Joseph. Johannes Wierz

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Joseph - Johannes Wierz

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Martin gedacht.

      Was für eine große Schuld hat er sich da aufgeladen? Der Allmächtige muss ihm verzeihen. Er wird Buße tun, große Buße tun, wenn es sein muss. Er muss den Martin vergessen. Die Versuchung ist immer ein Werk des Teufels, redet er sich ein. So spürt er beim Verlassen des Zuges einen gewaltigen Druck auf der Blase.

      „Erleichterung, Erleichterung“, murmelt er vor sich hin, als er beim Betreten der Bahnhofstoilette mit einem Mann zusammenstößt.

      Der entschuldigt sich höflich und verschwindet in einer der beiden Kabinen. Der Pfarrer aber hat in bekannte Augen gesehen, die ihn an etwas erinnern. Er weiß nur nicht, wo er sie einordnen kann. Dieser Blick hat ihn getroffen wie ein Kind, das man beim Klauen eines Apfels im Krämerladen erwischt hat.

      Der weiß alles, denkt der ehrwürdige Herr von Tamm, während er auf der Holzbrille sitzt, sich erleichtert und nervös mit seinen Fingernägeln an der Toilettentür kratzt. Er wartet, bis der Andere an der Kette des Spülkastens zieht. Erst dann öffnet er seine Tür.

      Aber was ist das? Hat auch da der Teufel seine Hände im Spiel?

      Ein in seiner Erscheinung vollkommen anderer Mensch verlässt da die Toilette. Rote Haare, buschige Augenbrauen und ein Bart. Dieser Mensch hat niemals mit ihm die Toilette betreten. Eher gedrungen der Gang. Nur die Augen, diese klaren Augen, wie einem Bergsee entsprungen, schauen ihn an. Der Pfarrer folgt diesem Mann bis hinter den Bahnhof, wo er von einem Bierkutscher auf das herzlichste begrüßt wird. Der Lastwagen setzt sich in Bewegung. Der Pfarrer, wie ein Spion hinter einer Säule versteckt, schaut den roten Rücklichtern nach. Mit einem Mal weiß er, an wen ihn diese Augen erinnern. Das Fenster in seiner Kirche mit dem Evangelisten Johannes, dann wenn die Sonne hindurch bricht. Es sind seine Augen.

      Wahre Freunde

      Seit zwei Wochen wartete David Engel nun schon in der Villa am See auf eine Nachricht von seinem ältesten und besten Freund Gabriel Lavant. Er hatte ihm sofort nach Erhalt des Briefes vom Amtsgericht eine Speichelprobe nach Den Haag geschickt. Als Chef der forensischen Pathologie im Dienst des europäischen Gerichtshofs verfügte Lavant über die besten Möglichkeiten für eine genetische Klärung des unsäglichen Vorfalls.

      Wie jeden Tag nahm David Engel gegen acht Uhr morgens als erstes unten in der Küche bei Frau Borgmann das Frühstück ein, obwohl sie immer im Speisezimmer für ihn eindeckte.

      „Wenn Sie schon nicht mit ihrer Frau Mutter frühstücken wollen, so leisten sie ihr doch wenigstens etwas Gesellschaft. Wo sie so selten da sind, Herr David.“

      „Bekommt sie denn so wenig Besuch?“ fragte David erstaunt und griff gleichzeitig nach einem der frisch gewaschenen Radieschen, die die Haushälterin gerade geputzt hatte.

      „Wie man’s nimmt. Die Herrschaften eben, die schon seit Jahren kommen. Der Monsignore aus Rom, der Anwalt aus München, dem ein Bein und ein Arm fehlt. Nicht zu vergessen der ehemalige Staatssekretär aus Bonn. Ja, und neuerdings ein blinder Pfarrer, der hier irgendwo in der Nähe eine kleine Berggemeinde übernommen hat. Das halbe Gesicht verätzt, grauselig, sage ich ihnen. Einmal nur habe ich ihn gesehen. An meinem freien Tag, weil ich im Haus was vergessen hatte.“

      David schaute auf die große antike Küchenuhr aus Porzellan, deren metallene Zeiger kurz vor neun Uhr anzeigten, und stand auf. Frau Borgmann schob die Schüssel mit den Radieschen beiseite, hob die Wachstuchdecke hoch und öffnete die kleine Tischschublade, in der sich allerlei Krimskrams befand.

      Bevor David sich verabschieden konnte, fiel sein Blick in die Holzlade. Zwischen Küchengarn, Streichhölzern, einer kleinen Metalldose, allerlei Zetteln und Einkaufbons, lag ein Amulett, ähnlich dem aus dem Taxi, das ihn vom Flughafen hierher gebracht hatte.

      Frau Borgmann öffnete die kleine Metalldose, entnahm ihr einen Geldschein und bat David, etwas für sie aus dem Trachtengeschäft im Ort mitzubringen. Eine kleine Kette mit Zwischengliedern aus Kuhhorn für eine alte Freundin in Hamburg, die nächste Woche Geburtstag hatte.

      Als die Haushälterin die Schublade wieder schloss und das Wachstuch darüber legte, befand sich das Amulett längst in Davids Hosentasche.

      Um schneller ins Dorf zu gelangen, nutzte David die Abkürzung am See entlang, die ihn auch am Nachbargrundstück vorbeiführte. Er schaute zum Haus hinauf. Überall waren die Fensterläden geschlossen. Johanna war vor zwei Wochen, ohne ein weiteres Wort mit ihm gewechselt zu haben, mit ihrem Sohn zurück in die Stadt gefahren.

      David war es im Grunde egal. Natürlich hatte er darüber nachgedacht, warum Johanna etwas behauptete, von dem sie genau wusste, dass es nicht stimmte. Ein Motiv oder gar eine Erklärung hatte er bis heute nicht gefunden. Wenn Johannas Großvater, der Gerichtspräsident Kranz, noch leben würde, gäbe es vielleicht ein Motiv. Aber der hatte sich vor mehr als dreißig Jahren draußen auf dem See in der Kajüte seines Segelbootes erschossen. David hatte Zeitungsausschnitte im Archiv seines Vaters gefunden. Sein Name war das erste Mal im Dunstkreis der Nitribitt aufgetaucht. In einem der Prozesse, die in der Folge um den mysteriösen Tod der Rosemarie Nitribitt stattfanden, hatte der Gerichtspräsident den richterlichen Vorsitz aus Gesundheitsgründen abgegeben. Zwei Jahre später war er in den Ruhestand getreten. Anschließend hatte er sich mit seiner Familie hier an den See zurückgezogen.

      Viel wichtiger war David ohnehin Gabriel Lavants Antwort. Neben den obligatorischen Proben für einen Vaterschaftstest hatte er die erworbene Reliquie und die filterlose Zigarettenkippe beigelegt, die er im Aschenbecher bei seiner Mutter gefunden hatte. Vielleicht würde ihn eine genetische Analyse ein Stück weiterbringen. Denn allzu viel hatte er in den letzten zwei Wochen nicht in Erfahrung bringen können. Bei seinen Internetrecherchen in verschieden Universitätsbibliotheken stieß er zwar immer wieder auf diverse religiöse Gemeinschaften und Sekten, die in irgendeiner Art und Weise entweder mit dem Evangelisten Johannes oder mit dem Sternzeichen Adler im Skorpion in Zusammenhang standen, aber eine Verbindung zu der Reliquie ließ sich nicht herstellen.

      Um weitere Post vor dem neugierigen Zugriff der Mutter zu schützen, hatte er das hiesige Amt angewiesen, seine Briefe für die Zeit seines Aufenthaltes postzulagern.

      Den Bootssteg mit der Hütte hinter sich lassend, bog David jetzt in einen Kiesweg ein, der an einer vielbefahrenen Landstraße endete, die um den ganzen See herumführte. Dort befand sich eine Bank neben einem Wegkreuz, das irgendeinem Heiligen geweiht oder Bestandteil eines Kreuzweges war.

      Im Schatten einer Linde ließ sich David auf der Holzbank nieder und zog Frau Borgmanns Amulett aus der Tasche. Bis auf Größe und Form des Knochens war es mit dem ersten vollkommen identisch, etwas kleiner vielleicht. Zentraler Teil wiederum ein Mittelhandknochen, davon war auszugehen. Wieder hielt David das Stück an seine rechte Hand und verglich es mit seinen eigenen Gliedern. Kein Zweifel, es stimmte von der Größe her mit dem Mittelknochen des Mittelfingers der rechten Hand überein. Ein Kribbeln überzog seinen Rücken. Hinzu kam, dass er das Gefühl hatte, jemand würde ganz nah hinter ihm stehen und ihn beobachteten. Es war aber nicht Davids Art, sich einfach abrupt umzudrehen, um den heimlichen Gaffer brüsk zu entlarven. Im Gegenteil, er blieb ganz bewusst noch eine Weile sitzen und spielte mit der Reliquie in seiner Hand.

      Als er endlich aufstand und zur Seite schaute, war niemand zu sehen. Im näheren Umkreis konnte eigentlich kein Mensch gewesen sein, denn eine Wiese reichte bis zur Bank und umwucherte das Wegkreuz. Nicht ein Halm oder eine Wildblume war niedergetreten. Hinten im dichten Wald könnte jemand gestanden und ihn mit einem Fernglas beobachtet haben. Aber würde er das bis hierher spüren?

      Wohl kaum. Wenn er aber mit seinem Gefühl, beobachtet worden zu sein, Recht hatte, konnte der Späher nur ein

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