Jakobs kleiner Koffer. Ute Janas

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Jakobs kleiner Koffer - Ute Janas

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des Hotels. Johanna begrüßte sie herzlich, und wollte sich gerade mit ihr unterhalten, als ein großer, schwarzer Schatten auf sie zugestürmt kam: Max, der Familienhund. Er umkreiste sie aufgeregt, raste um die Sessel in der Halle, schmiss sich auf den Boden, sprang wieder auf und an ihr hoch und leckte ihr das Gesicht. Jedesmal, wenn ein schmerzlich vermisstes Mitglied der Familie nach einer Abwesenheit - und waren es auch nur zwei Stunden - nach Hause kam, führte Max einen regelrechten Freudentanz auf, und alle waren dann immer so gerührt, dass er anschließend eines von den Leckerli bekam, die immer bei Carla hinter der Theke standen. Max war seit vier Jahren Mitglied der Familie Oldenburg und völlig unerzogen. Ihr Vater, der die Versuche seiner Frau, einen „standesgemäßen“ Hund für das Hotel zu kaufen, regelmäßig dadurch hintertrieb, dass er von irgendwo her einen Mischling anschleppte, hatte Max als Welpen angebunden auf einer Autobahnraststätte gefunden und mit nach Hause gebracht. Der Kleine hatte die Hausherrin, in der er instinktiv wohl einen kritischen Fall witterte, mit seinen großen braunen Augen angeschaut und ihr dann die Hand abgeleckt. Damit hatte er ihr Herz gewonnen und Lotte hatte ihren Traum von einem afghanischen Hirtenhund wieder mal begraben. Allerdings war ihr damals noch nicht klargewesen, dass aus Max fast ein Neufund­länder werden würde. Er wuchs und wuchs und konnte inzwischen fast jedem gerade in die Augen sehen, wenn er sich aufrichtete. Da er zwar ungehorsam, aber ganz liebevoll war, mochte sich bald niemand mehr vorstellen, Max würde nicht mehr zum Haushalt gehören. Johanna tollte ein paar Minuten mit ihm herum, gab ihm die erwarteten Hundekuchen und ging über die Hintertreppe, deren Zugang sich hinter einer unauffälligen Tür in der Wandverkleidung verbarg, hinauf in die Wohnung ihrer Eltern.

      Sie wohnten im zweiten Stock unterhalb des linken Giebels, mit Blick auf die Talsperre in einer großzügigen, mit alten Möbeln ausgestatteten Wohnung. Die früheren Kinderzimmer in der Etage über der Wohnung der Eltern waren inzwischen zu Hotelzimmern umgestaltet worden, aber wenn Martin oder Johanna auf dem Lerchenhof übernachten wollten, fand sich für sie immer ein Platz. Philipp und seine Frau hatten nach dem Tod der Großeltern deren Wohnung im linken Seitenflügel übernommen, die mit der elterlichen Wohnung durch einen Zugang verbunden war. Johanna liebte dieses wunderschöne alte Haus mit seinen vielen verwinkelten Gängen, Treppen und Nischen. Dennoch war sie froh, in ihrer kleinen behaglichen Behausung in der Stadt leben zu können, hier war alles immer so groß und - ja öffentlich - gewesen. Ständig stand der Oberkellner oder die Köchin in der Wohnung, die Sekretärin hatte Probleme oder ein Gast verirrte sich dorthin, weil er das deutliche Schild „Privat“ versehentlich oder absichtlich überlesen hatte. Es war überhaupt erstaunlich, wie sehr die Hotelgäste, insbesondere die Stammgäste, am Leben der Hoteleigentümer interessiert waren. Sie wollten alles wissen und nahmen regen Anteil an den Entwicklungen innerhalb der Familie. Zu der Hoch­zeit von Philipp und Daisy hatten sich mindestens 20 Gäste vor der Kirche eingefunden und mussten zwangsläufig zum Mittagessen eingeladen werden. Für ihren Vater war diese Betriebsamkeit auch immer ein Gräuel gewesen, und er hatte sich seine Arbeitsräume im Dachgeschoss des linken Giebels eingerichtet, das man nur über eine kleine Treppe erreichen konnte, die von seinem Schlafzimmer nach oben führte. Dorthin hatte sich auch tatsächlich noch kein Gast verirrt und die Mitarbeiter des Hauses suchten seine Gegenwart ohnehin nicht, da sie von ihm keine Entscheidung ihre Arbeit betreffend erwarten konnten.

      Die Eltern sind schon ein seltsames Pärchen, dachte Johanna, als sie die Treppe hinaufging.

      Da war ihr Vater, inzwischen 69 Jahre alt und emeritiert, früher ein gefragter Wissenschaftler und langjähriger Professor an verschiedenen Universitäten. Seine Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Meeresbiologie waren von einiger Bedeutung gewesen, und so erfreute er sich gerade in der heutigen Zeit mit ihrem sich wandelnden Umweltverständnis immer noch einer großen Beliebtheit. Selbst jetzt wurde er noch hin und wieder als Gastredner zu Kongressen eingeladen. Sie hatte ihn als freundlichen, gelassenen und humorvollen Vater in Erinnerung, der allerdings selten zu Hause war. Ihre Mutter hatte sich schon frühzeitig ganz auf die Leitung und den Ausbau des Hotels konzentriert, so dass auch sie eigentlich kaum für ihre Kinder da war. Auch heute war Lotte Oldenburg allerdings noch immer Mittelpunkt und Herz des Hotels mit seinen fast 40 Angestellten, inzwischen unterstützt von Philipp, der ihr aber nach Johannas Meinung nicht das Wasser reichen konnte, was die Führung des Hotels betraf.

      Johanna und ihre Geschwister waren in ihrer Kindheit meist der Obhut von Gerta überlassen gewesen, der früheren Köchin, die dann zum Kinderrmädchen avancierte und bis zu ihrem Tod noch in einer Dachkammer des Hotels gelebt hatte. So hatten die Eltern ihr Leben geführt, der Vater meist in wissenschaftlichen Sphären, gelassen und freund­lich, die Mutter, mit beiden Beinen auf der Erde, aber auch immer hektisch und genervt. Und doch lebten sie schon 37 Jahre zusammen und Johanna spürte jetzt, als sie die beiden zusammen sah, dass zwischen ihnen mehr sein musste, als sie je mitgekriegt hatte.

      Ihre Mutter lag mit bleichem Gesicht auf dem Sofa und ihr Vater hatte sich einen Sessel herangezogen, damit er ihre Hand halten konnte. Bei Johannas Eintreten wandte er den Kopf und nickte ihr liebevoll zu.

      „Hallo Hanni, das ging ja schnell, schön, dass du da bist.“

      Johanna ging zu ihren Eltern und begrüßte sie mit einem Kuss. Lotte richtete sich auf und ordnete ihr Haar. Sie war offensichtlich bestrebt, die bevorstehende Unterredung in würdigem Zustand hinter sich zu bringen.

      „Setz dich, Kind“, sagte sie, „ möchtest du einen Kaffee?”

      Johanna verneinte. „Ich will keinen Kaffee, ich will Aufklärung über unser Familiengeheimnis.”

      „Ruf mal Philipp, damit wir das alles gemeinsam besprechen können”, bat ihr Vater.

      Nachdem Philipp und Daisy aufgetaucht waren, setzten sich die Kinder den Tisch. Lotte Oldenburg ergriff das Wort:

      „Es gibt eigentlich nicht mehr zu sagen, als Papa euch schon erzählt hat. Christina Heimberg, spätere Brandwell, ist meine richtige Mutter. Als ich vier Jahre alt war, ist sie nach England zu einem Major Brandwell gegangen und hat Vater und mich verlassen. Später hat sie Brandwell geheiratet, und mein Vater hat mit Paula-Anna, die ihr als Großmutter kennengelernt habt, und die für mich wie eine Mutter war, glücklicherweise auch eine gute neue Frau gefunden. Das ist alles.“ Lotte ließ sich erschöpft wieder auf das Sofa sinken. Johanna fand ihren Auftritt ein wenig theatralisch und ihre Ausführungen ein bisschen dürftig und hakte nach.

      „Aber warum wurde denn diese Geschichte bis heute verschwiegen, warum durften wir das denn nicht wissen?“, fragte sie mit Unverständnis.

      Jetzt antwortete ihr Vater: „Das lag an eurem Großvater, für ihn war die ganze Geschichte ein fürchterlicher Schandfleck in der Familiengeschichte, und er bestand darauf, dass sie nie mehr erwähnt wurde. Für eure Mutter war dies auch nach seinem Tod eine Ver­pflichtung.“

      Diese Erklärung passte in ihre Erinnerung an den Großvater, aber Johanna fand es trotzdem komisch, dass ihre Mutter sich auch nach Opas Tod an seine Anweisungen gehalten hatte. Sie war sich ganz sicher, dass sie selbst anders gehandelt hätte.

      Wie unterschiedlich Mama und ich sind, dachte sie mit einem kleinen Bedauern. Was für ein Mensch mochte wohl ihre richtige Großmutter gewesen sein? Sie dachte an den Anlass für das heutige Gespräch, und empfand plötzlich Trauer über den Tod einer Frau, von deren Existenz sie bis heute nichts gewusst hatte. Mit Paula-Anna, die sie als Großmutter kennengelernt hatte, verband sie keine schönen Erinnerungen. Sie war streng und unnahbar gewesen, furchtbar dick, immer in schwarze Gewänder gehüllt, und sie duldete keine Kritik an ihrem Mann, den sie abgöttisch liebte. Sie empfand plötzlich Ärger über die Unbarmherzigkeit ihrer Familie, die es verhindert hatte, dass sie Christina zu Lebzeiten kennengelernt hatte.

      „Bei allem Respekt vor Großvaters Gefühlen“, sagte sie deshalb kühl, „so etwas hättet ihr uns nicht verheimlichen dürfen. Eine Großmutter ist kein Privateigentum, und wir haben ein Recht darauf, unsere

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