Marijke - Honiglippen. Swantje van Leeuwen
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Marijke wirbelte herum und strotzte vor Wut. »Glauben Sie allen Ernstes, es ginge dabei um Geld? Mein Gott, Rikkert, was ist los mit Ihnen? Wenn mein Vater noch am Leben wäre, er würde Ihnen dafür die Eier abschneiden!«
Rikkert hob beschwichtigend seine Hände. »Bitte, du verstehst das gerade völlig falsch! ... Ich versuche dir doch nur klar zu machen, dass du in deiner finanziellen Lage, ja, selbst mit dem guten Gehalt hier, noch Jahre brauchst, deine Schulden zu tilgen.« Er setzte sich wieder. »Es geht nicht einfach um Geld, Marijke. Es geht um ein kleines Vermögen, hörst du?! ... Der Kunde kann uns in den nächsten Jahren über eine Million in die Kasse spülen!« Er schenkte sich aus der Karaffe nach und schaute sie offen an. »Jetzt reg' dich nicht gleich wieder auf. Bitte! Und hör' mir aufmerksam zu. Wenn du dich einverstanden erklärst, ein wenig Zeit mit ihm zu verbringen ... Zur Hölle, nur eine Nacht, wenn das alles ist, zudem du bereit wärst, sind deine Schulden gestrichen ... bezahlt ... Dann bist du finanziell jeden Druck los. Und dein monatliches Entgelt wird verdoppelt ... Hörst du, was ich dir anbiete?«
Marijke war kaum in der Lage sich zu bewegen, um darauf zu reagieren. Ihr stockte der Atem in der Kehle. Der Gedanke daran, sich auf einen Schlag von ihren Schulden zu befreien, war zu viel für sie. Schon während ihres Studiums an der alt ehrwürdigen ›University of California‹ in Berkley hatte sie allzu viele, lange und bedrückende Nächte damit verbracht, herauszufinden, wie viele Jahre es dauern würde, bis sie ihr Studiendarlehen zurückzahlen konnte. Dabei hatte sie sich eingestehen müssen, dass es noch mindestens zehn Jahre dauern würde, bis sie überhaupt daran denken konnte, eine Eigentumswohnung zu erwerben oder gar eine Familie zu gründen. Die Vorstellung, sich von ihrer Schuldenlast allein in einer einzigen Nacht befreien zu können, war viel zu verrückt, um es sich überhaupt ausmalen zu können.
Rikkert spürte ihren Schock und als sie sich daran erinnerte, Luft zu holen, bemerkte sie sein verstecktes Lächeln in den Mundwinkeln. Er wusste, dass er sie damit am Haken hatte. »Ich biete dir einhunderttausend Euro, Marijke! Denk' darüber nach. Deine Schulden dürften um die fünfundzwanzig bis dreißigtausend liegen, nicht wahr? ... Nun, da bleibt noch reichlich für dich übrig. Du könntest den Job hier kündigen und deine Karriere beginnen. Eine Wohnung kaufen, ein Auto ... Vielleicht findest du auch einen Freund und hast einfach Spaß am Leben ... Ich biete dir deine Freiheit, mijn meisje! Alles was ich von dir möchte, ist nur diese eine Nacht ... Eine einzige Nacht als Gegenleistung für deine Freiheit.«
Alles um sie herum kreiste. Sie war kaum in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Mein Gott, ob ich das wirklich durchstehe?, hallte es wie in einer Echokammer in ihrem Kopf.
***
Kapitel 4
Das Zimmer war eines von denen, die Marijke, seit sie im ›Birdcage‹ arbeitete, noch nie gesehen hatte. Es lag im obersten Stock über Rikkerts Büro. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass es noch eine weitere Etage gab, bis Rikkert ihr erklärte, dass die Suite ausschließlich ganz ›außergewöhnlichen‹ Kunden vorbehalten war. Die Suite war ein sehr speziell eingerichteter ›Dungeon‹[14], der für entsprechende Aktivitäten explizit hergerichtet worden war, tagelang an ›High Roller‹ vermietet werden konnte und mit einem schieren Harem aus Subs gefüllt war, die ausschließlich einer Herrin oder einem Herrn dienten. Es war offensichtlich, dass seine mannigfaltige Ausstattung darauf abzielte, dem Mieter ein Ambiente zu bieten, in dem er auch die wildesten Fantasien und Wünsche weitreichend umsetzen konnte. Die riesige Räumlichkeit wies eine aufwändig gestaltete, kerkerartige Charakteristik auf. Wer immer es entworfen hatte, musste sich an der Ästhetik alter Ritterfilme orientiert haben, ging es Marijke durch den Kopf, nach einem schnellen Rundumblick. Sie hatte Streckbänke, Käfige, Ketten, Andreaskreuze, Flaschenzüge und Böcke ausgemacht, neben unzähligen stählernen Befestigungsringen an Decken, Wänden und sogar im Boden. An einer Wand und auf einer breiten Anrichte fand sich eine umfangreiche Sammlung an Sexspielzeug, deren Schwerpunkt eindeutig im Bereich sadomasochistischer Accessoires lag, wie Peitschen, Gerten, Seile, Handschellen, Klammern und Dildos. Von Rikkert wusste sie, dass der neue Kunde vorgeschlagen hatte, diese bemerkenswerte, kostbare Suite dauerhaft und zu einem wahrlich unanständigen Preis zu mieten.
»Du kannst auf der Couch warten, mijn meisje«, sagte Rikkert und zeigte auf ein bequem aussehendes Ledersofa in der Ecke. »Der Kunde wird in Kürze kommen. Denk' dran, Marijke, dass du ihm nur eine Weile etwas vormachen musst, ja? Nenn' ihn ›Sir‹, ›Mijnheer‹ oder was auch immer. Lass' dich von ihm ein wenig fesseln und schlagen. Du hast ja gesehen, wie die anderen Mädchen das machen. Denk' einfach nur ans Geld und bring' es hinter dich.« Er sprach schnell und seine Stimme schwankte, so als würde er versuchen, einen tollwütigen Hund zu besänftigen. Ihm war klar, dass Marijke völlig verunsichert war – ein falsches Wort im falschen Moment und sie lief ihm für immer auf und davon. Er wandte sich zum Gehen, schaute sie dann aber doch noch einmal an, ehe er sie sich im Zimmer allein überließ. »Doe alsjeblieft wat de klant van je vraagt, Marijke[15]«, bat er sie. In seiner Stimme klang eine gewisse Verzweiflung mit.
Marijke drängte ihn hinaus. Sie war zu nervös, um seine kratzende Stimme auch nur noch eine Sekunde länger zu ertragen. Kaum war er fort, nahm sie sich die Zeit, sich genauer umzusehen.
Ihr war im ersten Augenblick gar nicht aufgefallen, dass die Suite aus mehreren Räumen bestand, die anscheinend für bestimmte Aktivitäten konzipiert waren. In einem Raum war der Boden mit einer Art wasserdichtem Material ausgekleidet, während ein anderer einen bedrohlich wirkenden Stahlrahmen mit Haken enthielt, die alle an einer verwirrenden Reihe von Seilen und einem komplizierten Rollensystem befestigt waren. Beklommen zog sie sich schnell aus den Räumen zurück und wünschte, entgegen jeder Hoffnung, dass Rikkerts Kunde diese Gerätschaften auf keinen Fall benutzen würde, ganz gleich, für was auch immer sie gemacht worden waren.
Sie empfand es als sicherer, auf der Couch im Hauptraum zu sitzen und dort zu warten, einem der wenigen Möbelstücke in der Suite, das nicht direkt so aussah, als sei es zum Foltern gedacht. Ihre Augen richteten sich auf den Boden. Sie vermied es geflissentlich, die an Halterungen angebrachten Paddel, Peitschen, Dildos und Kostüme auf den Gestellen anzuschauen, die jede Wand säumten. Denn wann immer sie ihre Aufmerksamkeit darauf lenkte, verspürte sie den tief in ihr nagenden Zweifel, ein entsetzliches Gefühl in ihrer Magengrube – ein Gefühl, das ihr deutlich ins Bewusstsein rief, dass sie das Alles besser nicht durchmachen sollte. Von ihren Haarspitzen bis hin zu den Zehen, begehrte jede Nervenzelle mittels elektrischer Impulse angespannt auf, doch bloß noch rechtzeitig von dem Vorhaben zurückzutreten, augenblicklich aus dem Club zu stürmen und in eine für sie sichere, deutlich gesündere Welt zu fliehen. Ihr Herz klopfte derart rasend in ihrer Brust, als wolle es all ihr Augenmerk auf sich ziehen und schrie ihr zu: »Je bent helemaal gek geworden! Vergeet het geld! Dat ben jij niet, Marijke! Jij niet ...! Jij niet ...![16]« Sie war nur einen Moment davon entfernt, ihrem Impuls zu folgen und zu verschwinden, als sich die Tür öffnete und der Kunde eintrat. Seine Erscheinung ließ jedes Molekül ihres Körpers auf der Stelle einfrieren.
Der Mann war groß, deutlich über einsneunzig. Sein Haarschopf war dick und dunkel und gerade lang genug, um ihm ein wenig in die Stirn zu fallen.
Marijke wurde sofort klar, dass sie sein Alter falsch eingeschätzt hatte.
Sein sanftes, ruhiges Lächeln ließ Grübchen auf seinen Wangen auftauchen, die ihn attraktiv jugendlich aussehen ließen – es war eines von jenen Lächeln, die sie schon als Teeny immer geliebt und ihr junges Mädchenherz mächtig hatte