Joseph. Johannes Wierz

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Joseph - Johannes Wierz

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Sache ziemlich sicher gewesen sein und gezielt gesucht haben. Sie hatten sich zumindest nicht die Mühe gemacht, Lücken in den Regalen zu schließen oder überhaupt Spuren zu verwischen. Vor allem die Bilder und Unterlagen aus Johnny Engels Frankfurter Zeit waren verschwunden. Mit der Geschichte von Rosemarie Nitribitt hätte er gern sein Buch über den Vater begonnen: Wirtschaftswunder. Es geht wieder aufwärts in Deutschland, und mitten drin diese Frau. Welche Rolle hatte sie gespielt? Und in welchem Zusammenhang hatte sie zu seinem Vater gestanden? Mit eben diesen Fragen müsste er das Buch beginnen und es in den Fluten der Hamburger Sturmflut von 1962, kurz nach seiner Geburt enden lassen. Zum Glück hatte er bei seinen letzten Besuchen immer wieder Unterlagen eingescannt und auf seinen Laptop geladen. Aber das übrig gebliebene Material waren Fragmente, die niemals ausreichen würden, um eine fundierte Geschichte zu beginnen. An die zweihundert Aktenordner, in denen Kopien von Frankfurter Prozessprotokollen abgeheftet waren, fehlten komplett. Ähnlich verhielt es sich mit den Bildern vom Frankfurter Leichenschauhaus und den unzähligen Beerdigungsbildern, auf denen eine Unzahl von Trauergästen abgebildet war. Fünfziger Jahre, das konnte er einordnen. Aber welches Jahr, welcher Tag und um wessen Beerdigung handelte es sich überhaupt?

      David nahm sich vor, zumindest auch noch die restlichen Unterlagen zu dieser Sache einzuscannen. Ob er alles einordnen konnte oder nicht - die gigantische Anzahl an Bildern und Negativen galt es zu sichern. Dann konnte man in Ruhe weitersehen.

      Natürlich hatte er die Mutter zur Rede gestellt. Gleich nach der Entdeckung. Und was hatte sie gemacht? Ihm eine weitere Lüge aufgetischt. Mit der üblichen Nonchalance, die ihn so ärgerte, weil sie ihn einmal mehr für dumm verkaufte.

      „Ein Museum interessiert sich für den Nachlass deines Vaters“, hatte sie achtlos gesagt und nicht einmal von ihrem Buch aufgeschaut. „Er hat mit seinen Bildern Geschichte dokumentiert, Zeitgeschichte. Es war längst an der Zeit, dass das Werk deines Vaters angemessen gewürdigt wird.“

      Und als ob das alles noch nicht genug gewesen wäre, hatte sie noch eine ihrer üblichen Nörgeleien nachgesetzt:

      „Du und dein Buch. Wie lange schiebst Du es schon vor dir her, ein Buch über deinen Vater zu schreiben?“

      Es war nicht zu übersehen gewesen, dass sie ihn damit getroffen hatte. Er war stumm und ihr eine Antwort schuldig geblieben. Tausend Dinge gingen ihm seither durch den Kopf.

      Die letzten zehn Jahre waren wie im Fluge vergangen. Von wirklicher Selbstbestimmung keine Spur. Seine Ehe war daran gescheitert, und von einem innigen Verhältnis zu seiner Mutter konnte man auch nicht gerade sprechen. Eigentlich war er sich auch heute noch selbst genug. Es gab einfach so viele Dinge, die ihn interessierten, fesselten. Mehr als genug für ein Leben.

      Als er damals wortlos seine Mutter verlassen hatte, war da dieser Blick gewesen. Diese hochmütigen, unnahbaren Augen. Nur der Mund leicht schief. Da, wo der Lippenstift abgeplatzt war. Er kannte diesen Ausdruck, dieses Bild. Natürlich in einem ganz anderen Zusammenhang. Es war in Frankfurt gewesen, damals vor vielen Jahren, als er den Hotelportier im Ruhestand aufgesucht hatte. Etwas irritiert war er damals durch die fremde Stadt geschlendert. Wieder hatte er etwas über seinen Vater, Johnny Engel, erfahren. Ein weiteres kleines Puzzleteil in einem riesigen unvollständigen Bild, über einen Menschen, den er nicht mehr kennen gelernt hatte.

      „Du bist so unnahbar“, hatte ihm seine Frau am Telefon gesagt. Im Hintergrund hatte er die Kinder toben gehört. Sie hatten freudig seinen Namen gerufen.

      „Warum sind dir die Toten bloß näher als die Lebenden?“ hatte sie kalt gefragt.

      Er hatte dann aufgelegt. Unfähig irgendetwas zu erwidern. Er hatte sich allein gefühlt. Frankfurt hatte es ihm außerdem leicht gemacht, dieses Gefühl zu empfinden.

      Ziellos war er durch die Nacht gelaufen und irgendwie in dieses Viertel geraten. Frauen aus allen Teilen der Welt hatten halbbekleidet ihre einzige Ware angeboten und David hatte ein Ecklokal betreten: Ihm war nach Alkohol, Zigarettenqualm und Schweißgeruch. Einfach so an der Theke sitzen, das andere Leben um sich herum spüren und sich selbst zwischen den Schnapsflaschen in einem stumpfen Barspiegel betrachten. Die anderen Gäste hatten ihn in Ruhe gelassen. Ein paar Mädchen hatten zaghaft versucht, mit ihm ins Geschäft zu kommen. Aber er hatte ihre Angebote einfach überhört.

      Plötzlich war die ganze Szene wieder so präsent, als säße David wieder auf demselben Barhocker wie damals. Er hörte die Musik um sich rauschen und die Mädchen schnattern. Er sah den Barkeeper mit seinem angeschmutzten Hemdkragen vor sich und hörte ihn sagen: „Sie sind neu in der Stadt“, und stellte ihm den doppelten Whisky hin.

      „Bin früher in Hockenheim Autorennen gefahren, aber dann kam dieser blöde Unfall.“

      Erst jetzt hatte David Engel bemerkt, dass der Mann ein Bein nachzog.

      Es war schon gegen Morgen gewesen, der Wirt stellte an den leeren Tischen die Stühle hoch, als sich eine grell geschminkte Frau um die fünfzig neben ihn setzte.

      „Wir sind wohl übrig geblieben, was? Zumindest haben wir was gemeinsam“, eröffnete sie ihr Verkaufsgespräch.

      Der Wirt schrie von hinten, dass er gleich zusperren werde.

      „Wenn Sie noch eine Flasche ordern können, komme ich mit“, sagte David und vermied es, in den stumpfen Barspiegel zu schauen.

      Neben den Toiletten gab es eine Stiege, die sie kurz darauf schweigend nach oben gingen.

      Erst auf dem Zimmer, in dem es aufdringlich süßlich roch, wurde sie redseliger.

      „Französisch, griechisch, russisch, bei mir geht alles!“ leierte sie müde ihr Angebot herunter.

      David setzte sich auf das Bett und öffnete die Flasche.

      „Eigentlich möchte ich nur reden.“ sagte er und starrte auf den herausgezogenen Korken.

      „Reden, wie geht das? Was ist los? Bin ich dir zu hässlich? Zu alt, dass dir keiner abgeht? Was ist das für eine Zeit, wo alle nur reden wollen?“ sie suchte in ihrer Handtasche nach Zigaretten.

      „Machst du das schon lange?“ fragte er und schüttete ihr ein Glas Wein ein.

      „Was soll das? Bist du einer von der Kirche oder ein Bulle?“ genervt steckte sie sich eine Zigarette in ihren schiefen Mund.

      „Nein, nein, ich recherchiere da in einer Sache und komme nicht weiter.“

      Sie machte einen kräftigen Zug an ihrer Zigarette und nickte wissend: „Privatdetektiv, stimmt’s? Oder bist du so ein verkappter Schriftsteller aus reichem Haus?“

      Er reichte ihr das Weinglas.

      „Nein, es ist eher privater Natur. Es geht um das Jahr 1957, um den 1. November.“

      „Der Todestag der Nitribitt“, sagte sie leise.

      Sie stand direkt vor ihm, schaute ihm ins Gesicht. Mit demselben wohlbekannten Blick. Mit diesen hochmütigen, unnahbaren Augen, nur der Mund leicht schief. Da, wo der grelle Lippenstift abgeplatzt war.

      Sicher war es ein Fehler gewesen, sich die ganzen Jahre nie mit der Mutter beschäftigt zu haben. David würde es nachholen, sobald er Zeit dafür hatte. Jetzt galt es erst einmal, Spuren zu sichern.

      Der synthetische Kautschuk war mittlerweile getrocknet. Geschickt löste Gabriel ihn mit seinem scharfen Messer von der lackierten Schale und packte das unförmige Gummistück

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