Joseph. Johannes Wierz

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Joseph - Johannes Wierz

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gemacht. „Als wir das erste Mal mit meiner Kiste das überschwemmte Gebiet überflogen hatten, glaubte er in seinem Suff, in Indochina zu sein. Tiefer, geh tiefer, hat er gegen den ohrenbetäubenden Lärm der knallenden Rotorblätter geschrieen. Er hat den Finger überhaupt nicht mehr vom Auslöser gelassen. Ja und dann Junge, musst du bedenken, die Sicht war nicht besonders. Die scheiß Krone von dieser Ulme habe ich zu spät gesehen; und ich musste mich dann innerhalb einer Hundertstelsekunde entscheiden. Links oder rechts abdrehen. Ich hab den Vogel halt rechts hochgezogen und bin dann nach fünf Uhr abgedreht...“

      Dass Charlie rechts gesessen hatte, konnte sich David denken.

      Ende der achtziger Jahre hatte David dann sogar nach seinem Vater graben lassen. Unter Berücksichtung der Angabe des Piloten und der Strömung rechnete er ein Planquadrat aus und ließ es von der freiwilligen Feuerwehr und der Marinejugend des benachbarten Ortes umgraben. Außer ein paar verrosteten Mofas und Fahrrädern, Öl- und Giftfässern ohne Etiketten, Katzenskeletten in Plastiktüten und diversem, anderem Unrat fand sich aber kein neuer Anhaltspunkt. Darüber konnten selbst ein paar leere Whiskyflaschen, die durchaus aus der Zeit um 1962 stammen konnten, nicht hinwegtäuschen.

      Wahrend der olympischen Spiele 1972 in München tauchte eine von Johnnys drei verschwundenen Kameras wieder auf. Bei einem Trödler in Schwabing hatte Charlie, das Knautschgesicht, Johnnys Initialen im Inneren des Gehäuses entdeckt, die verrostete Kamera für überteuertes Geld gekauft und Davids Mutter nachträglich zum zehnten Todestages ihres Mannes geschenkt.

      „Fischer haben die Kamera im Watt gefunden“, war Charlies Kommentar, wobei er unbemerkt David verstohlen zuzwinkerte.

      David aber wusste es heute längst besser: Die Kamera war am 1. November 1957 in Frankfurt abhanden gekommen. Am selben Tag, als man Rosemarie Nitribitt in ihrem Appartement erdrosselt aufgefunden hatte. Seltsamerweise hatte Johnny Engel den Verlust seiner Kamera zwar dem Hotelpersonal mitgeteilt, die ihrerseits durch den hauseigenen Detektiv Ermittlungen angestellt hatten, war aber nicht zur Polizei gegangen, um den Diebstahl zur Anzeige zu bringen.

      „Die letzten zwei Jahre beim BGS reiße ich auf einer Backe ab“, hatte Charlie noch grinsend zu dem zwölfjährigen David gesagt und ihm und seiner Mutter zwei Karten für ein olympisches Vorrundenspiel im Wasserball geschenkt. Keine sechsunddreißig Stunden später starb Charlie, das Knautschgesicht, durch eine Handgranate auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck. Mit ihm neun Geiseln, fünf Terroristen und ein Polizist. Seltsam war nur, dass Charlie bis heute in keiner Dokumentation aufgetaucht ist.

      Jedes Mal, wenn David auf das große Anwesen am See zurückkehrte, war das Arbeitszimmer des Vaters, das ansonsten unberührt geblieben war und zu dem niemand Zutritt hatte, wieder um ein Relikt reicher.

      David öffnete nur leicht die Augen. Das Taxi befand sich noch immer auf der Autobahn. Er schaute sich um. Die Rückbank bestand aus beigem Kunstleder, das nach kaltem Rauch und billigen Erfrischungstüchern roch. Die beiden Schonbezüge der Kopfstützen waren abgewetzt, an manchen Stellen konnte man schon den ausgeleierten Gummizug erkennen. Im Mittelteil der Rückwand des Beifahrersitzes glänzte ein kleiner Fleck. David tippte auf Limonade oder Kaffee mit viel Zucker. Die beiden Seitenfenster der hinteren Türen waren von außen mit klebrigem gelbem Blütenstaub überzogen.

      Der Wagen wird also längere Zeit nicht bewegt, kombinierte David. Wahrscheinlich fährt der Taxler nur am Tag und parkt sein Auto über Nacht draußen unter einem Lindenbaum. David überlegte kurz, wo es in der benachbarten Stadt Lindenbäume gab. In Gedanken ging er mehrere Straßenzüge durch, zweimal durchfuhr er die Conradistraße. Dort kam jeweils auf zwei Parknischen ein großer Lindenbaum.

      „Wohnen Sie in der Conradistrasse?“ fragte David Engel den Taxifahrer, der leise mit der Musik im Radio mitsummte.

      „Na, na, wir hab’n draußen baut und vorher, was a scho a Ewigkeit her is, in der Giselastraßen.“

      Drei, fast wie mit dem Lineal gezogene Falten tauchten auf seiner Stirn auf. Sollte er sich so geirrt haben?

      „Warten’s, warten’s, mein Schwager wohnt in der Conradi, aber zur Zeit is mei Schwester im Krankenhaus.“

      „Und wer fährt bei Ihnen nachts?“

      „Mei Frau, aber das läuft zurzeit nicht gut!“

      Kann ich mir denken, dachte David Engel, schmunzelte und lehnte sich zufrieden zurück.

      Den Blick für das Detail und die Freude, Dinge in Zusammenhänge zu bringen, hatte er von seinem Vater, dessen war er sich sicher. Die Mutter sah nur das, was sie auch sehen wollte. Sie hatte recht wenig Kontakt zu den Leuten im Dorf. Wenn die Bediensteten ihren freien Abend hatten, besuchten sie manchmal ein pensionierter Theologieprofessor und ein betagter Landarzt aus der Region, mit denen sie sich in den Salon zurückzog.

      Das Taxi hatte die Autobahn verlassen und schlängelte sich jetzt durch eine malerische Voralpenlandschaft.

      Nach dem Abendessen beim obligatorischen Gang ums Haus würde er der Mutter alles über die Trennung von Aline sagen und sie gleichzeitig wieder damit besänftigen, endlich das lang versprochene Buch über den Vater in Angriff zu nehmen.

      David schaute aus dem Fenster. Saftig blühende Sommerwiesen warteten auf den zweiten Schnitt.

      Er spürte, dass er dieses Jahr anfällig für solche Aussichten war.

      Die Fahrt wurde etwas holpriger und lauter. Das Taxi durchfuhr gerade eine Baustelle. Zwischen dem Rollsplitt, der unter den Reifen wegspritzte, gab es plötzlich ein anderes Geräusch. Ein heller Klang, der sich fast anhörte wie Mutters silbernes Weihnachtsglöckchen vor der Bescherung. Es kam nicht von außen, sondern aus dem Wageninneren.

      David schaute sich systematisch um, indem er sein Umfeld in kleine Planquadrate einteilte.

      „Straßen wie in Rumänien“, fluchte der Taxifahrer.

      David richtete sich hinten im Wagen auf und schaute interessiert auf den Rückspiegel in der Mitte. Das, was da an einer roten Samtkordel hin und her baumelte, hatte er schon irgendwo gesehen, sogar in doppelter Hinsicht. Ein an beiden Enden in Silber eingefasster kleiner Knochen hing an dem Rückspiegel und knallte bei jedem Schlagloch, das der Wagen durchfuhr, gegen die Windschutzscheibe.

      Geschäft ist Geschäft

      „Mmmmm“, murmelt der Landarzt Dr. Julius Holzer, seines Zeichen designierter Landtagsabgeordneter, und fügt so geheimnisvolle und unverständliche Worte wie „Gestational - Diabetes“ oder „Diabetes mellitus“ hinzu. Diese Diagnose hätte er eigentlich schon beim Anblick des Neugeborenen stellen können, aber er will Elisabeth nicht unnötig beunruhigen. So hat er das Kind also über eine Stunde lang untersucht. Er hat es gewogen, alle Gliedmaßen auf das Genauste abgemessen und die Reflexe des Neugeborenen mit einem Hämmerchen aus Edelstahl getestet.

      „...Embryofetopathia diabetica...“

      „Und, was is des?“ Die Elisabeth beäugt ihn misstrauisch und greift dem Kleinen dabei über den nackten Hinterkopf. Schützend, als wolle sie den bösen Blick von ihm abwenden.

      „So was wie Schwangerschaftsdiabetes beziehungsweise seine Folgen“, erklärt Dr. Holzer. „Deswegen auch die beiden vorigen Abgänge. Es grenzt schon an ein Wunder, dass das Kind gesund zur Welt gekommen ist!“

      Um seiner Diagnose mehr Respekt zu verleihen, zieht und zwirbelt er an den Spitzen seines gewaltigen grauen Oberlippenbartes,

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