Der Kronprinz des Selbstvertrauens. Markus Meisl
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Mein Arbeitstag ist geregelt. Morgens, pünktlich um acht, läuft die Kaffeemaschine. Alles beginnt mit einem bohnenstarken Trank. Zuerst arbeite ich die Anfragen des Vortages auf, Tipparbeit am Computer. In der Regel sind es Toiletten für Privatkunden, die ich anbiete und verkaufe, in verschiedenen Formen, Farben und Arrangements. Wir haben auch Wasserbetten im Programm, aber das ist eine andere Abteilung.
Dazwischen klingelt das Telefon und ich erhalte weitere Anfragen. Dann schlage ich meinen schlauen Katalog auf und informiere über Produkte, Skonti und Lieferzeiten. Unsere Kunden haben genaue Vorstellungen und in eine neue Toilette will klug investiert sein; man kann ihnen nichts aufschwatzen. Es geht um einfühlsame Begleitung, das schätzen die Menschen. Dazwischen greife ich zur Lade und nehme eine Vitamintablette. Von Vitamin A-A bis Zitrusfrucht ist alles enthalten.
Etwa um halb elf kommt der Gang in den Expedit. Ich muß zwei Stockwerke tiefer, in die Abteilung, wo unsere Produkte gelagert, verpackt und versandt werden. Es tut gut, sich ein wenig die Beine zu vertreten und den Hosenboden zu lüften. An guten Tagen habe ich eine kleine Melodie auf den Lippen und keinen Schweißfleck am Rücken.
Nicht mit jedem aus dem Expedit verstehe ich mich gut. Bei einer Ansammlung von mehreren Leuten gibt es immer zumindest einen, bei dem die Hände schwitzen und der Blutdruck zu steigen beginnt. Auch läßt sich Gesprächsstoff mitunter etwas spröde oder gar nicht schmieden und so verrichte ich meine Arbeiten rasch und zielorientiert. Nur beim Kaffeeautomaten treffe ich einen Kollegen aus dem Lager, mit dem die Kirschen ganz gut schmecken; ich zahle ihm einen Becher Automatenkaffee, coffeinstark, und so plaudern wir über Kant und Nietzsche, Snoopy und Schopenhauer.
Nach einer gewissen Zeit fühle ich, daß es genug ist; ein bestimmtes Maß an philosophischer Kost wird geduldet, es ist ein ungeschriebenes Gesetz. Aber die Augen des Chefs schlafen nie und die Kunden haben Vorrang. Es ist klug, die Regeln zu kennen.
Auf dem Rückweg in mein Stockwerk befindet sich eine Etage, an deren Wand ein Basketballkorb hängt. Auch ist es ein toter Winkel im Kamerasystem des Betriebes und wenn sich jemand nähert, hört man es zeitig. Ich bleibe also stehen, reiße die Perforierungen meines Bestellscheinen ab und knülle sie zu einer Kugel. Dann lege ich die Mappe zur Seite, beuge mich leicht nach vor und werfe das Papier in hohem Bogen und ... genau in den Korb. Ich bin zufrieden, es ist der Beweis: ich kann es noch.
Gleich vis a vis hängt ein Spiegel. Ich drehe mich um und riskiere einen Blick. Aha, dort eine kleine Korrektur an der Frisur, da eine Anpassung der Kragens, und dort, ein Mitesser, Moment, jetzt nicht mehr. Und auch die Krawatte muß sitzen - jeder hat ein Auge drauf.
Als ich ins Büro zurück komme, gibt es schon Besuch. Der Chef winkt mich zu sich und übergibt mir ein junges Paar, das gekommen ist, um sich über eine neue Toilette zu informieren. Ich übernehme unverzüglich und führe die Kundschaft in das kleine Besprechungszimmer - dort haben wir eine gemütliche Sitzecke mit Mini-Bar und Firmenfahne. Ich weise die beiden ein: Der Mann nimmt Cognac, die Frau ein stilles Wasser. Ich verdünnten Orangensaft, denn Mitarbeitern ist der Konsum von Härterem verboten. Das heißt, ich würde mir nehmen: einen Aperitif mit Cocktailkirsche und Highlandwhisky.
Das junge Pärchen hat schon eine gewisse Vorstellung und so ist guter Rat entbehrlich. Sehr schnell aber merke ich, daß ich mich eines gewissen Eindrucks nicht erwehren kann: wenn da nicht der Schnurrbart wäre und die Brille, würde ich schwören, der Mann mir gegenüber ist Bermuda Jack, der weltberühmte Filmschauspieler; ich werde ein bißchen nervös und stocke, die Ähnlichkeit ist so frappant, daß ich mich beinahe veranlaßt fühle, zu fragen: „Entschuldigen Sie, sind Sie nicht Bermuda Jack, der weltberühmte Filmschausspieler?
Ich tue es nicht. Aber auch an der Dame zeigt sich etwas Irritierendes; sie hat eine unübersehbare Oberweite und einen großräumigen Ausschnitt, ein Juwel für jeden Ausschnittskundler; aber bei einer gewissen Bewegung erscheint auf ihrer Brust eine Spinne, eine Tätowierung; beugt sie sich zurück, verschwindet die Spinne, lehnt sie sich nach vor, erscheint sie wieder; ich muß hinsehen, sehr direkt. Da lächelt die Dame und – es gefällt ihr.
Da merke ich, wie meine Hände zu schwitzen beginnen und meine Stimme einen brüchigen Ton bekommt. Es ist nicht leicht, Toiletten zu verkaufen. Aber ich nehme all meine Seriosität zusammen, ich bin schließlich durch eine gute Schule gegangen, und informiere weiter - ja, da werden wir bestimmt eine Lösung finden, die Schüssel in Erdgrau, die Brille in dunkler Steinfarbe, dazu verchromte Zierleisten und die reißfeste Zugleine, alles zum Vorteilspreis, weiters Duftsteine, frei Haus, und ich kann nicht anders, als wieder auf diese Spinne zu starren, beheimatet auf dieser Brust. Und die Frau strahlt, und dieser Mann, der Bermuda Jack so ähnlich sieht, wäre da nicht die Brille und der Bart, und ich bin geneigt daran zu ziehen, um zu sehen, ob er falsch ist, schließlich begegnet man nicht alle Tage einem berühmten Schauspieler wie Jack und ich frage mich, ob es wohl milchtrinkende Spinnen gibt, und als das Gespräch beendet ist und die beiden zur Tür hinaus gehen, haben sie gut gewählt, vortreffliche Form und warme, erdverbundene Farben und ich stelle mir vor, wenn ich nun doch gefragt hätte ...
„Entschuldigen Sie, sind Sie vielleicht Bermuda Jack, der weltberühmte Filmschausspieler?
Tatsächlich?! Ja?! Sehr erfreut!
Und ihre Spinne auf der Brust, Madame, ist sie echt? Ja? Und, trinkt sie Direktmilch oder auch von Trockenpulver?“
Hier merke ich, daß ich völlig durchgeschwitzt bin.
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Endlich ist Mittagspause. Um die Stoßzeit des Betriebes zu umgehen, gehe ich schon zehn Minuten früher in die Kantine. Ich wähle vegetarisch, Auflauf und Pudding. Sitze ich nicht mit einem Kollegen zusammen, genieße ich die Ruhe, esse bewußt und langsam, und übe mich im Ordnen und Polieren meiner Gedanken. Es ist wichtig, dies von Zeit zu Zeit zu tun.
Mein Blick fällt auf die weibliche Kollegenschaft, die nach und nach eintrifft. Es gibt Verheiratete und Unentschlossene, konventionell und vegetarisch. Das ist Geschmackssache. Der Frauentyp, der mir gefällt, hat Brüste, einen Po und gesunde Drüsen. Es ist schließlich der Klassiker, der seine Wirkung nicht verfehlt, die schönen Beine, die großen Milchkannen, die weder in Grönland, noch in Feuerland ein Vermittlungsbüro brauchen.
Aber ich kann auch verzichten, auf ein oder sogar zwei dieser Attribute, wenn sich das Divergierende trifft, im Schatten der Peripherie. So sind wohlgeformte Waden in Strümpfen gut, aber erst wenn die Hüllen fallen und es sich zeigt, daß im Haus kein Rasierer vorhanden ist, bin ich überwältigt. Auch gefällt mir ein sinnlicher Mund, ästhetische Lippen, aber nur wenn sie sich öffnen und zeigen, daß die Zähne nicht vom Katalog sind, werde ich so richtig scharf. So ist es.
Seit meiner Geburt habe ich einen Hang zur Melancholie.
Woher sie kommt, was sie hält, ich weiß es nicht. Nicht, daß ich kein Talent zum Lachen und auch meine lichten Momente hätte, aber von Zeit zu Zeit meldet sich Schwermut in mir, daß ich stillstehen und mich anlehnen muß. Ich glaube, es ist eine Traurigkeit, ganz tief in mir. Auch besuche ich gerne Friedhöfe und spaziere zwischen den Grabsteinen; dann entdecke ich Namen, Zahlen und Fotographien. Manche verraten ein langes Leben, andere ein straffes, nichts aber über die Intensität oder die Farbe der Augen. Ich glaube, auf einer bestimmten Ebene fühle ich Verbindung zu den Toten und ein wenig Müdigkeit; ich denke aber nicht, daß das der Normalität entspricht.
Von mir gibt es bislang nur eine Zahl und den Bindestrich. Ich hab´s nicht eilig. Viel eher sind es die Lebenden, die mich traktieren und plagen, große Leistungen, herausragende Abenteuer, ein Vorzugskonto.