Joseph. Johannes Wierz

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Joseph - Johannes Wierz

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hatte sie es ihm ins Gesicht gesagt, dass sie mit ihm schlafen wollte.

      „Ich will ein Kind von dir, jetzt und hier auf dem See!“

      David blinzelte mit den Augen. Die Sonne hatte ihm direkt ins Gesicht geschienen. Vor ihm war Johanna gesessen, die vierzehnjährige Tochter der Nachbarn, die er nur in Konturen hatte erkennen können. Er hatte kurz überlegt, wie er einem Mädchen in diesem schwierigen Alter, antworten konnte, ohne es zu verletzen.

      „Ich bin verheiratet und habe bereits zwei Kinder“, hatte er erwidert und dabei um die Plattheit seiner Antwort gewusst.

      „Deine Frau ist langweilig und deine Kinder mittelmäßig, ich glaube kaum, dass du überhaupt der Vater bist.“

      „Werd’ nicht unverschämt!“

      David hatte das Ruderblatt schräg ins Wasser gesetzt und zum Schlag ausgeholt. Eine Wasserwand war steil aufgestiegen und über Johanna zusammengebrochen. Es hatte einfach platsch gemacht und das Mädchen war von oben bis unten klatschnass gewesen.

      „Schlappschwanz“, war Johannas ganzer Kommentar gewesen. Sie war aufgestanden und hatte dabei durch die Verlagerung ihres Gewichts versucht, das Boot zum Kentern zu bringen. Als das nicht den nötigen Erfolg gebracht hatte, zog sie ihr T-Shirt und das Bikiniunterteil aus und sprang ins Wasser.

      Kein Jahr später, gerade mal fünfzehn Jahre alt, hatte sie einen gesunden Jungen geboren, und alle Welt rätselte seitdem, wer wohl als Vater in Frage kommen könnte.

      „Hier“, mehr brachte David nicht heraus und überreichte Johanna den Brief des Amtsgerichts. Etwas abseits saß der Junge auf einer Schaukel, die zwischen zwei Obstbäumen befestigt war. In regelmäßigen Abständen tauchte sein Gesicht aus dem Schatten der Bäume auf. Ein lächelndes, fröhliches Kindergesicht strahlte ihn an. Es war Davids Gesicht, genauer gesagt, sein eigenes vor zweiunddreißig Jahren, daran gab es keinen Zweifel.

      Vom Regen in die Traufe

      Ganze drei Wochen bleibt der kleine Martin in der Obhut des ehrwürdigen Pfarrers von Tamm. Dann bringt ihn der katholische Adelsmann in das fast zweihundert Kilometer entfernte Kloster und Internat. Um zur nächsten Bahnstation zu kommen, müssen sie zu Fuß den Berg überwinden, was zu dieser Jahreszeit nur noch über die Passstraße möglich ist. Martin sieht von weitem die kleinen Rauchschwaden, die wie Schweinekringel aus dem Kamin des Huftreteranwesens steigen. Der Pfarrer aber verweigert einen Besuch. Sehnsüchtig und mit Tränen in den Augen schaut Martin zurück und schwört bei Gott, ein Leben lang auf das Kind aufzupassen, das einen solchen nachhaltigen Eindruck auf ihn hinterlassen hat. Bei den immer ungestümeren und hemmungslosen nächtlichen Übergriffen des Kirchenmannes hat er oft das Bild des kleinen Joseph vor sich gehabt. Lichtumstrahlt hat er ihm durch das Kirchenfenster des Evangelisten Johannes zugelächelt, als wolle er ihm sagen, dass bald alles vorbei sein und ein Ende haben würde. Das hat ihm Trost gegeben. Auch wenn er manchmal wie ein ganz normaler Junge denkt. Vom Regen in die Traufe. Dieser Satz lässt ihn eine ganze Weile nicht mehr los. Obwohl er es als Sünde empfindet, undankbar zu sein. Selbst als er zum ersten Mal in seinem Leben in einem Zugabteil sitzt und durch das Fenster die winterliche Landschaft an sich vorbeiziehen sieht, kann er keine Freude empfinden. Der Pfarrer liest sein Brevier, und der kleine Martin muss unwillkürlich an den Schiffsjungen Jim Hawkins denken, der sich auch so maßlos im Schiffskoch John Silver getäuscht hatte. Aber noch ist er der felsenfesten Überzeugung, dass alles einen guten Ausgang nehmen muss. Spät am Abend hinterlassen der adlige Kirchenmann und der Junge eine kleine Spur im Schnee, die durch einen eisigen Wind schnell verweht wird. Zwei Stunden gehen sie durch die frostige Kälte, da sehen sie vor sich einen düsteren rechteckigen schwarzen Kasten, der von zwei großen schlanken Türmen gerahmt wird. Der kleine Martin träumt von einer heißen Suppe und einem Ofen, der bullert und in dessen Innerem man das Holz knacken hört. Aber nichts dergleichen erwartet ihn. Im Kloster und im angrenzenden Jungeninternat hat man längst schon zu Abend gegessen, und Ausnahmen werden grundsätzlich nicht gemacht. Das alte Gemäuer ist kalt und feucht. Von einem Ofen keine Spur. Zum Abschied schenkt ihm der ehrwürdige Pfarrer von Tamm eine kleine Bibel und segnet sein gesenktes Haupt. Der kleine Martin blickt erst wieder auf, als die Schritte seines Peinigers auf dem Steinboden verklungen sind. Ein Ordensbruder führt ihn dann durch weitläufige dunkle Gänge in den Internatstrakt.

      In Anbetracht des karg eingerichteten und zudem eiskalten Schlafsaales, in dem vierundzwanzig Betten stehen, kommt dem kleinen Martin wieder dieser eine Satz in den Sinn. Vom Regen in die Traufe. Das aus rohem Holz gezimmerte Bett ist mit einem Strohsack ausgelegt, der an manchen Stellen steinhart, an anderen feucht ist. Es riecht nach frischem Jungenurin und Schimmel. Eine schwere, kratzige Decke dient dem kleinen Martin zum Zudecken. Gegen die eisige Kälte, die durch die Ritzen des Fensters unter dem er schläft, zu ihm ins Bett kriecht, kann sie aber nichts ausrichten. Verloren starrt er an die Decke, wo sich ein Fleck von der Farbe und Größe eines Eieromelettes, wie es die Mutter immer gemacht hat, befindet. Er möchte weinen, aber sein Gesicht ist bereits nass, denn von oben tropft es stetig. Aus den Nachbarbetten ist ein gedämpftes Kichern zu hören.

      Sieben Jahre wird es dauern, bis er es als Primaner zu einem Einzelzimmer geschafft hat. Wenn er jetzt in die Zukunft sehen könnte, würde er bestimmt auf der Stelle umkehren und sich freudestrahlend in die prügelnden Arme des Vaters werfen. Doch niemand, auch er nicht, kann wirklich wissen, was auf ihn zukommen wird.

      Ehe der Kirchenwirt nach mehr als drei Wochen unter Anteilnahme aller Dorfbewohner unter die Erde kommt, werden im Ort zwei Kinder geboren.

      Dr. Holzer beobachtet nicht erst hier auf der Beerdigung die junge Kirchenwirtin. Wann immer es die Zeit zulässt, beschattet er sie und führt Buch über jeden ihrer Schritte. Etwas Seltsames hat sich nämlich am Tag nach dem Tod ihres Mannes ereignet, für das er noch keine hundertprozentige Erklärung gefunden hat. Im unterdrückten Siegestaumel hat er tags darauf in den frühen Morgenstunden den Gasthof aufgesucht, in dem es von Polizeibeamten nur so wimmelte. Die Leiche des Kirchenwirts ist in einem erbärmlichen Zustand gewesen. Ratten haben den Verstorbenen angeknabbert und teilweise sind Gliedmaße abgehackt gewesen. Nachdem er der Witwe eine Beruhigungsspritze, die in Wirklichkeit ein Schlafmittel beinhaltete, gesetzt hat, ist er in den Keller gestiegen, um in der Dunkelkammer als erstes nach den verfänglichen Negativen zu suchen. Zu seiner Überraschung ist der Raum aber leer gewesen. Nichts hat mehr darauf hin gedeutet, dass hier einmal Filme entwickelt und Bilder vergrößert worden sind. Unmöglich kann die Frau die schweren Apparaturen und Wannen unbemerkt an der Polizei vorbei nach oben geschleppt haben. Das muss jemand anderes erledigt haben. Wenn sie aber einen Helfer gehabt hat, muss er es baldmöglichst herausbekommen. Vielleicht gibt es ja doch einen Liebhaber, mit dem sie unter einer Decke steckt.

      So steht Dr. Holzer auf der Beerdigung, lauscht nur scheinbar den Worten des Pfarrers und lässt die junge Witwe nicht aus den Augen. Nichts, aber auch rein gar nichts, ist ihm in den letzten Tagen als besonders oder bemerkenswert aufgefallen. Die Frau verhält sich, wie es sich für eine Witwe eben schickt. Außer mit dem Pfarrer, dem ständig besoffenen Schreiner und Totengräber, einem Versicherungsvertreter aus der Stadt, dem Postboten, dem Fleischer und nicht zuletzt dem Brauereifahrer hat sich niemand der Kirchenwirtin genähert.

      Er ist mir kein guter Mann gewesen, denkt die junge Witwe indes am offenen Grab. Betrogen hat er mich mit jeder Bedienung. Und wenn er nachts zu mir ins Bett gestiegen ist, hat es fast immer wehgetan. Mit siebzehn hat er mich zur Frau gemacht. Jetzt bin ich sechsundzwanzig, und meine Hände sind so rau wie bei einer Siebzigjährigen. Am besten ist es, ich verkaufe alles und ziehe in die Stadt. Oder ich gehe nach Italien.

      Bei diesem Gedanken wird es ihr innerlich warm ums Herz, denn sie muss unwillkürlich an Antonio denken, den Scherenschleifer und Kesselflicker, der drei Tage bei ihnen im Haus genächtigt hat. So zärtlich und einfühlsam ist noch

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