Joseph. Johannes Wierz

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Joseph - Johannes Wierz

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steckend, dem eine gründliche Reinigung und Glättung gut täten, bahnte er sich mit seiner einem Seesack ähnelnden ledernen Reisetasche einen Weg durch die Masse der mit ihm angekommenen Reisenden.

      Er zeigte den Sicherheits- und Zollbeamten seinen Diplomatenpass, der ihn als Mitarbeiter des Internationalen Gerichtshofs von Den Haag auswies und verließ so ohne Vorkommnisse und unnötige Wartezeit die Sicherheitszone des Flughafens.

      Auf den verschiedenen Ebenen der Ankunftsterminals tummelten sich bewaffnete uniformierte Sicherheitsbeamte. In ihren Gesichtern dieser maskenhafte Ausdruck von Wichtigkeit. David schaute sich um und musste ein wenig lächeln über soviel Naivität. Oder war es Gleichgültigkeit, Unvermögen oder das Bewusstsein der Ohnmacht, im Ernstfall ohnehin nichts ausrichten zu können?

      Denn eines wurde selbst dem Laien auf den ersten Blick deutlich: Für einen Attentäter wäre es ein Leichtes, auf diesem Flughafen eine Bombe zu platzieren.

      In der benachbarten Kuppelhalle des Abflugterminals herrschte reges Treiben. Tausende von Urlaubern waren hier in kollektiver Hektik und Vorfreude auf die schönsten Tage im Jahr versammelt. Er aber wollte sich die Folgen eines Anschlages, die Katastrophe, nicht ausmalen.

      David stieg in eins der wartenden Taxis vor dem Franz-Josef-Strauß-Flughafen, murmelte eine Adresse in Richtung Fahrer und ließ sich müde auf die hintere Sitzbank fallen. Zweimal musste er dem Taxler die Adresse wiederholen. Immerhin ging es um eine Fahrzeit von anderthalb Stunden - wenn man gut durchkam. Jetzt zur Haupturlaubszeit würden sie mindestens zwei bis drei Stunden benötigen.

      David hatte, wie die Tage zuvor, auch in der letzten Nacht schlecht geschlafen. Das ferne Rauschen der Stadtautobahn, die Düsen der Transportmaschinen, die über seinem Hotel eine Acht zu fliegen schienen, reichten aus, ihn hellwach in seinem Bett zu halten. Und so hing er, statt zu schlafen, seinen Gedanken nach.

      Da waren Stimmen, Kindergelächter, ein menschenleeres Dorf, in dem es immer noch nach verbrannten Ziegeln und TNT roch. Wie waren die Menschen abtransportiert worden?

      Auf den Gemüseanhängern der Traktoren, mit dem Linienbus, der morgens und abends im Dorf gehalten hatte? Düstere ins Zweifeln mündende Gedanken, die ihn erst in der Dämmerung des neuen Tages einschlafen ließen. Was trieb Menschen, die früher einmal Nachbarn gewesen waren, zu solchen Gräueltaten?

      Keine zwei Stunden später wurde der Verkehr vor seinem Hotel immer dichter, ohne dass David eine befriedigende Lösung für sich gefunden hatte. Der neue Tag hatte nun endgültig begonnen.

      Er überlegte, seine Mutter anzurufen und ihr endlich zu sagen, dass er sich schon vor drei Jahren von seiner Frau getrennt hatte.

      „Du sollst nicht immer Mama zu mir sagen“, hatte sie ihm geantwortet und das Runzeln ihrer Brauen in ihre Stimme gelegt. „Das andere möchte ich überhört haben. In Angedenken an deinen Vater erwarte ich von dir Haltung. Dein Vater hätte mich nie freiwillig verlassen!“

      Es gab kaum Situationen, in denen sie nicht seinen Vater erwähnte.

      David nahm ein Foto aus seiner ledernen Reisetasche, das seinen Vater in Uniform an einen Jeep gelehnt zeigte, in dem zwei farbige Soldaten bis an die Zähne bewaffnet saßen. Eigentlich eine archaische, fast bedrohlich wirkende Szene, wäre da nicht das leicht spitzbübische Lächeln des Vaters, der über alles erhaben zu sein schien.

      Es gab verschiedene Versionen über den Tod von Johannes Engel, den sie alle, außer im Beisein seiner Frau, Johnny genannt hatten. Johnny, der Haudegen, ein Tausendsassa unter den Fotografen, der für alle Presseagenturen der Welt gearbeitet und in den zwanzig Jahren seines Schaffens ein Vermögen verdient hatte. Dass der 18. Februar 1962 sein Todesdatum gewesen sein soll, war das umstrittenste Detail in den Versionen über das Ableben von Johnny. Naturgemäß gab es viele, die ganz andere Mutmaßungen angestellt hatten.

      „Johnny hatte nur nach einer Gelegenheit gesucht, sich aus dem Staub zu machen. Der 18. Februar war ein gutes Datum, seine Spuren für immer zu verwischen!“ sagten die einen.

      „Hey, der Johnny lebt auf einer Insel in der Karibik, betreibt dort ein wenig Hochseefischerei für die Touristen und macht jedes Jahr einer anderen Inselschönheit ein Kind!“ sagten die anderen und grinsten dabei.

      In den ersten Jahren nach seinem spurlosen Verschwinden tauchten immer wieder Fotos auf, - diesmal nicht von, sondern mit ihm. Grand Prix in Monte Carlo, der braungebrannte Typ mit den Flachshaaren an der Seite von Gracia Patricia, sapperlot war das nicht unser Johnny?

      Und der Typ mit der Schneebrille, der in die Kamera winkt, bevor es halb links zum Mount Everest geht, dieses Grinsen, war das nicht das typisch unverkennbare Johnnygrinsen?

      Nachdem sich David Engel fast dreißig Jahre mit dem seltsamen Verschwinden seines Vaters beschäftigt hatte, war ihm mittlerweile, die Version seiner Mutter am liebsten. Eine glatte, runde, heroische Geschichte, die sie immer in all den Jahren am Jahrestag des 18.Februars vor dem leeren Grab auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg zum Besten gab. Niemand konnte es mehr hören. Die Verwandtschaft nicht, die Vertreter der Stadt nicht, der Pastor nicht und David – wenn er ehrlich war – erst recht nicht mehr. Wenn etwas von einem Menschen bleiben würde, dann ohnehin nur seine Legenden, dessen war sich David sicher. Sein Beruf hat ihn das gelehrt, und er glaubte nach all den Jahren vor allem eines: Nichts hält sich länger als eine gute Lüge.

      Mutters Geschichte begann in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar. Sie faltete die Hände hinter den Rücken, senkte ihre Stimme und blickte auf den Kiesboden vor der Gräberreihe. Nachdem sie sich gesammelt hatte, blickte sie den treuen Trauergästen in die Augen – jedem einzelnen – und begann zu erzählen:

      „In den frühen Morgenstunden hat er mich geweckt und mich gefragt, ob ich es auch höre. Draußen tobte ein Orkan, müsst ihr wissen. Der Deich, der Deich ist gebrochen, hat er gesagt, sich angezogen und war mit dem Auto fortgefahren. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe!“

      Allein bis hierher konnte die Geschichte auf keinen Fall stimmen, denn Johnny, der in Barkreisen von allen professionellen Säufernasen dieser Welt auch der Walker gerufen wurde, hatte erst am späten Vormittag mit nassen Füßen die Bar des Atlantic verlassen. Dafür gab es genügend glaubwürdige Zeugen. Auch die Aussage eines Freudenmädchens, das sich Chantal nannte und ihn noch am 18. bedient haben wollte, schien glaubwürdig.

      „Der letzte Fick vor’m Höllenritt“, soll er gelallt haben, hatte sie zu Protokoll gegeben und damit Furore gemacht.

      Für David durchaus vorstellbar. Für die Mutter nicht einmal anhörenswert.

      „Er ist mit einem Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes in den frühen Morgen hinaus und hat das ganze Elend fotografiert. Da war dieser Bauernhof mit den Leuten auf dem Dach. Die Frau mit dem Säugling, so alt wie sein eigenes Kind, denen hat er das Leben gerettet und ist dann heldenhaft zurückgeblieben. Was vom Senat der Stadt Hamburg und der Bundesrepublik Deutschland posthum mit einem Orden bedacht worden ist.“

      David Engel war sich sicher, dass die Erklärung für die Auszeichnungen durch Land und Staat eher in der geheimen Kammer in der Villa am See zu suchen war. Dort lagerten unzählige Negativfilme, die bereits bei einer ersten flüchtigen Sichtung selbst dem Laien klar gemacht hätten, dass sie nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren.

      Zudem war die Mutter vom 17. auf den 18. Februar überhaupt nicht in Hamburg, sondern auf dem Anwesen in den Bergen am See gewesen. Dafür gab es mehr als ein Dutzend Zeugen.

      Charlie, das Knautschgesicht soll seinerzeit den Bundesgrenzschutzhubschrauber geflogen haben.

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