Ohne mich. Hanna Goldhammer

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Mutter“, antwortete ich nach kurzem Überlegen.

      Lotte sah mir an, dass es mir nicht ganz wohl dabei war, deshalb versuchte sie mir ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, was jedoch wegen des ganzen Popcorns in ihrem Mund gründlich schief ging. Sie sah ein wenig aus wie ein grinsender Hamster. Dieser Gedanke wiederum, brachte mich dann tatsächlich zum Lachen. Jetzt war ich, so glaubte ich, bereit meine Mutter zu sehen. Ihr ging es mit Sicherheit gut!

      Mutter: Tag 0

      Oh Gott die Schoko Muffins! Um ein Haar hätte ich sie im Ofen vergessen! Blitzschnell sprang ich vom Sofa auf, rannte in die Küche, riss die Ofentür auf, zog das Blech Muffins heraus und prüfte kritisch ob sie noch genießbar aussahen. Sie waren schwarz. Zum Glück jedoch nicht schwärzer als es für Schoko Muffins nun mal üblich war. Es war also gerade noch einmal gut gegangen! Eine Katastrophe wäre es gewesen, wenn die Muffins die ich extra für Tom, der uns am Wochenende endlich mal wieder besuchen wollte, gebacken hatte, verbrannt wären! Wo es doch seine Lieblings-Muffins waren! Schon als kleines Kind hatte er sie von allem was ich backte, am liebsten gegessen. Aber inzwischen war er erwachsen. Auch wenn ich es manchmal nicht fassen konnte, dass aus meinem kleinen Jungen inzwischen ein erwachsener selbstständiger Mann geworden ist. Mein Mann und ich konnten so stolz auf ihn sein! Mit seinen 20 Jahren war er schon so vernünftig und hatte bereits ein Stipendium an einer äußerst renommierten Universität. Wenn er uns morgen endlich einmal wieder besuchen käme, würde er uns vielleicht auch endlich seine Freundin vorstellen. Der Gedanke, dass er bereits vor zwei Jahren von Zuhause ausgezogen war, um bei ihr zu wohnen, sie uns aber noch immer nicht vorgestellt hatte, machte mich ein wenig traurig. Aber ich konnte ihn irgendwie verstehen, seine Freundin kam einfach aus einer anderen Welt.

      Ich schaltete das Radio an und begann jeden einzelnen Schoko Muffin zu verzieren. Es machte Spaß und ich brauchte schließlich eine Beschäftigung, wenn mein Mann so gut wie nie Zuhause war und ich gerade einmal nicht in der Suppenküche arbeitete. Auch wenn nicht immer alles einfach war, war ich glücklich mit meinem Leben. Ich glaubte das Beste daraus gemacht zu haben und ich hatte noch nicht verlernt mich auch an den Kleinigkeiten zu erfreuen. Meine beiden Katzen zum Beispiel, zauberten mir noch immer jeden Tag ein Lächeln auf die Lippen. Und wie ich so in der Küche stand, die Schoko Muffins verzierte, fröhlich vor mich hin trällerte, und mein Leben genoss, wurde plötzlich die Radiomusik für eine Sondermeldung unterbrochen. Ein schweres Zugunglück hatte sich vor kurzem ereignet. Ganz hier in der Nähe. So wie es aussah gab es viele Tote. Ich war kurz davor zu Gott zu beten und ihn zu bitten die armen Seelen der soeben Verstorbenen wohl bei sich aufzunehmen. Doch dann hielt ich mich zurück, denn ich betete nicht. Es war eine Gewohnheit von früher, als ich noch gläubig war, doch seit meiner Fehlgeburt vor sechzehn Jahren hatte sich einiges geändert. Ich betete nicht mehr, denn ich war nicht mehr in der Lage an einen Gott zu glauben. An einen Gott der solche furchtbaren Dinge zulassen konnte.

      Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch, als es plötzlich an der Tür klingelte. Ich war fast ein wenig dankbar dafür, denn ich begann schon wieder sentimental zu werden. Trotzdem fragte ich mich, wer denn um diese Uhrzeit bei mir klingeln sollte. Das tat sonst auch niemand. Seltsam. Als ich dann den Flur entlang auf die Tür zuging, glaubte ich sogar durch das große Glasfenster an der Tür die schemenhaften Umrisse zweier Polizisten erkennen zu können. Sehr seltsam. Doch als ich dann die Tür öffnete war da nichts. Nichts und niemand war weit und breit zu sehen. Also hatte ich mir das Klingeln und die Polizisten nur eingebildet? Noch viel seltsamer, aber auch irgendwie gut so. Es wäre sicher kein gutes Zeichen gewesen, wenn auf einmal Polizisten vor meiner Tür gestanden hätten. Also schloss ich die Tür wieder und lief kopfschüttelnd zurück in die Küche, um dort weiter die Muffins zu verzieren.

      Sabrina: Tag 0

      Lotte hielt das Bild an, das genügte fürs Erste. Ich verarbeitete kurz das, was ich soeben gesehen hatte. „Im Großen und Ganzen scheint sie doch ziemlich glücklich zu sein!“, fasste ich schließlich zusammen, „Zumindest glücklicher als sie es war, nachdem sie von meinem Tod erfahren hat.“

      „Aber ist sie auch glücklicher, als sie es gewesen ist bevor du gestorben bist?“, fragte Lotte prüfend.

      „Das kann man doch gar nicht vergleichen!“, antwortete ich nach kurzem Überlegen, „Sie ist jetzt ganz anders. Ihr ganzes Leben hat sich verändert! Ich meine auf einmal hat sie zwei Katzen und arbeitet ehrenamtlich in einer Suppenküche! Und das aller Verrückteste ist das, was sie über Tom denkt. Früher ist sie nie stolz auf ihn gewesen. Ich wusste es doch, ohne mich ist es einfach besser!“

      „Du glaubst also immer noch, dass sich durch deinen Wunsch alles zum Positiven verändert hat?“, fragte Lotte kopfschüttelnd, „Dann sollten wir uns jetzt vielleicht einmal anschauen wie es Laura geht.“

      Misstrauisch musterte ich Lotte. Was wollte sie damit sagen? Ging es Laura tatsächlich schlecht, oder bluffte sie nur? Woher sollte sie das überhaupt wissen? Es war unsinnig mir diese Fragen zu stellen, wo die Antwort doch direkt vor mir lag. Ein Knopfdruck auf der Fernbedienung und schon würde ich wissen wie es Laura nun ging. Aber Lottes Bemerkung war so eigenartig vorwurfsvoll und provokant gewesen, dass ich nun zum ersten Mal Zweifel an meinem Wunsch hatte. Dann drückte ich den Knopf.

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