Joseph. Johannes Wierz

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Joseph - Johannes Wierz

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      „Ich bin dein Schutzengel“, flüstert er dem kleinen Martin ins Ohr, dessen Augen schielen, als befände er sich in einem Fieber, für das es keine Heilung gibt.

      Der Wanderer hat das Dorf erreicht. Er freut sich auf eine heiße Suppe und ein warmes Bett beim Kirchenwirt. Es ist zwar schon nach elf Uhr abends, aber für ihn wird er eine Ausnahme machen. Er hat Fotos vom Grab der Maria Magdalena geschossen, die gilt es zu entwickeln. Das Dorf liegt in Dunkelheit. Nur oben, unterhalb der alten Wehrkirche, brennt im Haus des Pfarrers Licht. Der angefrorene Neuschnee knirscht unter seinen schweren Wanderschuhen. Vor dem Laden des Frisörs macht er halt und zündet sich eine Zigarette an. Im Schein der Feuerzeugflamme kann er im Spiegel, an dem ein Thermometer angebracht ist, einen Teil seines Gesichts erkennen. Mit seinem Handschuh versucht er, das Eis wegzukratzen, um den Ausschnitt seines Spiegelbildes zu vergrößern. Nein, so sieht kein trauernder Mensch aus. Er kann es einfach nicht mehr. Leer geworden ist es in ihm, das vielleicht, aber jetzt ist ihm noch nicht einmal kalt. Um das Kind wird er sich kümmern. Er weiß nur noch nicht, wie er das genau anstellen soll. Natürlich ist ihm der entstellte Kopf des Babys nicht entgangen. Aber dafür gibt es Spezialisten, die so etwas korrigieren können. Er klopft seinen Mantel ab und stellt durch das Rascheln beruhigt fest, dass alles noch an seinem Platz ist. In einem großen Bogen schnippt er die glühende Zigarettenkippe auf die eingeschneite Straße und setzt seinen Weg fort.

      „Eins, zwei, drei“, brüllt die uniformierte Schar, die sich um ihren Feuerwehrhauptmann Brunner gruppiert hat. Das große Holzfass ist angeschlossen, und in die erste Halbe ergießt sich bereits der goldgelb schäumende Saft.

      So einen Einsatz könnte es ruhig des Öfteren geben, denkt ein jeder in seiner dunkelblauen Uniform und beginnt die Totenwache zu genießen.

      Sternförmig knallen die Humpen zusammen. Und dann ein kräftiger Zug, so wie es von jeher Brauch ist.

      Unterdessen sitzt unten der Dorfgendarm neben der Leiche und wartet auf seine Ablösung.

      Die Villa des Landarztes ist mit Musik erfüllt. Händels Wassermusik untermalt die freudige Stimmung des Hausherrn, der gerade dabei ist, den Brief und die verfängliche Schwarzweißfotografie in einem urnenähnlichen Gefäß zu verbrennen. Er hat sich eine gute Flasche Roten aufgezogen und sich zur Feier des Tages eine Kubanische angesteckt. Morgen wird er der Witwe seine Aufwartung machen, ihr eine Beruhigungsspritze setzen, die sie für mindestens zwölf Stunden außer Gefecht setzen wird. Die Zeit wird ausreichen, um das Fotolabor im Keller auszuräumen und im ganzen Haus nach den verfänglichen Negativen zu suchen. Sein missratener Sohn wird ihm das alles einmal danken. Nach der zweiten Flasche Rotem denkt der Landarzt und designierte Landtagsabgeordnete sogar darüber nach, am nächsten Sonntag in der Kirche auf die Kanzel zu steigen, um der versammelten Gemeinde, die ganze Wahrheit mitzuteilen. Immerhin war der Kirchenwirt vermessen genug, ihm auch die anderen Fotografien der Halbstarken zu zeigen.

      Im Gastraum des Kirchenwirtes brennt Licht. Der nächtliche Wanderer klopft sich seine Schuhe am Eingang ab und will gerade die Wirtschaft betreten, da sieht er im Inneren uniformierte Männer um ein Fass Bier stehen, die recht ausgelassen scheinen. Instinktiv entschließt er sich, den Hintereingang über die Küche zu nehmen.

      Zwischen Gaststube und kleinem Saal kniet der Dorfgendarm, der inzwischen drei Halbe intus hat, vor der Klappe zum Keller und lauscht den seltsamen Geräuschen, die von unten nach oben dringen. Ein hektisches Klopfen, vermischt mit einem hellen Piepen. Er weiß nicht, was unten bei der Leiche vor sich geht, aber irgendwie ist ihm das auch egal.

      „Eine frische Halbe, wenn ich bitten darf“, lallt er und löst die lästige Krawatte um seinen Hals.

      Unten im Kellerloch versuchen unterdessen zwei Feuerwehrleute, - der eine mit einem Holzhammer, der andere mit einer Axt -, die Ratten von der Leiche des Kirchenwirtes zu vertreiben. Kleine Schädel werden zertrümmert und lange haarlose Schwänze durchtrennt. Aber der Flut der Tiere, die sich hungrig ihrem Futter nähern, können sie nicht Herr werden. Hinzu kommt, dass sie einiges getrunken haben und auch das schummrige Licht erweist sich als ungeeignet für die Rattenjagd. Drei Finger des Kirchenwirtes sind schon durchtrennt. Da nutzt es nichts, wenn die beiden Freiwilligen versuchen, sie wieder an die Schnittstellen zu legen. Da! Eine Ratte ist auf den rechten Oberschenkel des Toten gesprungen. Der Holzhammer wird geschwungen, und ein singendes Beil geht hernieder. Naturgemäß verfehlen beide ihr Ziel.

      Die Tür zur Küche ist offen. Der Wanderer nimmt einen Schlüssel vom Brett und schleicht sich unbemerkt über die Treppe nach oben zu den Fremdenzimmern. Er wählt die Tür am Ende des Ganges. Leise schließt er hinter sich ab und legt sich, so wie er ist, auf das Bett. Das Haus ist hellhörig, und so bekommt er ohne größere Anstrengungen mit, was am Tag unten Schreckliches vorgefallen ist. Auf keinen Fall darf er jetzt schlafen. Ihm ist sofort klar, dass es hier bald nur so vor Polizei wimmeln wird. Auch wenn es nur ein tragischer Unfall gewesen ist, werden sie das ganze Haus auf den Kopf stellen. Er muss eine Gelegenheit finden, um unten im Keller seine Spuren zu verwischen.

      Ein lauter Aufschrei geht durch das ganze Haus.

      Unten im muffigen Kellerloch hat der mit dem Beil nicht eine Ratte, sondern den mit dem Hammer erwischt. Wie ein kleiner Wurm liegt abseits ein Finger, der gerade seinen Besitzer verloren hat.

      Da wird geschimpft und geflucht. Jemand läuft los, um den Arzt zu holen.

      Niemand ist mehr im Keller. Der Tote ist unbewacht, was die hungrigen Ratten als Einladung verstehen.

      Der Wanderer verlässt auf Socken das Zimmer, schleicht sich unbemerkt nach unten und beginnt mit seiner Arbeit. In weniger als einer halben Stunde hat er das Fotolabor zerlegt und in zwei Seesäcken verstaut.

      Der Fremde liegt längst wieder auf seinem Bett, als er unten mehrere Autos hört. Türen schlagen. In knappen Worten werden Befehle gegeben.

      Noch schläft das Dorf friedlich und lässt sich willenlos einschneien. Es weiß noch nichts von seinem Schicksal, das es unwiderruflich ereilen wird.

      Johanna vom See

      Am späten Vormittag wachte David in seinem schmalen Bauernbett auf. Lärm von draußen hatte ihn geweckt. Auf dem Rücken liegend, öffnete er die Augen und ließ seinen Blick durch das Zimmer schweifen. Alles war so geblieben, wie er es sich vor Jahren eingerichtet hatte. Ein eintüriger Kleiderschrank, eine emaillebeschichtete Waschschüssel auf einem Metallständer, daneben ein Schränkchen mit einem Wasserkrug obenauf, der sich durch den Spiegel an der Wand verdoppelt zu haben schien. Die gesamte Einrichtung stammte aus den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts und war bei einer Haushaltsauflösung durch Zwangsversteigerung erworben worden. David selbst hatte die Stücke ausgesucht. Auch den Stuhl, den Tisch und das kleine Bücherregal. Er liebte diese schlichte Art von Provisorium.

      Man packt einfach seine Tasche und geht. Wer nichts hinterlässt, vermisst auch nichts. Zudem denkt es sich in solchen Räumen besser. Nur nicht in diesem Augenblick. David stand auf, um das Gaubenfenster zu schließen. Draußen auf dem Nachbargelände spielte eine Mutter mit ihrem Kind Nachlaufen. Der Junge, höchstens acht Jahre alt, hatte die Frau jetzt erreicht und riss sie von hinten zu Boden. Sie wälzten sich im weichen Gras und wurden dabei von Sonnenstrahlen, die sich einen Weg durch die Blätter der Obstbäume suchten, getroffen. Die Mischung aus Licht und Schatten, die auf die beiden im Gras tollenden Gestalten fiel, veranlasste David dazu, der Szene länger beizuwohnen, als er ursprünglich beabsichtigt hatte. Für einen kurzen Moment dachte er an Aline und seine beiden Kinder François und Jean. Ein unbeschwerter Sommer mit leichten Gedanken und schönen Bildern. Wie lange war das her? Er versuchte sich an das Jahr zu erinnern. Da rief von unten eine Stimme seinen Namen. Die junge Frau saß jetzt im Gras, in ihrem Schoß der Junge,

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