Joseph. Johannes Wierz

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Joseph - Johannes Wierz страница 10

Автор:
Серия:
Издательство:
Joseph - Johannes Wierz

Скачать книгу

in einem Jesuitenkloster fortsetzen. Bis dahin will er fleißig Lateinvokabeln lernen, hat er sich geschworen. Er wird der erste in der Familie sein, der studieren darf. Das alles hat er dem Pfarrer zu verdanken, zu dem er sich jetzt auf den kalten Steinboden niederkniet, um ihm im Gebet noch näher zu sein.

      Unterdessen machen sich oben, fast am Scheitel des Berges, alle auf dem Huftreterhof reisefertig. Der Schnee ist in den letzten zwei Tagen so stark gefallen, dass Elisabeth den großen Schlitten aus der Scheune geholt und den Klepper davor eingespannt hat. Der Gundi hat sie die Festtracht ihrer verstorbenen Schwester umgenäht und dem Kleinen das Taufkleid ihres Vaters angezogen. Doch, heute können sie sich alle wirklich sehen lassen. In einen Korb packt sie ein paar leere Milchfläschchen, über die sie eine Decke legt. Vor der Taufe muss sie, wie jeden Tag, noch schnell bei der Müllegger vorbei. Die hat fast zur selben Zeit ein Kind entbunden, und in ihren großen Brüsten steckt zum Glück so viel Milch, dass es für zwei Kinder reicht. Elisabeth hält es für ein gutes Omen, dass heute in der Früh bei ihr endlich die Blutungen, eine Folge der unauslöschlichen Nacht, aufgehört haben. Sie wird sehr stark sein müssen, das weiß sie. Das ganze Dorf wird auf den Beinen sein. Seit Tagen zerreißen sie sich unten das Maul über sie und überlegen, wer wohl aus ihren Reihen der Vater des zu taufenden Kindes sein könnte. Dass niemand von ihnen ihrer Schwester, der Maria Magdalena, eine Träne nachgeweint hat, das weiß sie. Das war schon bei ihrem Vater so und wird, wenn es denn an der Zeit ist, bei ihr nicht anders sein.

      Der Kirchenwirt reibt sich die Hände und zählt draußen auf dem bitterkalten Häusl das Geld, das ihm vorhin der Landarzt Dr. Holzer in einem Umschlag zugesteckt hat. Im Voraus hat er alles bezahlt, die ganze Pauschale. Wenn er es nicht besser wüsste, würde er ihn glatt für den Vater des Täuflings halten. Das schlechte Gewissen wird ihn plagen und Wut um den missratenen Sohn, der ihn jetzt eine Stange Geld gekostet hat. Den Betrag, ohnehin nur ein überhöhtes Phantasieprodukt des Wirtes, hat er auch noch aufgerundet. Sorgfältig steckt der den dicken Umschlag zurück in seinen Trachtenrock. Am späten Abend wird er das Geld in ein sicheres Versteck bringen. Die Frau muss nicht alles wissen.

      Gut gelaunt schreitet der Kirchenwirt durch den tiefen Schnee über den Hof, wo bald die Remise der Poststation stehen wird, und betritt von außen die Küche. Wie ein Feldherr schreitet er die brodelnden Töpfe ab, in denen Suppe, Erdäpfel, Wurzelgemüse und Tafelspitz schwimmen. Seit zwei Tagen bereitet seine Frau mit zwei Aushilfen alles für die Taufe vor. Er selbst ist zudem günstig an ein paar Fässer Bier gekommen, die mehrere Tage Frost abbekommen haben. Zu später Stunde, wenn ohnehin niemand mehr etwas wahrnimmt, wird er es seinen angesoffenen Gästen unter Zusatz von ein wenig Sodawasser kredenzen.

      Das zweiundsechziger Jahr hat ohnehin schlecht genug begonnen. Fast alle im Dorf, die Geld haben, besitzen jetzt ein Auto und fahren am Wochenende in die Stadt. Und die anderen kleben an ihrer Halben oder einem Achtel Wein wie die Fliegen auf dem Häusl. Nein, nein, in diesen Zeiten muss jeder selbst schauen, wo er bleibt.

      In der noch nicht geheizten Wirtsstube sitzt ein einziger Gast. Seine dritte Halbe ist schon wieder leer und er brüllt nach der Bedienung.

      „Komm ja schon, komm ja schon“, antwortet ihm der Kirchenwirt.

      Ohne das Glas zu spülen, nimmt er die leere Halbe und füllt sie erneut.

      „Weißt schon, dass der Bub meinen Namen bekommt? Im Grunde bin ja ich der eigentliche Pate. Da kann sich der Lackel von Holzer noch so aufspielen wie er will!“

      „Ist schon recht“, sagt der Kirchenwirt und stellt dem Schäfer Josef, dem Bestatter und Schreiner des Ortes, eine frische Halbe hin.

      Naturgemäß kassiert er das Geld sofort, denn die Tauffeier hat noch nicht begonnen. Zudem weiß man bei solch einem Trunkenbold, wie der Josef einer ist, ohnehin nicht, an was er sich später noch erinnern kann.

      Elisabeth führt den Schlitten langsam den Berg hinunter. Hochkonzentriert und die Muskeln angespannt, achtet sie darauf, dass der Abstand zwischen Schlitten und Pferd derselbe bleibt. Kommen die Kufen erst einmal ins Rutschen, ist das schwere Ungetüm nicht mehr zu halten.

      „Wie Weihnaaacht, wie Weihnaaacht“, ruft auf dem Bock die Gundi lallend in den weißen Wald und klatscht vor Freude in die Hände. Um ihr Kinn haben sich dünne Eiszapfen aus Spucke gebildet. Immer wieder schaut Elisabeth in das dicke Bündel aus Decken, aus dem nur der große, lang gezogene Kopf des Neugeborenen herauslugt, dem sein erster Ausflug in die Welt nichts auszumachen scheint.

      Der Pfarrer hat seine Gebete beendet. Seine Lederschuhe knarren beim Aufstehen. Es hat nichts genützt, er ist immer noch da. Ein rührendes Bild, wie der kleine Martin auf dem kalten Steinboden vor dem silbernen Heiland kniet. Ein Gefühl ergreift ihn, das er nicht mehr zulassen darf. Eine nicht kontrollierbare Regung, die seit dem letzten Sommer, als er mit seinen Messdienern draußen am See schwimmen gewesen ist, immer wieder in heftigen Hitzeschüben über ihn kommt.

      „Komm Junge, steh auf, es ist an der Zeit“, flüstert der Pfarrer mit weicher Stimme und streichelt dem Martin über sein Haar.

      „Ich habe schwere Sünde getan“, antwortet ihm der Junge und neigt seinen Kopf verschämt zu Boden, „mein Vater hat meinen Bruder, den Johann, fast zu Tode geprügelt, und ich habe dabei große Freude empfunden.“

      Der Johann ist dem Pfarrer ohnehin ein Dorn im Auge. Ein Halbstarker ohne Manieren, Anstand und Moral. Sicher, auch er ist einmal Messdiener gewesen und dem Martin nicht unähnlich. Aber jetzt raucht und trinkt er in aller Öffentlichkeit, zieht alles in den Schmutz und verbreitet mit seinem alten Wehrmachtmotorrad im Ort nur einen Lärm, der unerträglich ist.

      „Ist schon gut“, murmelt der Pfarrer und zieht den Kopf des Jungen an seinen Schoß. So verharren beide, der eine in heiliger Andacht, der andere in sündiger Wollust.

      Elisabeth kann vom Bock des Schlittens schon die ersten Dächer des Dorfes erblicken. Der gefährlichste Teil des Weges liegt hinter ihnen. Gundi hat das Bündel mit dem Kleinkind auf ihren Schoß genommen. Und so schaut der Junge zum ersten Mal auf das karge Bergdorf, das eingebettet zwischen den Bergen liegt. Es scheint ihm zu gefallen, denn ein vergnügtes Lächeln überzieht sein unförmiges kleines Gesicht.

      Dem kleinen Martin hingegen steht Schweiß auf der Stirn. Sein Kopf ist purpurrot und glüht, so müht er sich ab mit dem rauen Hanfseil, an dem er sich mit beiden Händen festklammert, um die große Glocke, die zwanzig Meter über ihm hängt, in Schwingung zu bringen. Der Pfarrer steht unterdessen am Sakristeibecken und wäscht sich zum wiederholten Mal die Hände. So voller Sünde, wie er ist, ist an ein Gebet nicht zu denken.

      Im Gemeindeamt, wo die Familie Ganser das obere Stockwerk bewohnt, machen sich alle, bis auf die Großmutter, die seit Jahren ans Bett gefesselt ist, für die Heilige Messe fertig. Zu siebt bewohnen sie drei Zimmer und demgemäß herrscht ein unruhiges Treiben auf dem Flur. Immer wieder wird nach der Mutter gerufen, deren Aufgabe es ist, die Familie im guten Glanz erscheinen zu lassen. Allen Familien im Dorf geht es so, denn fast jede fühlt sich wegen der Nacht des 17. Februars verpflichtet, der Taufe beizuwohnen. Auch die Väter haben neben Dr. Holzer einen kleinen Brief bekommen. Geschrieben auf einer alten Schreibmaschine mit blassen unsauberen und hüpfenden Buchstaben. Auch in ihren Exemplaren war eine Schwarzweißfotografie des ältesten Zöglings beigelegt, wie er sich an der Huftreterin vergeht. Naturgemäß haben sie die unschöne Sache für sich behalten. Die Bestrafung des ältesten Nichtsnutzes erfolgte meist ohne Worte und wurde von den Delinquenten ohne mit der Wimper zu zucken und mit einem inneren Grinsen entgegengenommen.

      Als hätten sie sich verabredet, verlassen die Familien des Ortes gleichzeitig ihre Häuser und betreten die Straße. Die Männer heben ihre Hüte, die Frauen nicken einander zu, und die Kinder ziehen hinter den Rücken der Erwachsenen Grimassen. So strömen die Menschen aus allen Richtungen zusammen

Скачать книгу