Joseph. Johannes Wierz

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Joseph - Johannes Wierz

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Magdalena Huftreter glaubt unterdessen in einem Dom zu liegen. In ihrer Nase kitzeln Weihrauch und der Duft von verwelkten Nelken. Kalt ist ihr, - was kein Wunder ist,- denn sie liegt auf dem kalten Steinboden und starrt auf das barocke Deckengewölbe. Das blasse, jetzt immer heller werdende Licht hinter den gemalten Wolken kommt ihr vor wie eine Landebahn für Engel. Es ist ein Junge, der da in die Welt will, das spürt sie ganz genau. Den Hof soll er einmal übernehmen. Ein guter fruchtbarer Grund ist das, hinter dem so mancher unten im Dorf her ist. Sie schreit ein paar Namen durch die Kuppelhalle des Domes und die zwei Seitenschiffe. Sie lässt keinen aus. Dann spürt Maria Magdalena Huftreter eine Erleichterung. Sie hört das Meer rauschen, obwohl sie in ihrem ganzen Leben das Meer nie gesehen hat, geschweige denn weiß, was eine Brandung ist. Sie spürt es, fühlt sich selbst als Welle, die sich über die gesamte Breite des Strandes ergießt. Gundi hantiert mit dem scharfen Messer. Sie meint, es so oder ähnlich bei Renata, ihrer Lieblingskuh, gesehen zu haben. Nur, dass da der Tierarzt im Stall gewesen war, und mit seinen geschickten Händen an dem trächtigen Rindvieh herumgeschnitten hatte. Oder war es der Schlachter aus dem Dorf gewesen, dessen Name ihr jetzt nicht einfällt? Wenigstens schreit die Bäuerin jetzt nicht mehr. Maria Magdalena Huftreter beschließt, im Dom zu bleiben. Die Akustik ist hier bei weitem besser als in der Kammer. Nur die Kälte des Steinbodens macht ihr zu schaffen. Längst können Laken und Strohmatratze das Fruchtwasser und das Blut nicht mehr halten. Kleine Rinnsale haben sich auf den rauhen Holzdielen gebildet, formieren sich zu einem Delta, um letztendlich als zäher Schaum in den Ritzen zwischen den Dielen zu verschwinden. Gundi schnippelt mal oben, mal unten. Wie einen Reißverschluss öffnet sie die Bäuerin. Aber es reicht nicht aus, um das Kind im Bauchinneren zu drehen. Zu allem Unglück scheinen sich jetzt auch noch die Beinchen verkeilt haben. Überhaupt bekommt die Gundi so viel Fremdes zu fassen, mit dem sie überhaupt nichts anzufangen weiß. Natürlich kann sie einen Fisch ausnehmen, ein Huhn oder eine Gans, aber die Bäuerin ist doch was ganz anderes. Die Bäuerin kommt ja nicht in den Topf oder in den Ofen. Bei diesem Gedanken muss sie lachen. Jetzt fängt die Bäuerin wie eine Sau an zu grunzen. Vielleicht liegt es daran, dass Maria Magdalena glaubt, im Dom der Taufe ihres Sohnes beizuwohnen. Sie seufzt vor Rührung. Alle haben sie ihre schönsten Kleider angezogen. Das ganze Dorf steht um das steinerne Taufbecken und lauscht den lateinischen Worten des Bischofs. Nur ein Augenaufschlag später spielt die große Orgel auf und lässt ihren Jungen zusammen mit den Kindern aus dem Dorf nach vorne an den Altar zur ersten Heiligen Kommunion schreiten. Als ihr Junge heiratet, steht sie in einem Seitenschiff etwas abseits. Sie hat das Gefühl zu schmelzen und immer kleiner zu werden. Joseph-Nepomuk-Baptist Huftreter wird ein gutes und erfülltes Leben führen und seine Mutter immer in Ehren halten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Maria Magdalena Huftreter auch noch das Finale des Orgelspielers gehört hat. Gundi zumindest glaubt sogar noch himmlische Geigen zu hören, als sie den kleinen blutunterlaufenen Kerl in den Armen hält, der seinerseits die Welt mit einem kräftigen Geschrei begrüßt. Am anderen Ende der Nabelschnur hängt ein blutiges klumpiges Etwas, mit dem Gundi nichts anzufangen weiß. Sie schneidet es ab und wirft es dem Hund hin, der begeistert daran schnüffelt.

      Als Elisabeth in den Morgenstunden mit Müh und Not den Hof erreicht, glaubt sie, mit ihren fast vierzig Jahren, alles erlebt und gesehen zu haben, zumindest bis sie die Schwelle des Haupthauses überwunden hat.

      „Aaaan Hunge, aaan Hunge“, lallt die Gundi zur Begrüßung und hüpft barfuß durch den Flur. Sie sieht aus wie ein Metzger, der in die Blutwanne gefallen ist. Elisabeth, selbst durch Sturm und Regen gezeichnet, ganz zu schweigen von dem unglaublichen Vorfall an der rostigen Pissrinne des Kirchenwirts, ist für einen Moment beruhigt, als sie oben das Kind schreien hört. Sie geht zunächst in die Küche, um ihre nassen Kleider auszuziehen, sie am Ofen zu trocknen und sich selbst ein wenig aufzuwärmen. Bevor beide jedoch zur Bäuerin nach oben gehen, damit Elisabeth ihre Schwester in die Arme schließen und beglückwünschen kann, stärkt sie sich mit einer Tasse heißem Kräutertee, nimmt das abgegriffene blaue Haushaltsbuch aus der Tischschublade und schreibt die Namen der Burschen auf. Und so stehen neben einem Sack Saatgut, Schrauben, Melkfett und Küchennatron, die Namen derer, die Elisabeth, - und nicht nur ihr, - den 17. Februar 1962 so richtig versaut haben. Sie ist in einem regelrechten Rausch und schreibt statt der siebenunddreißig Burschen, von denen dreiunddreißig Hand an sie gelegt haben, fünfundsechzig Namen auf. Beim sechsundsechzigsten Vornamen aber stockt sie und starrt auf den großen Blutklecks, der sich plötzlich zwischen den freien Linien gebildet hat. Zuerst denkt sie an ihre doppelt gebrochene Nase, die ihr der Hubertus Haderer zugefügt hat, als sie ihm in sein schiefes verzerrte Gesicht gespuckt hatte, dann an ihre beiden ausgeschlagenen Zähne - verursacht durch die Gebrüder Wilderer, - die nichts allein machen können. Sie greift sich an ihre geschwollene Nase und spuckt in ihre rauhen Hände. Aber außer ein paar Abschürfungen, die mit Dreck gefüllt sind, ist nichts zu sehen.

      Da!

      Ein neuer Blutklecks auf den groben Seiten des Haushaltbuches. Instinktiv schaut sie nach oben und sieht an der geweißelten Lehmdecke den dunklen Fleck, der die Größe eines Kuhfladens hat. Sie schließt die Kladde, und im selben Moment platzt eine Blutblase auf die blaue Kartonage des Haushaltheftes.

      Elisabeth bekreuzigt sich und macht sich auf den Weg nach oben. Die Dielen knarren unter ihren Füßen, die ihr mit einem Mal bleischwer vorkommen. Am Treppenende lehnt die halbnackte Gundi, die mit wiegenden Bewegungen das Neugeborene an sich drückt. Wie sie da so steht, mit ihren wilden Haaren und den dürren Beinchen, sieht sie aus wie ein Waldschrat mit seinem Jungen. Die beiden ähneln sich auf gespenstische Weise und Elisabeth fährt ein Stich durch die Brust. Der kahle Kopf des Kleinen ist viel zu groß und dabei zu lang geraten, der restliche Körper ein mickriger Knochenhaufen. Nur die Füßchen, die aus Gundis rechter Armbeuge wachsen, sind normal. Aber viel zu groß im Vergleich. Der kleine Kobold liegt reglos da, lutscht am Daumen und schaut Elisabeth staunend an. Sie bekreuzigt sich und öffnet langsam die Tür zur Kammer ihrer Schwester. Ein paar Fliegen brummen. Die Kommode mit dem Frisierspiegel, der Schrank, alles steht an seinem Platz. Der Hund kommt herausgetrottet und schaut trotz seiner blutverschmierten Schnauze unschuldig aus. Was die Huftreter Elisabeth dann zu Gesicht bekommt, übertrifft all’ ihre Vorstellungskraft. Die Bauchdecke ist nicht gerade fachmännisch aufgeschnitten worden. Die Enden der Haut und die Fettlappen sind ausgefranst wie bei einer alten Pferdedecke. Das Innere scheint in Unordnung wie der Wühltisch im Kaufhaus beim Schlußverkauf. So ganz genau will sich die Elisabeth ihre Schwester auch nicht anschauen. Sie tritt ans Bett und schließt der Maria Magdalena Huftreter für immer die Augen.

      Der Held von Hamburg

      David Engel war, wie die letzten Jahre auch, allein aus Den Haag nach Deutschland gekommen. Vor drei Jahren war seine Frau Aline mit den beiden Kindern Francois und Jean ausgezogen. Sie hatte es ihm in einem eher sachlich gehaltenen Brief mitgeteilt, sich freundlich für viele schöne Stunden und die wohlgeratenen, gesunden Kinder bedankt. Die schrecklichen Bilder, die die Gräueltaten des Milosevic-Regimes dokumentierten und überall an den Wänden der Wohnung, mit Ausnahme des Kinderzimmers, hingen, hatte sie ihm mit getrennter Post geschickt. Seit Monaten hauste er in einem primitiven Zelt am Rande eines kleinen Dorfes im Kosovo, um Ausgrabungen von Massengräbern für das Internationale Tribunal in Den Haag zu dokumentieren. David konnte Aline diesen endgültigen Schnitt nicht einmal verdenken. Natürlich tat ihm alles unendlich leid. Aber er hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Da waren Kollegen, Opfer, Hinterbliebene, eine Weltöffentlichkeit, die er nicht im Stich lassen und denen er die Wahrheit nicht vorenthalten durfte. Seit fast zwei Jahren hatte er seine Frau und die Kinder nicht mehr gesehen. Ein paar kurze Telefonate, die größtenteils aus einem langen Schweigen zwischen den Worten bestanden oder angefangene Briefe, die regelmäßig irgendwo in den losen Papierstapeln seiner Unterlagen verschwanden, bevor er sie zu Ende bringen und abschicken konnte. Er fühlte sich als schlechter Vater und als miserabler Ehemann.

      Der Mutter würde er es diesen Sommer sagen. In aller Klarheit, vor allem, dass er für seine Familie keine Zukunft mehr sah und es folglich auch kein Zurück mehr gab. Eine Scheidung wäre für alle Beteiligten sicherlich das vernünftigste.

      Unrasiert,

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