Joseph. Johannes Wierz

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Joseph - Johannes Wierz

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verfänglichen Schwarzweißfotografien sind bei den Vätern für ein paar Stunden vergessen. So stehen sie gemeinschaftlich in einer Reihe vor der angerosteten Pissrinne und erleichtern sich mit dampfendem Strahl. Der Weg zum Häusl, da wo die Frauen unruhig von einem Bein auf das andere treten, gleicht einer großen Schneepfütze. Grobe Bauernhände klatschen den Bedienungen wie Kühe auf die Hinterteile. Beim Abdecken versucht ein jeder der Männer und Halbwüchsigen einen Blick in den Ausschnitt zu werfen. Kinder kriechen unter den Tischen herum, werfen neugierige Blicke unter die Röcke oder binden Schnürriemen zweier jeweils fremder Schuhe zusammen. Längst hat der Kirchenwirt sein schlechtes Bierfass im Ausschank und ein lüsternes Auge auf die vierzehnjährige, schon voll entwickelte Tochter des Schlachters aus der Nachbargemeinde geworfen, die am heutigen Tag aushilft. Vielleicht ergibt sich ja die Gelegenheit, sie in den Keller zu locken. Es wäre nicht die erste Aushilfe, der er im Halbdunkeln zwischen dem Leergut und den Krötenpfützen den Sinn des Lebens beigebracht hätte.

      Zur selben Zeit hat ein Wanderer die Anhöhe erreicht. Er lehnt sich auf seinen Stock und schaut nach unten auf den kleinen Huftreter Hof. Er ist ein paar Tage zu spät dran. Aber manche Dinge haben eben länger gedauert als eingeplant. Er steigt den kleinen schmalen Pfad herab und rutscht immer wieder durch den tiefen Schnee. Dann steht er zwischen Stall und Wohnhaus. Er zündet sich eine Zigarette an und lauscht, aber es sind nur Tiergeräusche aus dem Verschlag unter der Scheune zu hören. Müsste aber nicht ein Kind schreien? Zudem neigt sich der Tag dem Ende zu. Die Kühe müssen gemolken und versorgt werden. Er schaut nach oben, aus dem Kamin steigt nur ein kleiner Rauchkringel, nicht größer als eine Ringelnatter. Der Mann drückt seine Zigarette in den Schnee und klopft mit seinem schweren Wanderstab gegen die Haustür. Aber niemand rührt sich. Der Wanderer tritt seine Schuhe ab und betritt den Flur des Bauernhauses.

      „Ist jemand zu Hause? Maria, Elisabeth, Gundi, wo seid ihr?“

      Ohne zu bellen kommt der Hund die Treppe herunter, schnuppert an der Kotze und den Bergschuhen und wedelt zur Begrüßung mit dem Schwanz. In der Küche ist niemand und genauso wenig in den oberen Zimmern. Der Mann überlegt, ob er unten warten und den Ofen wieder einheizen soll. Aber irgendetwas stimmt mit dem Hund nicht. Er scharrt an der Tür, - ihn zieht es nach draußen, und er soll ganz offensichtlich mitkommen. So folgt er dem Hund durch den Schnee. Vorbei an dem Unterstand neben der Scheune, wo das Holz gehackt und aufgestapelt ist. Es geht durch eine Schonung junger Tannen, in deren Mitte erst kürzlich gerodet worden ist. Vor einem lang gezogenen Schneehügel bleibt der Hund bellend stehen. Der Wanderer tritt näher heran und entdeckt jetzt auch das kleine eingeschneite Holzkreuz. Er zieht seine Handschuhe aus und wischt den Neuschnee vom Querbalken.

       Hier ruht

       Maria Magdalena Huftreter

      Unten im Tal hat Elisabeth längst die Feier verlassen und sich auf den Weg gemacht, um das Pferd mit dem Schlitten zu holen. Allzu spät möchte sie nicht oben am Berg ankommen. Zudem müssen die Viecher noch versorgt werden.

      Der Wanderer ist in die Knie gegangen und streichelt zärtlich den lang gezogenen Schneehügel. Ein verzweifeltes NEIN kommt aus seinem Mund und verteilt sich an den steilen Wänden des Berges.

      Besorgt schaut Elisabeth nach oben. Irgendetwas hat sie gehört. Irgendetwas liegt in der Luft, was sie sich nicht erklären kann. Keiner ihrer Peiniger hat sich heute blicken lassen, das erfüllt sie mit Genugtuung. Dennoch, der Tag ist noch nicht zu Ende.

      „Kann ich mit dem Joseph ein bisschen spazieren fahren?“ fragt der kleine Martin den Landarzt.

      „Warum nicht“, antwortet Dr. Holzer freundlich. Die Reihen im kleinen Saal der Dorfwirtschaft haben sich ohnehin gelichtet. Die meisten Frauen sind schon nach Hause gegangen, um ihren kleinen Viehbestand zu versorgen.

      Der Kirchenwirt hat durch einen schnellen Blick in die Küche beruhigend festgestellt, dass seine Frau mit dem Abwasch alle Hände voll zu tun hat. So packt er hinter dem Tresen seine Aushilfe, die schon voll entwickelte Tochter des Schlachters aus der Nachbargemeinde, am Arm und gibt ihr den Auftrag, aus dem Keller neuen Wein zu holen.

      „Wie komme ich denn in den Keller?“ fragt die Kleine.

      „Das werd’ ich dir schon zeigen“, flüstert der Kirchenwirt ihr so nah ins Ohr, dass sie seinen heißen Atem auf ihrem Hals spürt.

      Das alles entgeht dem Blick des Landarztes nicht, der sich zur Seite gedreht hat und sich freundlich mit dem kleinen Martin unterhält. Mit wollüstigem Blick öffnet der Wirt die Klappe zum Keller.

      Endlich ist die Zeit gekommen, dass Dr. Holzer handeln kann. Als erstes ruft er der kleinen Aushilfe zu, dass sie ihm ein frisches Bier bringen solle, was zur Folge hat, dass sie sofort wieder hinter dem Tresen verschwindet, der Wirt sich aufrichtet und verdutzt in den kleinen Saal hineinschaut. Er steht jetzt genau vor der geöffneten Kellerklappe.

      „Geh ruhig mit dem Kleinen, die frische Luft wird ihm gut tun“, sagt der Landarzt, und der kleine Martin folgt aufs Wort. Glücklich springt er auf und greift nach dem breiten Griff des Kinderwagens. Wird das ein Spaß draußen im Neuschnee! Aber was ist das? Der jüngste Sohn des Gemeindebediensteten erhält einen kräftigen Schlag auf seinen Rücken, dass ihm die Luft weg bleibt. Er stolpert nach vorne, spürt an seinen Füßen einen Widerstand, worauf er mit seinen Händen dem Kinderwagen noch einen heftigen Stoß versetzt, bevor er mit rudernden Armen der Länge nach auf den staubigen Holzboden fällt. So sieht der kleine Martin aus der Perspektive der angerauten Gummiräder, wie der Wagen an Fahrt gewinnt, den verdutzten Kirchenwirt überfährt und mit ihm in die Tiefe des Kellers stürzt.

      Der Landarzt hat der Szenerie längst den Rücken gekehrt und wartet darauf, was kommen wird, denn die Anwesenden im Saal haben so gut wie nichts mitbekommen. Sie sind wein- und bierselig und erzählen sich, wie bei jedem anderen Dorffest auch, dieselben Geschichten. Erst als der kleine Martin mit blutender Nase beginnt, ohrenbetäubend zu schreien, unterbrechen sie ihr Ritual und registrieren mit großen dumpfen Augen, dass irgendetwas passiert sein muss. Die kleine Aushilfe aus dem Nachbardorf hat den Mund offen und mit ihm auch den Zapfhahn, aus dem das umgekommene schale Bier auf den bereits völlig verklebten Tresenboden plätschert, denn soeben ist ihr Chef zusammen mit Kinderwagen und Täufling im dunklen Kellerloch verschwunden.

      Schutzengel

      Zwei feine rote Rinnsale aus Mund und Nase laufen über das erstarrte Gesicht des Kirchenwirtes und treffen sich in einer beachtlichen Blutlache unterhalb des rechten Ohres.

      Er muss auf der Stelle tot gewesen sein, denkt der Landarzt und schließt mit zwei Fingern die Augen des Verstorbenen.

      „Ein Wunder, ein Wunder“, schluchzt Elisabeth vor Freude und hebt den kleinen Joseph aus dem völlig demolierten Kinderwagen neben der Leiche. Verwundert schaut das Baby seine Ziehmutter im spärlichen Kellerlicht an. Hinter den Holzkisten mit den verschimmelten Weinflaschen fiepen ein paar Ratten. Ansonsten ist es still in dem feuchten, muffigen Keller der Dorfwirtschaft. Selbst das alte Kühlaggregat neben den Bierfässern hat mit einem letzten lauten Seufzer aufgehört zu rattern.

      „Bring ihn nach oben, dort werde ich mir mein Patenkind mal genauer ansehen“, sagt der Landarzt zu Elisabeth und macht dem Dorfgendarmen Platz, der mit seiner kleinen Batterielampe den Tatort ableuchtet.

      „Dass hier nichts angerührt oder verändert wird bis die Kollegen da sind“, brüllt er nach oben und ärgert sich, dass er wegen so einer dummen Sache die ganze Nacht wird aufbleiben müssen. Bis die Beamten von der Bezirkskommandantur an einem Sonntag hier sein werden, wird es Montag sein, dessen ist er sich sicher. Und nüchtern muss ich auch bleiben, denkt er sich, und das ist das allerschlimmste.

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