckerbusses gestiegen. Sie wollten etwas Außergewöhnliches an diesem Tag tun. Als Höhepunkt sollte es Champagner geben, den sie mitgebracht hatten und trinken wollten, natürlich stilecht in zwei Sektgläsern. Was folgte, war ein Moment, der in seiner Tragik von fast beispielhafter Schicksalhaftigkeit erschien, weil der folgenschwere Unfall sich genau in dem Augenblick ereignete, als der Korken knallend in die Luft geschleudert wurde und die Flasche vor lauter Lust überschäumte. Die Frau war sofort tot, gestorben in einem gerade von glücklichen Gefühlen überschwemmten Körper. Welch ein Übergang! Ein Glückstod, wie er nur wenigen Menschen zuteil wurde. Aber er, ihr neuer Freund, lebte und machte sich trotz oder gerade wegen des Schocks, der ihn wie eine Glocke umgab und von der Welt um ihn herum trennte, unglaublich vernünftige, ihm aber trotzdem irgendwie unwirklich erscheinende Gedanken über seine private Zukunft. Er fand es merkwürdig, dass er gerade jetzt daran dachte, ob es vielleicht das Beste wäre, zu seiner ehemaligen Freundin zurückzukehren.

      Gerade in Unglückssituationen, wenn auf einen Schlag soviel auf einen Menschen herab stürzte, dass er meinte, er könnte nur im Chaos untergehen, erfasste ihn oft eine überraschend auftretende Vernunft, die aber in Wirklichkeit nichts weiter war als eine verkleidete Unvernunft, die ihn an der Nase herum führte und ihm das Sich-Befinden im Reich der absoluten, leidenschaftslosen Klarheit der Gedanken vorgaukelte.

      Natürlich stimmte das niemals. Und auch in diesem Fall würden sich jegliche Ergebnisse solch luftleerer Gedanken als nichtig erweisen, insbesondere da die existenzbedrohenden, sich abzeichnenden politischen Ereignisse die üblichen Realitäten bereits zu verschlingen begannen. Größere, schwer zu kontrollierende Mächte kamen ins Spiel, betraten die Bühne. Ihre Wirkmechanismen waren so komplex, dass sie vom menschlichen Gehirn nicht zu erfassen waren. Die Handelnden, die Politiker also, konnten nur hoffen, zufällig die richtigen Schalter zu betätigen, um die sich auftürmende Welle der Vernichtung zu brechen. Dieser schweren, nun auf ihren Schultern lastenden Aufgabe hätte sich die Notregierung im Verteidigungsministerium am liebsten schnell wieder entledigt und an die richtige Regierung abgegeben. Deshalb hatte man sich auch, nachdem gemeldet worden war, dass die Regierung und der Staatsgast im Atombunker gefangen waren, unverzüglich und nachdrücklich um ihre Befreiung gekümmert.

      Da es ein extrem gut gesicherter Bunker gegen jede Art von Eindringlingen war, gab es nach Lage der Dinge nur eine realistische Möglichkeit, die Führung der beiden Staaten da heraus zu holen. Mit äußerster Dringlichkeit versuchte man daher den Leiter des Technikbüros zu erreichen, das die Sicherheitsanlage installiert hatte. Leider war er unauffindbar. Seine Sekretärin war deshalb nicht beunruhigt, weil der Chef sich gerne einmal nach einem Termin außerhalb eine schöpferische Pause gönnte, was auch immer er damit meinte. In solchen Fällen gab er jedenfalls vor, spazieren zu gehen, ziellos, und sich treiben zu lassen. Weil er ein schlauer Fuchs war, hatte er natürlich längst gemerkt, dass Unerreichbarkeit kein Luxus war, auch wenn sich das so anfühlte, sondern eine Notwendigkeit und eine wichtige Ressource, die allgemein immer und immer weiter verknappt wurde. Doch nicht für ihn. Er hatte für eine ausreichende Ressource in seinem privaten Darknet gesorgt.

      Ausgerechnet heute, da man ihn so dringend brauchte, war es wieder dunkel um ihn, und man konnte nichts anderes tun, als auf ihn zu warten. Um jedoch keine Zeit zu verlieren, schickte man vorsorglich einen Polizeihubschrauber zum Gelände der Firma, um ihn abholen zu können, sobald er auftauchte. Tatsächlich erwies sich das als kluger Gedanke, denn schon bald bog der Heißersehnte mit seinem schweren Geländewagen auf das Firmengrundstück ein. Fast wäre ihm das Herz stehen geblieben, als er die Polizisten und den Hubschrauber sah. Geistesgegenwärtig gab er Gas, riss das Steuer nach links und versuchte, ungesehen hinter das Gebäude zu kommen, um sich zu verstecken. Doch es war zu spät. Man hatte ihn gesehen und lief auf seinen Wagen zu. Er resignierte, blieb stehen und stellte den Motor ab.

      Schon seit einiger Zeit hatte er ein mulmiges Gefühl gehabt. Er konnte den Zeitpunkt des Auftauchens dieses Gefühls sogar exakt bestimmen. Es war, nachdem die Nachrichten damals gemeldet hatten, dass die Staatsanwaltschaft viele geheime Bankdateien in die Hände bekommen hatte. So wie es aussah, waren seine offenbar auch darunter gewesen. Er verfluchte seinen Steuerberater und diese unsägliche Idee mit der Steueroase, die ihm, wie ihm mit einem Mal bewusst wurde, schon immer nicht nur suspekt gewesen

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