Joseph. Johannes Wierz

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Joseph - Johannes Wierz

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zugezogen waren.

      Irgendwas aber schoss in diesem Moment durch seinen Körper, der sofort in eine sonderbare Erregung geriet. Lange war David sich nicht mehr so nahe gewesen wie in diesem Augenblick. Starr vor diesem ihn überkommenden nicht benennbaren Gefühl, drehte er sich erst um, als er das Autokennzeichen nicht mehr lesen konnte. Nur eines konnte er nach dieser seltsamen Begegnung mit Sicherheit sagen: Ein ausländisches dunkles Nummernschild gesehen zu haben.

      Die kleinen weißen Kieselsteine knirschten unter seinen Füßen. So war es jetzt, so war es immer gewesen. Seit seinem zwölften Lebensjahr, dem Beginn seiner Internatszeit, derselbe Weg, dasselbe Gefühl. Vor ihm lag der gotische Vorbau des Eingangsportals, die Tür in Eiche und Schmiedeeisern verziert. Im oberen Drittel das bierfarbene Butzenfenster mit Gitter davor. Auf dem Vordach an beiden Seiten die Regenspeier in Form kleiner Drachen - die wenn ein Gewitter über den See niederbrach - recht gespenstisch aussahen und im kurzen, hellen Schein der Blitze bizarre Schatten auf Weg und Rasen warfen. Wie das Mausoleum eines Fabrikanten aus der Gründerzeit sah der Eingangsbereich aus, wenn man sich das Haus wegdachte. Es gab Zeiten, da hatte er sich nicht nur das Haus, den See, nein sein ganzes Leben einfach weggewünscht.

      Ehe David läuten konnte, wurde ihm die Tür bereits geöffnet. In einem langen schwarzen Gewand, die Haare mit einem Stirnband zusammengehalten, stand die Hausherrin selbst vor ihm. In einer Hand hielt sie eine lange silberne Zigarettenspitze, in der anderen einen fast leeren großen Cognacschwenker und starrte ihn mit schwarz geschminkten Augen an.

      Irgendetwas war anders als sonst. Nicht, dass es David in all den Jahren verborgen geblieben wäre, dass seine Mutter trank und rauchte, - es aber vor seinen Augen zu tun, und das auch noch an der Eingangstür, war neu. Die Mutter drehte sich auf der Stelle um und schwebte zurück in die große Eingangshalle, die einem Rittersaal glich. David folgte ihr, ohne ein Wort der Begrüßung mit ihr gewechselt zu haben. Aline hatte angerufen, dessen war er sich sicher. Aus ihrer Sicht schien es verständlich, dass sie die Dinge ein für alle mal klären wollte.

      David stellte sein Gepäck neben die Rüstung eines Johanniterkreuzritters und folgte seiner Mutter in den Salon.

      „Es ändert sich ja nichts. Die Kinder werden dich sicher besuchen.“

      „Alles wird sich ändern“, krächzte die Mutter, „ich werde das Anwesen verkaufen!“

      David reagierte darauf nicht sonderlich erstaunt. Es war nicht das erste Mal, dass die Mutter die Villa am See verkaufen wollte. Irgendeine Hassliebe verband sie mit alldem hier. Für ihn war es ohnehin verwunderlich, dass sie in den letzten Jahren das Anwesen immer mehr der komfortablen Stadtwohnung in Hamburg vorgezogen hatte.

      Im Kamin loderten die Flammen. Ein ganzer Papierstapel war offensichtlich erst vor kurzem in den unersättlichen Schlund des Feuers geworfen worden. Kleine Rußflocken und gewellte wie Kohlepapier aussehende Klumpen zeugten am Rand des Kamins davon. Am anderen Ende des Raumes stand der mannshohe stählerne Tresor einer englischen Firma aus dem Jahre 1924 offen. Außer ein paar Schatullen und Samtschobern war aus dem Inneren alles ausgeräumt worden.

      „Willst du auch was trinken, dann bedien’ dich. Das Personal hat heute frei“, sagte die Mutter müde.

      David ging an die Anrichte und wählte aus den unzähligen Kristallflaschen einen Brandy aus.

      Längst hatte sich die Hausherrin in eins der schweren Ledersofas fallen lassen und starrte wie in Trance in die lodernden Flammen des Kamins.

      David war froh, dass er nicht zu reden brauchte und seine Mutter keine Fragen stellte. Er würde noch ein, zwei Brandies trinken und dann früh zu Bett gehen.

      Sein Blick konzentrierte sich auf den geöffneten Tresor. In Gedanken sah er die alten Ordner, deren gelbe Rücken mit lateinischen Zahlen nummeriert waren und die großen dicken Briefumschläge, die an einer roten Kordel ein Wachssiegel trugen. All das war jetzt verschwunden, wohl in den Flammen. David dachte daran, wie er als Kind das ganze Haus systematisch durchforscht und so manches Geheimnis entdeckt hatte. So auch die geheimen Räume im Keller, wo der Vater ein zweites Fotolabor und ein gewaltiges Bilder- und Dokumentenarchiv unterhalten hatte. Bis heute hatte er mit niemanden über seine Entdeckung gesprochen.

      David stand auf und legte Holz nach. Wie ein Taschenspieler steckte er dabei unbemerkt den kleinen unversehrten Rest eines verkohlten Blatt Papiers ein.

      „Du hattest Besuch“, begann er den Versuch einer Unterhaltung.

      „Es hört eben nie auf“, murmelte die Mutter und steckte sich eine Zigarette in die silberne Spitze. Fast automatisch fiel sein Blick in den Aschenbecher, in dem vier Zigarettenstummel lagen. Die drei mit dem markanten Goldring ordnete er seiner Mutter zu. Die vierte war filterlos. Erneut stand David auf, nahm den schweren Messingteller vom Tisch und warf die Stummel in das Feuer. Dass es nur drei waren, die er entsorgte, konnte die Mutter von ihrem Platz aus nicht erkennen. Es beunruhigte ihn ein wenig, diesen kläglichen Rest einer Zigarette nicht auf der Stelle untersuchen zu können. So setzte er sich wieder hin, starrte durch sein halbleeres Brandyglas in die Flammen des Kaminfeuers und lauschte dem dumpfen beruhigenden Ton des Pendels der alten Standuhr.

      Ein Kälteschauer weckte David aus einem schwarzen Nichts. Im Kamin war das Feuer längst erloschen. Nur die unteren, größeren Holzscheite glühten noch. Das flimmernde Rot versetzte den Raum in einen sonderbaren Zustand. Der mannshohe Tresor war verschlossen und der Vorhang davor halb zugezogen. Der Tisch mit Mutters Glas und Aschenbecher war abgeräumt. Schwerfällig richtete sich David auf. Er fror am ganzen Körper, und es gab kaum eine Körperpartie, die nicht schmerzte. So schleppte er sich mühsam im Halbdunklen über die breite Stiege hinauf in den zweiten Stock, wo er am Ende des Ganges sein Zimmer hatte.

      Joseph Huftreter wird getauft

      In der kleinen Wehrkirche, die erhöht auf einem nackten Felsen im Zentrum des Bergdorfes steht, ist es bitterkalt. Der ehrwürdige Pfarrer Ignatius Sebastian von Tamm sitzt in seinem weißen Untergewand auf einer schmucklosen Holzbank und versucht, innere Ruhe zu finden. Schließlich muss er heute ein Kind taufen, das in Sünde entstanden ist. In jedem anderen Fall hätte er dies naturgemäß verweigert, aber wie ihm der Landarzt und designierte Landtagsabgeordnete Dr. Julius Holzer in einem vertraulichen Gespräch mitgeteilt hat, ist dem neuen Erdenbürger nur ein kurzes Leben beschert. Dann ist es schon besser, wenn er als Christenmensch vor den Thron des allmächtigen Herrn tritt. Nur ungern erinnert er sich daran, wie ihn die beiden Huftreter Schwestern mit Steinen und der Androhung den Hund von der Kette zu nehmen vom Hof gejagt haben, nachdem ihr Vater gestorben war. Jetzt liegt die arme Seele des alten Huftreter mit gebrochenen Knochen am äußersten Rand des Gottesackers direkt neben dem Gebeinhaus, und irgendwo oben auf dem Huftreteranwesen seine älteste Tochter Maria Magdalena, verscharrt wie ein Hundeknochen in ungeweihter Erde. Der Landarzt hat ihm das glücklicherweise gebeichtet. So obliegt beiden durch ihre gebotene Schweigepflicht zumindest nicht die unangenehme Aufgabe, irgendeine Aufsichtsbehörde zu benachrichtigen.

      „Umso näher die Menschen dem Herrn, desto gottloser sind sie“, so sein Bischof vor mehr als zwanzig Jahren, als er hier in den Bergen seine Stelle angetreten hat. In tiefster Demut all die Jahre ertragen. Seit zwei Jahren aber friert er. Eine unheimliche Kälte hat sich in seinem Inneren breit gemacht. Eine Kälte, die ihn von Tag zu Tag immer mehr in Beschlag nimmt.

      Knarrend öffnet sich die Sakristeitür. Der zwölfjährige Martin, jüngster Sohn des Gemeindebediensteten, steht im Eingang und klopft sich den Schnee von der väterlichen Kotze. Im weißen Untergewand kniet der Pfarrer vor dem dunklen Sakristeischrank, der von einem silbernen Heiland, einem Geschenk, derer von Tamm, zur Primiz, überragt wird.

      Der

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