Joseph. Johannes Wierz

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Joseph - Johannes Wierz

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weitere Kinder sind mittlerweile in der Sakristei eingetroffen und helfen dem Pfarrer unter Anleitung des kleinen Martin in sein Messgewand. Aus der Kirche dringt Orgelmusik zu ihnen herein. Der Dorfschullehrer versucht, sich warm zu spielen, was äußerst schwierig ist. Obwohl seine Hände bis zu den Fingerkuppen in dicken Handschuhen stecken, sind sie steif vor Kälte. Er versucht an etwas Schönes zu denken, aber immer wieder taucht vor seinen stark bebrillten trüben Augen diese unsägliche Schwarzweißfotografie des einzigen Sohnes auf. Hat er dafür am Salzburger Konservatorium Musik studiert, um dann hier zu enden? Sein ganzes Leben stößt ihm auf, als hätte er einen ganzen Korb gegorenes Obst gegessen. Fugenlos müsste man sein, denkt er und spielt seinen hassgeliebten Bach. Zumindest versucht er es auf der rostigen verstimmten Orgel.

      Im Schritttempo fährt Dr. Holzer mit seinem Wagen an den Dorfbewohnern vorbei. Seinen unsäglichen Sohn Barnabas hat er schon einen Tag zuvor zu seinem Bruder in die Stadt gefahren. Hinten auf der Rückbank liegen drei weiße Lilien, die ihn um diese Jahreszeit ein kleines Vermögen gekostet haben. Sie sind für seine Frau bestimmt, die vor mehr als fünf Jahren unterhalb der alten Wehrkirche auf dem Friedhof ihre letzte Ruhe gefunden hat. Vor einem großen Schneehaufen bringt er den Wagen zum Stehen. Er zündet sich eine Zigarette an und geht noch einmal, wie in den letzten schlaflosen Nächten auch, den Tag durch. Sein Plan scheint nicht nur perfekt, er ist es auch. So steigt er zufrieden aus dem Auto, öffnet den Kofferraum und schaut auf sein Taufgeschenk, einen Kinderwagen, der in dieser Luxusausführung nur in der Stadt zu bekommen ist. Letzte Nacht hat er die Kugellager der Räder mit Waffenöl geschmiert und die Gummireifen angeraut. Er schließt den Wagendeckel und geht mit den weißen, in Zeitung eingeschlagenen Lilien zum Grab seiner Frau. Ohne den Schnee wegzuwischen, entfernt er das Papier und legt die Blumen ab. Da hört er ein Klirren und Knarren, gemischt mit dem Geschnaufe eines alten Kleppers, das sich langsam aber stetig dem Friedhof nähert.

      Elisabeth springt vom Bock und ist erleichtert, dass außer dem Wagen des Landarztes noch niemand aus der Dorfgemeinschaft die alte Wehrkirche erreicht hat. Vorsichtig nimmt die Gundi das Bündel mit dem Säugling vom Schlitten. Immerhin ist sie die Taufpatin, auch wenn sie nicht genau weiß, was das ist.

      Eine steile holzüberdachte Stiege führt hinauf zur Kirche. Die erste Stufe ist noch nicht genommen, da fängt das Baby aus voller Brust an zu schreien. Purpurrot läuft es an, als ob es irgendetwas verschluckt hätte. Mit großen Augen und offenem Mund ringt es nach Luft. Entsetzen steht in dem eben noch so ruhigen Gesicht geschrieben. Vor Schreck hätte die Gundi das Bündel fast fallengelassen, aber die starken Hände des Landarztes übernehmen den Täufling sicher.

      Keine fünf Monate gibt Dr. Holzer dem Kleinen. Neben den Schädeldeformierungen und der Diabetes ist mittlerweile wohl auch ein Asthmaleiden hinzugekommen. Ganz abgesehen vom angeborenen Herzfehler des Kleinen. Obwohl das Kind wie der Teufel schreit, ist sein Puls so schwach, dass er ihn kaum fühlen kann. Elisabeth übernimmt den angenommenen Sohn als drittes, aber auch das bringt keine Veränderung. Im Gegenteil, das Baby mobilisiert alle seine Reserven, um noch lauter schreien zu können. Es scheint, als hätte es vor irgendetwas unerklärliche Angst.

      Während zwei der Ministranten die Silberschiffchen mit Weihrauch füllen, legt Martin mit dem dritten Jungen glühende Holzkohle in die beiden Weihrauchkessel. Er muss sich beeilen, denn im Tabernakel des barocken kleinen Hochaltars müssen die Hostien noch aufgefüllt werden. Ein kräftiges Kindergeschrei versucht im Kircheninneren, mit der Orgel in Konkurrenz zu treten. Was letztendlich auch gelingt. Entnervt nimmt der Dorfschullehrer seine schwere Brille von der Nase und reibt sich seine triefenden Augen. Jetzt gehört die Akustik ganz allein dem Kleinkind. Und so brüllt es weiter, als wäre der Leibhaftige persönlich hinter ihm her.

      Martin hebt den Ministrantenrock und huscht aus der Sakristei. Im Seitenschiff, direkt am Taufbecken, sitzt Elisabeth Huftreter mit der Gundi, die ein Bündel auf dem Schoß hält. Neben ihnen Dr. Holzer, der Landarzt. Mit so einem schreienden Kleinkind kann der Pfarrer unmöglich die Heilige Messe eröffnen, denkt Martin und stellt seinen Auftrag hinten an. Schnellen Schrittes begibt er sich in Richtung Taufbecken. Und so steht der kleine Martin, in seinen Händen die goldene Schatulle mit den Hostien, das erste Mal vor dem Neugeborenen. Ein Sonnenstrahl bricht durch eines der bleiverglasten Kirchenfenster, erleuchtet den Evangelisten Johannes, trifft das runde goldene Etui und lenkt das kegelförmige Licht auf das gespenstische Antlitz des Täuflings. Vollkommen entrückt schaut der kleine Martin in das Gesicht des Babies. So nah ist er noch nie jemanden gewesen. Obwohl es bitter kalt ist in der alten Wehrkirche, durchflutet den Ministranten eine ungeheure Wärme. Mit einem Mal ist er nicht mehr zehn Jahre alt, sondern glaubt, das Universum zu begreifen. Noch nie zuvor in seinem Leben hat ihn so jemand wie der in Decken eingewickelte Kleine, angelächelt. Das Baby hat beim ersten Sonnenstrahl, der auf seine Nase zielt, aufgehört zu schreien. Es hat einen Verbündeten auf dieser ihm noch fremden Welt, das spürt es, während es den Messdiener studiert.

      Nach dieser Begegnung betritt Martin als anderer Mensch die Sakristei und fängt von dem ehrwürdigen Pfarrer von Tamm eine Backpfeife, die sich gewaschen hat. Er selbst wird sich diese Reaktion bis zu seinem Tod nicht erklären können. Aber das Gefühl, den so sehr geliebten Jungen in diesem Moment für immer verloren zu haben, hat ihn bis zum Schluss nicht mehr losgelassen.

      „Und so taufe ich Dich im Namen des Herrn auf die Namen Joseph Nepomuk Baptist Huftreter“, verkündet der Dorfpfarrer, wobei er bei dem letzten Vornamen mehrfach ins Stocken gerät. Das Kind ist freundlich, denkt er, es kann nichts dafür, dass es aus einer gottlosen Familie stammt. Es lächelt immerzu, ist voller Zuversicht. Selig sind die Kinder des Herrn, seufzt der Pfarrer innerlich und versucht mit aller Kraft nicht weiter zu denken. Gundi, die Taufpatin sabbert vor Freude in das Taufbecken und ist auch ansonsten kurz davor, alles laufen zu lassen. Für sie ist es ein schönes, prickelndes Gefühl, wenn der warme Urin an ihren Beinen herunterläuft.

      Auch Elisabeth glaubt, dass heute ein ganz besonderer Tag ist. Vorne neben dem Taufbecken bekommt sie mit, wie sich plötzlich alle Fenster in der Kirche durch die eindringende Wintersonne erhellen. Urplötzlich, - vielleicht hervorgerufen durch das helle Farbenspiel, - glaubt sie, in einem imaginären Seitenschiff ihre gerade verstorbene Schwester Maria Magdalena zu erkennen. Gekleidet in ein festliches Ornat, lächelt sie zu ihnen herüber und gibt auch ihren Segen noch dazu.

      Für den Pfarrer hingegen ist diese Feier ein Albtraum. Soviel unwertes Leben hat in seiner ganzen Amtszeit noch nicht um sein Taufbecken gestanden. Blasphemie, denkt er empört.

      Feierlich läuten die Kirchenglocken und hallen in den Bergen nach.

      Der Kirchenwirt legt selbst letzte Hand in der Küche an, indem er, die Suppe und die Soßen gegen den Willen seiner fleißigen Frau mit Wasser verdünnt. Er hat das Geschäft seines Lebens gemacht, dessen ist er sich sicher. Damit soll er auch Recht behalten.

      Nachdem alle Segen ausgeteilt sind, zieht die Dorfgemeinschaft wie bei einer Prozession durch den kleinen Bergort. Diesmal folgen sie nicht dem Gekreuzigten, sondern dem Wagen des Landarztes, in dem auch der Täufling, Elisabeth und Gundi sitzen.

      Als der Schreiner und Totengräber – um zwei Bier erleichtert – aber immer noch vollkommen betrunken vom Häusl zurücktorkelt, ist der kleine Saal bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Tische sind, wie es auch bei Hochzeiten üblich ist, in Hufeisenform aufgestellt. Am Kopfende sitzen Elisabeth und die Gundi in der Mitte, ihnen gegenüber der Landarzt Dr. Holzer. Und im neuen Kinderwagen, den alle gebärfähigen Frauen des Ortes neidisch beäugen, thront der Täufling Joseph Nepomuk Baptist Huftreter.

      Schnell haben alle Gäste vergessen, aus welchem Anlass man eigentlich zusammengekommen ist. Gierige Augen, glänzende Münder, zielsicher geführte Gabeln fischen große Bratenstücke von den Platten. Mit großen Löffeln werden Kartoffeln und Gemüse geschaufelt. Leere Bierhumpen knallen auf die Tische, dass Frauen und Kinder ihre Wasser- und Limonadengläser festhalten müssen. Derselbe Klatsch, dieselben Anekdoten, Jägerlatein durch Generationen vererbt, macht die

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