Wie aus einem totalen Kollateralschaden ein kollateraler Totalschaden wurde. Harald Hartmann

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Wie aus einem totalen Kollateralschaden ein kollateraler Totalschaden wurde - Harald Hartmann

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mit seinem ewigen Gerede in die Scheiße geritten. Wieder schimpfte er heftig und mit überzeugter Empörung auf diesen verantwortungslosen Menschen. Er wusste, dass es sehr teuer werden würde für ihn und hoffte, dass er nicht ins Gefängnis musste. Was würde aus seiner Yacht? Sein Landsitz in der Toskana erschien im sicher. Und wie langweilig würde seine Abendgestaltung aussehen, ohne seine neue Geliebte, deren Haltung auch nicht wenig Geld verschlang. Geld, das wohl in Zukunft nicht mehr zur Verfügung stand.

      Blitzschnell hatte er die Situation erfasst und ein Bild seiner Lage klar vor Augen. Er würde selbstverständlich für ein paar Tage am Pranger der Boulevardpresse stehen und die Schadenfreude einer sensationslustigen Masse ertragen müssen. Diese Masse, die immer danach trachtete, Treibjagden auf anständige Bürger anzuzetteln, die andere leiden sehen wollte, Häme und Spott über sie auszukübeln liebte. Und das aus lauter Neid. Er hörte schon die Vorwürfe, die ihm seine Frau machen würde und natürlich auch seine Kinder, die nur schwer einsehen könnten, sich designermäßig zurückzunehmen und auf die man mit dem Finger zeigen würde.

      Sein Leben war in einer Sekunde zu einem Trümmerhaufen geworden. All das stand klar vor seinen Augen. Er hörte die Polizisten seinen Namen rufen. Das Ganze hatte die Unwirklichkeit eines schlechten Traums, und für einen Moment glaubte er an diesen Traum, und dass er jeden Augenblick erschöpft und schweißgebadet aus ihm erwachen würde. Doch die Polizisten waren echt und hatten soeben seinen Wagen erreicht. Deprimiert öffnete er die Tür und stieg aus dem Wagen aus, um sich zu ergeben. Doch statt mit einem strengen Verhaftungston wurde er mit Erleichterung begrüßt. Nach den Momenten mit der tiefen Sekundendepression erfasste er sofort, dass er falsch gelegen hatte mit seiner Einschätzung. Als gewiefter Geschäftsmann ließ er sich dieses Wechselbad der Gefühle nicht anmerken und schaltete sofort wieder in seine Routine zurück. Sicherheit und Souveränität erfüllten seine Ausstrahlung, als wären sie nie verschwunden gewesen. Ohne sichtbaren Übergang war er wieder Herr der Lage und ließ sich über die Umstände des Polizeiempfangs informieren. Er fühlte sich großartig. Schon immer war es sein Markenzeichen gewesen, Situationen schnell zu erfassen, zu spüren, woher der Wind wehte, sich blitzartig neu auszurichten und es so aussehen zu lassen, als hätte es gar keine Neuausrichtung jemals gegeben.

      Ein großer Teil seines geschäftlichen Erfolgs war wohl dieser Fähigkeit zu überlichtschnellen Reaktionen zu verdanken. Die Entscheidung, den Steuerberater zu feuern, erschien ihm nun im Licht der veränderten Lage jedoch etwas voreilig gewesen zu sein. Froh, sein Leben nicht völlig umkrempeln zu müssen, wich seine heiße Wut auf ihn wieder einem distanziert, unterkühlten Respekt für dessen professionelle Cleverness. Das war, wenn man sich die Mühe machen wollte nachzuzählen, nicht nur eine Polumkehr von Nord-und Südpol sondern es waren gleich zwei hintereinander. Hin zu Gefeuert und wieder zurück zu Nichtgefeuert in weniger, als die Sichtbarkeit zuließ. Ein Talent, mit dem er auch Präsident werden könnte, ging es ihm durch den Kopf. Von einer auf die andere Sekunde war er von jeglichen Selbstzweifeln beim Steuersparen befreit und lieferte damit einen eindrucksvollen Beweis dafür, wie dicht Depression und Freude beieinander lagen und wie stark ein richtiges Wort zur richtigen Zeit Wunder wirkte und heilen konnte.

      Als nun wieder unangefochtener Herr des ganzen Verfahrens schritt er mit entschlossener Miene und souveräner, nicht übertriebener Eile ins Büro, um sich die Unterlagen über die Sicherheitsanlagen des Atombunkers zu holen. Leider konnte er sie am dafür vorgesehenen Ort nicht finden. Das war ihm äußerst peinlich. Es war eine zweifache Peinlichkeit. Erstens, weil es überhaupt peinlich war, dass die Unterlagen nicht da waren und zweitens, dass er wusste, wo sie waren und er nun unangenehmerweise etwas aus seinem Darknet preisgeben und so schnell wie möglich dorthin musste, wo er sie liegen gelassen hatte.

      Ein Polizeiauto mit Blaulicht und Sirene brachte ihn zum Appartement seiner Geliebten. Hier musste die Tasche mit den gesuchten Unterlagen sein, die er gestern zu einem Kundentreffen mitgenommen hatte und dann wohl danach neben ihrem Bett in schönster sexueller Unzurechnungsfähigkeit vergessen hatte. Eigentlich durften solche sensiblen Papiere sein Büro gar nicht verlassen, aber es gab besondere Umstände, denn es winkte ein außergewöhnlich lukratives Geschäft, ein Geschäft, das sich, wenn man strenge Maßstäbe ansetzte, jenseits der Grenzen der Legalität abspielte. Ein besonders prickelndes Moment, das nicht einer gewissen Komik entbehrte, war in diesem Fall, dass ausgerechnet ein Vertreter des iranischen Präsidenten diskret an seine Firma herangetreten war, weil dieser an der erstklassigen Sicherheitstechnik für seinen neuen Bunker interessiert war. Gute, zuverlässige, deutsche Technik. Was konnte falsch daran sein? Wer Exportweltmeister sein wollte, musste auch dazu in der Lage sein, Gesetze kreativ interpretieren zu können, und er war ein ausgewiesener Meister der kreativen Interpretation.

      Während draußen der Polizeiwagen auf ihn wartete, betrat er mit nervösem Tunnelblick das Appartement, suchte und fand den Aktenkoffer unter dem Küchentisch. Er bemerkte weder den jungen Mann, der sich noch in letzter Sekunde ins Bad flüchten konnte, noch dass Anuschka nur dürftig bekleidet war, was ihn normalerweise lüstern gemacht hätte. Dass es heute nicht so war, empfand sie zum einen als beleidigend und ließ sie besorgt an ein Nachlassen ihrer Attraktivität glauben, zum anderen aber als sehr erleichternd, weil es nicht zu einer Eifersuchtsszene gekommen war. Nach nur wenigen nichtssagenden Worten, bei denen er sie nicht einmal ansah, verließ er mit dem Aktenkoffer die Wohnung.

      Unangemeldete Besuche im eigenen Revier konnten für den, der Aufregungen und Überraschungen liebte, ein Quell der Freude sein. Er sollte sich aber Zeit dafür nehmen, sie zu genießen und bis zur Explosion auszukosten, Zeit, die verständlicherweise in diesem Augenblick für den Leiter des Technikbüros nicht zu haben war. So saß er schon bald mit seinen geheimen Unterlagen in einem Hubschrauber, der ihn ins Verteidigungsministerium bringen sollte. Noch von unterwegs rief er drei seiner besten Spitzentechniker an, geniale Ingenieure der Ermöglichung des Unmöglichen, die er für diese unlösbare Aufgabe brauchte. Sie wurden ebenfalls unverzüglich, ohne Rücksicht auf ihre derzeitige Befindlichkeit, mit einem Hubschrauber abgeholt.

      7

      In Berlin wurde vom Bürgermeister die amtliche Nachricht verbreitet, dass sich ein Unfall ereignet hatte auch mit Beteiligung von radioaktivem Material, dass aber alles nicht so schlimm wäre, wie die Medien es darstellten. Man brauchte wirklich keine Angst zu haben, aber man würde den Leuten empfehlen, für ein paar Tage die Stadt zu verlassen natürlich nur, um kein unnötiges Risiko einzugehen. Die Behörden hätten die Lage unter Kontrolle.

      Es gab immer wieder Leute, die arrogant über die Dummheit des gemeinen Volkes schwadronierten. Sie wären sicher erstaunt gewesen zu sehen, wie nach dieser Politikerinformation dieses gemeine Volk in existenzieller Intelligenz sofort den Ernst der Lage begriff und panikartig die Stadt zu verlassen suchte. Selbstverständlich waren die Straßen im Nu verstopft und die Nervosität der an der Flucht gehinderten begann zu steigen. Sondersendungen, in denen Experten vermuteten und diskutierten, unterbrachen laufend die üblichen, extrem lustigen Fernsehprogramme im Land und heizten zusätzlich die aufgeregte Stimmung an. Es war etwas los, Langeweile existierte nicht mehr. Das Volk war überzogen von einer kollektiven Gänsehaut. Ungläubig fühlte es sich in die Kulissen eines Hollywood-Filmstudios während der Aufnahmen für einen Katastrophenfilm versetzt. Doch es verhielt sich umgekehrt. Das, was man schon tausende Male in Filmen gesehen hatte, war Wirklichkeit geworden. Was immer nur in Phantasien und Fiktionen lebte, hatte die Schranke zur physischen Wirklichkeit durchbrochen und konnte so das echte und unverfälschte Gefühl vermitteln, wonach alle ja immer auf der Suche waren.

      Die Politiker im geheimen Atombunker hatten inzwischen die Gewissheit, dass der Luftaustausch tatsächlich nur unzureichend funktionierte und vielleicht sogar überhaupt nicht, was dann ein SAU (schlimmster anzunehmender Unfall) war, weil am Technikpult des Kontrollraums ein Warnlämpchen aufblinkte, das darauf aufmerksam machte, dass dieser Unfall bereits eingetreten war. Immerhin waren sie nun nach dem Essen nicht mehr hungrig und konnten im Zustand friedlichster Hungerlosigkeit ihre gesamte Energie auf die Bewältigung ihrer misslichen Lage konzentrieren.

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