Die Kinder der Schiffbrüchigen. Jonas Nowotny

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Die Kinder der Schiffbrüchigen - Jonas Nowotny

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Chris, »wenn wir uns für eine Auslandsadoption entscheiden, sollten wir uns an eine private Agentur wenden. Genau das haben wir getan.« Mit zitternden Händen beförderte er den Inhalt des Gläschens auf einen Plastikteller. »Hätten wir geahnt, dass Sie weiter an unserem Schicksal teilhaben wollen, hätten wir Sie selbstverständlich ‚in copy‘ gesetzt …«

      Frau Klämmerle lachte trocken. »Sie sind sich Ihrer Sache sehr sicher, nicht wahr?« Jetzt stand sie direkt neben ihm und lächelte Louis an. »Na, kleiner Maxe?« Frau Klämmerles bebrilltes Mondgesicht brachte Louis zum Schweigen.

      »Verzeihen Sie«, sagte Christian und schob sich mit Louis und dem dampfenden Teller an der Beamtin vorbei. Im Flur streifte er die Hausschuhe ab und betrat das Wohnzimmer. Seufzend ließ er sich auf das Sofa sinken, platzierte Louis auf dem Schoß, tauchte den Löffel in den Brei, pustete und prüfte an der Oberlippe die Temperatur der Mahlzeit. Dann schob er seinem Sohn den Löffel in den Mund.

      Wie ein Hündchen war Frau Klämmerle ihm gefolgt. Sie streifte ihre Schuhe jedoch nicht ab und tapste Rotweinflecken in den weißen Teppichboden. »Oh«, kommentierte sie das Malheur, »naja, mit einem Kind bleibt der ohnehin nicht fleckenfrei.« Sie machte eine Pause und fügte hinzu: »Vorausgesetzt, es bleibt überhaupt hier.«

      Christians Augen sprangen auf. »Drohen Sie mir?«, fragte er, »sind Sie gekommen, um mich einzuschüchtern?«

      Frau Klämmerle lachte. »Einschüchtern? Wie kommen Sie denn auf die Idee?« Sie zog die Weinfleckenspur näher zu Christian. »Sie sollten aber nicht davon ausgehen, dass ich Sie bei Ihrem Anerkennungsverfahren unterstütze, nur weil Sie einfach Fakten geschaffen haben. Ein Kind in Ihrem Haushalt befürworte ich nicht. Schauen Sie sich doch um, Herr Thalberg: Es riecht nach Alkohol, Louis ist unbeaufsichtigt und schreit sich neben einem Topf mit siedendem Wasser die Lunge aus dem Hals. Und dann diese unschönen Flecken auf dem Teppich.«

      Christian schüttelte ungläubig den Kopf. Die Szene war surreal, fern jeder Realität. »Ich denke, Sie gehen jetzt besser«, sagte er schwach.

      Frau Klämmerle lächelte und nickte. »Wie Sie wollen, Herr Thalberg. Wir sehen uns ohnehin bald wieder. Der Vormundschaftsrichter wird mich damit betrauen, Ihre familiäre Situation gründlich zu begutachten.« Sie machte einen Schritt auf die Schrankwand zu und nahm ein Familienfoto heraus. »Und ich stelle den Fokus scharf ein, seien Sie sich dessen gewiss!« Sie platzierte den Rahmen zurück und ging. Christian seufzte.

      ***

      »Wer war das denn?«, fragte Rüdiger, der wenige Sekunden später im Türrahmen stand. Christian schluchzte.

      »Rüdiger, ich sitze megatief in der Scheiße! Diese Frau denkt, ich bin ein Alki! Ich! Dabei ist mir nur deine Weinflasche runtergefallen!«

      »Meine was?« Rüdiger verstand kein Wort. »Ich trink keinen Alkohol mehr. Das verträgt sie nicht mit meinen Pillen. Die drei bösen großen Buchstaben, schon vergessen?«

      Christian kniff die Augen zu. »Ich bin so ein Idiot.«

      »Bevor ich dir widerspreche: Könntest du mich bitte aufklären, was passiert ist?« Rüdiger lächelte unsicher.

      »Ich bin unfähig, das ist es«, begann Christian. Tränen quollen ihm aus den Augen. »Unfähig, auf meinen Sohn aufzupassen. Ich lasse ihn beinahe in `ner Räucherkammer ersticken, krieg es nicht gebacken, ihm rechtzeitig sein Essen zu machen. Und ich tauge nichts als Freund! Ich denke nicht mal an das Schicksal, dass du zu tragen hast.«

      »Ich versteh kein Wort.« Rüdiger setzte sich neben ihn auf die Couch und legte die Hand auf sein Knie. »Jetzt erzähl mal von vorn.«

      Wimmernd und von Schluckauf begleitet, erzählte Christian, was geschehen war. Als er fertig war, zog Rüdiger ihn zu sich in den Arm. Louis giggelte fröhlich zwischen ihnen.

      »Ihr werdet den Richter schon davon überzeugen, dass ihr verdammt gute Eltern seid. Da bin ich mir sicher. Da kann die Olle vom Amt behaupten, was sie will. Ihr macht euren Job gut, wenn ich das mal so sagen darf.« Die Blicke der Männer trafen sich. Chris fühlte sich verstanden, ein warmes Kribbeln erfüllte seine Brust. Er lächelte. Rüdiger legte die Hand an seine Wange, ihre Lippen kamen sich verdächtig nahe. Dann schien Rüdiger sich zu besinnen und huschte mit den Lippen an Christians Stirn.

      »Jetzt heul hier nicht rum, du alte Memme. Alles wird gut!«

      Christian lächelte gequält. »Danke.«

      Das befremdliche Kribbeln verschwand.

       Kapitel 12

      Frau Klämmerles Besuch lag zwei Tage zurück. Mit dem Handy am Ohr beobachtete Alexander die auf den Wellenausläufern eines Kiesfrachters tanzende MS Neckarqueen, das zweite und kleinere Schiff der Thalberg-Flotte.

      »Mir ist egal, ob Sie pro Wort oder pro Seite abrechnen.« Er nickte einem Stammgast zu, der gerade das Schiff bestieg. Unter der Woche zählten meist Ruheständler zum Hauptpublikum, selten eine Schulklasse. Während der Sommerferien kamen zudem Eltern mit Kindern und erkundeten ihre Heimat von der Flussperspektive aus. Die großen Ferien waren jetzt jedoch zu Ende und die Rentner bei Kaffee und Kuchen wieder unter sich.

      »Viel wichtiger ist, dass ich die Übersetzungen innerhalb von drei Tagen bekomme und dass sie vom Gericht akzeptiert werden.« In seine Stimme stahl sich ein gereizter Ton. Aus dem Internet hatte er sich eine Liste gerichtlich zugelassener Dolmetscher ausgedruckt und telefonierte einen nach dem anderen ab.

      »Schade. Wenn Sie schneller wären, hätten Sie den Auftrag gehabt. Schönen Tag noch.« Er legte auf.

      Seit dem unangekündigten Besuch von Frau Klämmerle war er nervös und unausgeglichen. Der Überfall hatte ihm der Coolness beraubt, die ihn sonst auszeichnete. Und wie wütend er auf Christian war! Er hatte Louis allein gelassen! Schon wieder! So kurz nach dem Unglück mit der Rauchbombe! Hatte er kein Verantwortungsgefühl? Empfand er nichts für den Kleinen? All das hatte er Christian im Zorn vorgeworfen und keinerlei Mitleid empfunden, als er vor ihm gestanden und gejammert hatte: »Ich war doch nur kurz im Keller, er hat geschlafen …« Nein, er hatte die Entschuldigungen nicht hören wollen, hatte Christians mitleiderregendes Gesicht nicht ertragen. Er war aus der Wohnung geflüchtet, war zum Thalberg-Container gefahren und hatte dort mit dem Vormundschaftsgericht telefoniert. Er musste erfahren, welche Unterlagen der Richter für eine Anerkennung benötigte. In erster Linie waren es beglaubigte Übersetzungen der Adoptionsunterlagen.

      Alexander hatte inzwischen einen weiteren Dolmetscher angerufen und erklärte ihm sein Anliegen.

      »Gut«, sagte er, »rufen Sie mich bitte zurück, wenn Sie den Preis definitiv wissen.« Seine Miene hellte sich auf. Er hatte einen Übersetzer gefunden, der den Auftrag zumindest nicht von vornherein ablehnte.

      Die letzten Besucher bestiegen die MS Neckarqueen und quittierten die aufziehenden Gewitterwolken mit Sorgenfalten. Alexander sah Catrin nicht kommen, die plötzlich mit ihrer jüngsten Tochter Maria hinter ihm stand.

      »Hallo, Bruderherz!«, näselte sie. Der Mund unter ihrer geschwollenen Nase deutete ein Lächeln an. »Ich würde dich ja gern umarmen, aber ich will dich nicht anstecken.« Sie schniefte in ein Taschentuch. In Alexander schrillten Alarmglocken. Wenn seine Schwester ihn mit diesem gekünstelt freundlichen Unterton anging, wollte sie etwas von ihm.

      »Was willst du hier?«, fragte er gewollt gleichgültig und beobachtete, wie einer der Männer

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