Der schwarze Mond. Gabriele Beyerlein

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Der schwarze Mond - Gabriele Beyerlein

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wird. Die Fetzen, die ich höre, sind sensationell: „Wahrscheinlich in der Burg gefangen – aber der Bannwald – erst mal müssen wir diesen Jungen finden – wenn wir die schwarzen Krieger in einen Hinterhalt locken und mit ihnen kämpfen ...“

      Ich bin dabei, eine höchst gefährliche Verschwörung aufzudecken. Es braucht einen Spion meines Kalibers, um dieser Situation gewachsen zu sein.

      Damit ich besser hören kann, rutsche ich näher an die Rosenhecke heran. „Au!“ Ich habe mich in die Dornen gesetzt. Und leider so laut geschrien, dass die Verschwörer es gehört haben und allesamt über die Hecke glotzen. Für heute kann ich meine geheime Mission vergessen. Ich humple zu den Umkleidekabinen und ziehe mir die Dornen aus dem Hintern. Daheim wäre mir so was nie passiert.

      Ich ziehe meine Shorts über meine Badehose, nehme mein Handtuch und verlasse das Schwimmbad. Vielleicht gehe ich am Abend mit Papa gemeinsam noch einmal schwimmen und wir machen wieder Wettschwimmen, ich Kraulen und er Brustschwimmen, denn im Kraulen ist er so schnell, dass ich mit Hinterherschauen kaum nachkomme. Ich darf einen Startsprung machen und er nicht und er zählt immer erst langsam bis drei, ehe er losschwimmt. Aus Gründen der Chancengleichheit, hat er mir erklärt.

      Einmal habe ich ihn schon besiegt, und er hat mir Currywurst mit Pommes und dann noch ein Rieseneis dafür spendiert. Papa hält eine Menge von Sport und ich auch. Er spielt Fußball, Sturmspitze bei uns daheim im Sportverein, ihn hält so leicht keiner auf, und er ist Übungsleiter und Spielertrainer. Sport macht stark und selbstbewusst, sagt er.

      Stark auf jeden Fall. Und ich bin immerhin schon ein ganz passabler Mittelfeldspieler, das findet sogar Papa.

      Der dicke Nachbar wäscht auf dem Weg zu unseren Reihenhäusern sein Auto. „Grüß Gott“, sage ich, als ich mich an ihm vorbeiquetsche.

      „Wenn ich ihn sehe!“, antwortet er und lacht blöd.

      Ich merke, dass ich einen roten Kopf bekomme. Habe ich schon wieder vergessen, dass man hier nicht Grüß Gott sagt! Trotzdem, so eine doofe Antwort bräuchte er nicht zu geben!

      Kurz darauf klingel ich an unserer Haustür. Während ich warte, dass Mama öffnet, höre ich Anne brüllen. Oder ist es Marie?

      Mir ist es ziemlich gleich, welche von beiden brüllt. Es nervt jedenfalls immer. Vor allem nachts, wenn ich wach werde von ihrem Geschrei, weil ich jetzt mein Zimmer direkt neben ihrem habe und nicht mehr im anderen Stockwerk wie daheim, und wenn Mama die brüllende Anne oder Marie oder alle beide dann auch noch über den Flur an meiner Tür vorbeiträgt und in ihr Bett holt, obwohl Anne-Marie ein Zimmer haben, das viel größer ist als meines. In mein Zimmer passen gerade ein Bett und ein Tisch und ein Schrank, nicht einmal Platz für meine Lego-Eisenbahn ist darin.

      Ich habe mich bei meinen Eltern darüber beschwert und gesagt, ich will das größere Zimmer haben. Aber da war ich bei ihnen an der falschen Adresse. Weil Anne und Marie zu zweit ein Zimmer haben und ich eines allein, haben sie gesagt. Dabei liegen die zwei ja doch bloß in ihrem Bettchen oder krabbeln einem zwischen den Beinen rum und haben gar nichts von dem vielen Platz. Aber so ist das, seit die Zwillinge da sind. Alles dreht sich um die, bei Mama auf jeden Fall. Dauernd ist sie mit einem von denen zu Gange oder mit beiden gemeinsam und wickelt und füttert und wiegt und singt ihnen Lieder und so.

      Früher hat sie sich meistens Zeit für mich genommen und mit ihrem Übersetzen Pause gemacht, wenn ich das mal wollte, und hat mit mir gespielt und mir vorgelesen.

      Was soll’s, ich will das eh nicht mehr. So was ist nur für Kleine. Und außerdem, ich hab ja Papa. Wenn der nur noch um Anne-Marie rumhüpfen würde wie Mama und nichts mehr mit mir unternehmen würde, das wäre viel schlimmer. Die letzten Monate, als Papa schon hier gearbeitet hat und wir noch zu Hause gewohnt haben und er nur am Wochenende heimkam, fand ich ziemlich beschissen. Weil er da nur am Samstag Zeit gehabt hat, mal mit mir Fußball zu spielen. Und überhaupt.

      Das Brüllen kommt näher. Mama macht endlich die Tür auf, mit dem Ellbogen, denn sie hält Marie im Arm. Ich glaube jedenfalls, dass es Marie ist, so ganz sicher bin ich mir nicht, die beiden sind sich schrecklich ähnlich.

      „Bin ich froh, dass du heimkommst“, stöhnt Mama, „du musst mir Anne-Marie abnehmen, Jens, nur für eine Stunde, ja? Wenn du sie im Wagen spazieren fährst, schlafen sie bestimmt bald ein, und ich muss doch morgen die Übersetzung abliefern und bin noch lang nicht fertig und finde meine Akten nicht, weil ich immer noch keine Zeit hatte, meine eigenen Kisten auszupacken. Da, halt mal Marie!“ Damit drückt sie mir meine kleine Schwester in die Hände.

      „Ich hab aber keine Zeit“, erkläre ich und setze Marie am Fußboden ab.

      „Es wird doch nicht zu viel verlangt sein, wenn ich ein Mal eine einzige Stunde deiner kostbaren Zeit beanspruche!“, schnauzt Mama mich an, hebt Marie wieder vom Boden auf und stopft sie in den Kinderwagen. „Ich weiß nicht mehr, wo mir der Kopf steht, und du bist dir zu gut, mir ein bisschen zu helfen! Du fährst jetzt Anne-Marie spazieren und drehst den Sonnenschirm so, dass sie immer im Schatten sitzen, und bist nicht vor halb fünf zurück, hast du das verstanden?!“

      Wenn Mama so gereizt ist, hält man besser den Mund. Sie kann ganz schön ausflippen.

      Daheim hat sie nie von mir verlangt, die Zwillinge spazieren zu fahren. Daheim waren Oma und Opa, die sich darum gerissen haben, die beiden von oben bis unten abzuknutschen, und Karin, Mamas Freundin, die immer mal eingesprungen ist, wenn Mama einen Abgabetermin für ihre Übersetzungen hatte, und die behauptet hat, sie passe gern auf Anne-Marie auf.

      Mama hat inzwischen auch Anne im Kinderwagen verstaut, schiebt den Wagen zur Haustür raus, mich hinterher und knallt hinter mir die Tür zu. Hat die eine Laune!

      Anne und Marie veranstalten einen Wettbewerb, wer lauter brüllen kann. Ich schiebe den Kinderwagen den Berg hinter dem Schwimmbad hinauf. Endlich haben sie sich müde gebrüllt, nuckeln an ihren Daumen und sitzen so friedlich da, als wären sie nicht die reinsten Nervensägen. Ich stell die Lehne tiefer. Wenn sie halb liegen, schlafen sie eher ein. Hoffe ich.

      Das hätte mir früher jemand sagen sollen, dass ich einmal Babys spazieren fahre! Zum Glück sehen mich Peter und Alex nicht. Und erst recht nicht dieser Scheiß-Bastian mit seiner Clique. Sonst würden die wieder „Mädchen“ zu mir sagen oder „Weichei“ oder sogar ...

      Wenn ich bloß daran denke!

      Dabei habe ich mich früher mal mit Bastian ganz gut verstanden. Anfangs habe ich sogar auch zu seiner Clique gehört und es hat mir nichts ausgemacht, dass er der Boss war. Einer muss eben der Boss sein, das war schon okay. Bis er das mit den Mutproben eingeführt hat. Klauen im Supermarkt und solchen kriminellen Schwachsinn – so was mach ich doch nicht mit! Und als ich ihm das gesagt habe, hat er geantwortet: „Hast wohl Schiss, was? Musst erst Mami fragen?“

      Dabei war es das gar nicht. Oder höchstens ein bisschen – wegen Papa. Weil der mir gerade kurz vorher wegen einer gewissen anderen kriminellen Sache mächtig eingeheizt hatte und ich nicht unbedingt Lust hatte, das ein zweites Mal auszuprobieren.

      Ich habe Bastian bloß geantwortet. „Quatsch! Ich finde es einfach Scheiße.“ Und da hat er das gesagt, das von der „homosexuellen Missgeburt“. Und alle haben es gehört. Und gegrinst.

      Ich könnte ihn heute noch umbringen. Aber ich habe einfach nichts gesagt und bin gegangen. Seither habe ich nichts mehr zu melden bei denen.

      Na ja, muss ich jetzt ja sowieso nicht mehr.

      Aber solche gibt’s hier bestimmt auch. Nur solche wie Peter und Alex nicht,

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