Wie aus einem totalen Kollateralschaden ein kollateraler Totalschaden wurde. Harald Hartmann

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Wie aus einem totalen Kollateralschaden ein kollateraler Totalschaden wurde - Harald Hartmann страница 9

Автор:
Серия:
Издательство:
Wie aus einem totalen Kollateralschaden ein kollateraler Totalschaden wurde - Harald Hartmann

Скачать книгу

Räumlichkeiten der Anlage zu untersuchen. Vielleicht gab es ja Einrichtungen, die ihnen helfen konnten, Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen oder wenigstens ihre Lebenszeit so weit zu verlängern, bis Hilfe eintraf. Ohne zu wissen, wie die Lage draußen war, ging man selbstverständlich davon aus, dass mit Nachdruck an ihrer Befreiung gearbeitet wurde. Schließlich waren sie die Führungsfiguren gleich zweier Staaten und man hatte keine Zweifel, dass beide Völker sie brauchten. Hätten sie in dieser Hinsicht auch nur den leisesten Hauch davon gehabt, wäre es einer beruflichen Selbstdisqualifizierung gleichgekommen. Denn der Glaube an die eigene Unersetzlichkeit und die unerschütterliche Überzeugung, dass die Menschen, sie sprachen immer von den Menschen, als wären sie selbst etwas anderes, sie brauchten, gehörte zur nicht verhandelbaren charakterlichen Grundausstattung eines jeden überlebensfähgen Politikers.

      Wie recht sie mit ihrer Annahme hatten, hätte ihnen ein Blick auf die eskalierenden politischen und sozialen Umstände deutlich machen können, wenn sie dazu technisch in der Lage gewesen wären. Mit großer, geübter Geste hätten sie das Missverständnis eines Anschlags auf den iranischen Präsidenten mit einer gemeinsamen Erklärung rasch aufgeklärt und die militärische Bedrohung wäre vom Tisch. In ihrer Unkenntnis pflegten sie die naive Vorstellung vom Ablauf einer normalen Durchschnittskrise da draußen, deren Lösung für sie kein Problem darstellen und ihnen letztlich allgemeinen Respekt einbringen würde oder vielleicht sogar einen Preis von einem richtigen König. Hätten sie aber das wahre Ausmaß der sich auf verschiedenen Ebenen dynamisch und exponentiell ausbreitenden Katastrophe gekannt, hätten sie sich nicht gewünscht, den Bunker wieder verlassen zu können, jedenfalls nicht so bald. So aber, wie die Dinge im Augenblick standen, waren Gedanken darüber müßig, weil sie gar nicht in der Position waren, eine Entscheidung dafür oder dagegen treffen zu können. Gefangen und gleichzeitig beschützt durch die Gnade der versagenden Technik, träumten sie den schönen Traum, die Kavallerie zu sein, die mit Fahnen und Trompeten in gestrecktem Galopp den bedrohten Menschen zu Hilfe kommen und jubelnd und Fähnchen schwingend empfangen werden würde.

      Zunächst musste man sich jedoch mit dem bescheiden, was der Bunker an Umwelt zu bieten hatte. Immerhin war das großzügig bemessen. Denn er war nicht klein, sondern groß wie ein Opernhaus, nur mit ganz anderen akustischen Eigenschaften wegen der dicken Wände und der vielen massiven Eisenteile. Angesichts der nicht weg zu diskutierenden Umstände, fand man sich, ohne die üblichen langen, zeremoniellen Debatten, schneller als ein Außenstehender es ihnen zugetraut hätte, in verschiedenen Expeditionstrupps zusammen. Wer mit wem und wie viel war egal und somit alles sehr liberal. Neugierig schwärmte man aus und entdeckte das Vermutete: unterschiedliche Schlafräume, mit mehr oder weniger Betten, sanitäre Anlagen, natürlich getrennt für alle Geschlechter und immer neue Vorratsräume bestückt mit Nahrungsmitteln in Dosen oder allerlei Hygieneartikeln oder mehrstöckig gestapelten Paletten mit vierlagigem, extra weichem Klopapier.

      Ein Ruf erscholl, ausgehend von einem dieser namenlosen Expeditionstrupps. Wenn man ihm aber einen Namen hätte geben wollen, um ihn von anderen unterscheiden zu können, so hätte sich bei diesem der Name Ver-Ver-Ex angeboten, auch die Schreibweise Ververex wäre möglich, wobei Ex für Expedition stand, das erste Ver für Verteidigungsminister und das zweite Ver für Verkehrsminister, denn er bestand aus nur zwei Personen, dem blassen, linkischen, unsicheren Verteidigungsminister und dem chronisch uninformierten, aber zum Ausgleich dafür wichtigtuerisch klugscheißenden Verkehrsminister, die ihre Sympathie für ein gemeinsames, ressortübergreifendes Handeln hier zum ersten Mal auch auf menschlicher Ebene entdeckt hatten. Wieder einmal bestätigte sich der Satz, dass sich Gegensätze anzogen. Von dieser Zusammenarbeit versprachen sie sich für die Zukunft bedeutende Synergieeffekte auf dem schwierigen Gebiet der Machterhaltung. Und wie zum Beweis für die Richtigkeit dieser Strategie entdeckte Ververex schon bald einen gut ausgestatteten Lagerraum mit einer großen Anzahl von Sauerstoffflaschen, die ordentlich aufgereiht und gegliedert in stabilen Regalen untergebracht waren. Das war der Grund für den soeben erschollenen Ruf.

      Sofort wurden die anderen Expeditionsteilnehmer so hellhörig wie Eulen in der Nacht, lösten im Nu ihre von taktischer Vernunft bestimmte Ordnung auf und stürmten, in hoffnungsvoller Hektik, sich fast über den Haufen laufend, heran. Interessiert aber hilflos starrten sie in den Raum. Jetzt schlug die große Stunde des Verkehrsministers, der zu der Zeit, als er noch einfacher Abgeordneter war, einmal mit einer Gruppe von Parlamentsabgeordneten eine zweiwöchige Reise zu den Malediven unternommen hatte, um sich vor Ort mit eigenen Augen über die Fortschritte demokratischer Verkehrsstrukturen auf diesem Inselstaat zu informieren. Das schloss selbstverständlich ein Faules-am-Strand-liegen aus und verlangte die Teilnahme an allen von der Regierung freundlicherweise angebotenen Informationsmöglichkeiten. Dazu gehörte auch ein intensiver Tauchkurs, der ihn dazu in die Lage versetzen sollte, die Unterwasserprobleme der Malediven aus verkehrspolitischer Sicht besser verstehen zu lernen. Neben dieser wichtigen Erweiterung seines maledivischen Verständnisses war als praktischer Nebeneffekt noch etwas anderes hängen geblieben. Er hatte gelernt, wie ein Sauerstoffgerät zu handhaben war und konnte so sein damals erworbenes Wissen zum Wohle der anderen nun weitergeben. Das geflügelte Wort „Reisen bildet“ hatte sich hier in hervorragender Weise bestätigt und wieder einmal gezeigt, dass man mit dem bösen Wort von der Steuergeldvergeudung, das Abgeordneten manchmal an den Kopf geworfen wurde, vorsichtig und nicht vorschnell umgehen sollte.

      Keine Theorie ohne Praxis war ein wichtiger politischer Grundsatz, den man nicht vernachlässigen durfte, und deshalb probierten alle aus, was der Verkehrsminister ihnen soeben über den Gebrauch solcher Geräte beigebracht hatte. Mit geschulterten und eingeschalteten Atemgeräten liefen die Politiker, es waren elf an der Zahl, wie sich beim Durchzählen herausstellte, umher, winkten sich zu, gaben sich Zeichen, hatten damit intuitiv, ganz nebenbei, eine gemeinsame, international zu verstehende Sprache gefunden und freuten sich über die reine, zusammengedrückte Luft, die jeder privat für sich auf diese Weise einatmen konnte. Man tapste herum und alberte ein wenig. Der iranische Präsident imitierte Schwimmbewegungen, so dass die anderen lachen mussten, was aber natürlich nur nach dem Herausnehmen des Mundstücks möglich war. Dann wurde es dem Verkehrsminister als momentan unbestrittener Experte der Sauerstofftechnik irgendwann zu bunt, und er beendete das Spiel.

      Jeder konnte sein Gerät behalten und sollte mit Filzstift seinen Namen darauf schreiben, auch um, hygienisch einwandfrei, keine Verwechslungen der Mundstücke zuzulassen. Wie Kinder in der Schule über den Lehrer, so meckerten und maulten daraufhin alle ein bisschen über den besserwisserischen, plötzlich so humorlosen Verkehrsminister, der jedoch souverän alle solchen Äußerungen überhörte, und stellten dann aber doch die Geräte brav zur Seite. Nach dieser Aufregung nahmen die Suchgruppen wieder ihre Expeditionen auf und schwärmten aus auf der Suche nach einer vergrabenen Lösung.

      Die Gesundheitsministerin und die Arbeitsministerin, die im Kabinett immer um die Gunst des Kanzlers buhlten und die den Kollegen wegen ihres Gezänks oft genug auf die Nerven gingen, bildeten erstaunlicherweise, aber vielleicht in Anbetracht der besonderen Lage verständlich, ein gut funktionierendes Team, was den Kanzler für die Zukunft hoffen ließ. Sie hatten nämlich bald die nächste interessante Entdeckung gemacht. Es war ein kleines Gerät mit einer Art Mikrofon, von dem sie aber nicht wussten, zu was es gut war. Der Arbeitsministerin kam sogleich in den Sinn, dass sicher einige ihrer hoch qualifizierten Langzeitarbeitslosen gewusst hätten, um was es sich dabei handelte und dass sie jetzt gerne ihre Kompetenz zu Rate gezogen hätte. Mit verständnislosem Gesicht zeigten sie das Gerät natürlich sofort den anderen, die daraufhin staatsmännisch ihre Stirn in Falten legten und begannen, sich ganz unstaatsmännisch am Kopf zu kratzen.

      Der Kanzleramtsminister, ein berüchtigter Grobling auf diplomatischem Parkett, kam hinzu und griff sich wortlos das Gerät. Er teilte den anderen unwirsch und sie verächtlich belehrend mit, dass dieses Ding natürlich ein Geigerzähler wäre. Allen entfleuchte ein lautes Ahhh, und er demonstrierte ihnen mit einer übertrieben untertriebenen Beiläufigkeit seine ausgereifte Einhandtechnik, mit der dieses sogenannte Ding ganz leicht zu bedienen war.

      Er schaltete das Gerät ein, und es gab sofort einen knatternden Ton von sich. Alle starrten erschreckt auf die weit ausschlagende

Скачать книгу