Der schwarze Mond. Gabriele Beyerlein

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Der schwarze Mond - Gabriele Beyerlein

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      Es geht ein paar Meter hinunter. Unten ist es duster. Aber nicht zu duster, um nicht erkennen zu können, dass sich hier kein Mensch aufhält. Schon gar nicht drei Jungen.

      Aber – liegt dort nicht etwas am Boden und glänzt?

      Ich gehe um die Mauer herum bis zum Eingang in den Brunnenschacht, steige die alte Steintreppe hinunter.

      Plötzlich schaudere ich zusammen.

      Ich sollte umkehren und zur Polizei gehen. Oder Mama alles erzählen. Oder Papa anrufen in seinem Büro.

      Aber erst muss ich wissen, was da glänzt.

      Am Fuß des Brunnenschachtes entspringt die Quelle. Nur ein ganz kleines Bächlein, das aus einem steinernen Löwenkopf rinnt, ein paar Schritte den Schacht durchfließt und durch ein Loch auf der gegenüberliegenden Seite wieder verschwindet. Vielleicht war es nur das Wasser, was ich von oben glitzern gesehen habe?

      Nein, da ist etwas: eine Kugel aus Glas. Ich bücke mich und hebe sie auf, drehe und wende sie in meinen Händen. Ich kenne sie. Es ist die Kugel, die der alte Mann den Jungen geschenkt hat für ihren „Magier“.

      Sie sieht aus wie eine große Christbaumkugel ohne Aufhänger. Man braucht schon eine Menge Phantasie, um sie für eine magische Kugel zu halten. Aber hier unten im Dustern ...

      Noch einmal drehe ich sie hin und her und sehe, wie das schwache Tageslicht, das durch das Blätterdach in den Schacht fällt, sich darin spiegelt. Ich reibe sie ab, bis sie ganz sauber ist. Da, plötzlich –

      Ist mir schlecht!

      Und schwarz wird mir vor Augen, ich kann gar nichts mehr sehen, ich schwanke, fall auf die Knie –

      So kotzübel war mir noch nie in meinem Leben. Ich knie da, die Hände vor dem Gesicht, und hoffe nur, dass es vorübergeht.

      Es geht vorüber. Puh. Als wäre nichts gewesen.

      Da merke ich, dass ich nass bin. Mehr noch, dass ich im Wasser knie. Ich nehme die Hände herunter.

      Die Quelle! Sie war doch eben noch nur ein kleines Rinnsal, ein Bächlein, das durch das Loch im Brunnenschacht davonfloss, und nun steht mir das Wasser bis zu den Hüften.

      Vielleicht war das gerade ein Erdbeben und jetzt fließt plötzlich viel mehr Wasser aus der Quelle und ich muss aufpassen, dass ich nicht ertrinke. Schnell die Stufen rauf, aus dem Brunnen raus! Ich nehme immer zwei Stufen auf einmal, komme oben an und –

      Mein Fahrrad ist weg. Und nicht nur das. Alles kommt mir plötzlich ganz anders vor. Der Wald viel dunkler und dichter. Und der Weg nicht mehr geteert, sondern nur ein schmaler Pfad, der von Pferden zertrampelt ist.

      Es ist, als würden lauter Ameisen auf meiner Haut krabbeln, auf dem Rücken, den Beinen, überall. Und auch in meinem Bauch.

      Es kann nicht sein.

      Ich renne los. Bis zum Ort und unserem Haus ist es nicht weit, keine zehn Minuten. Wenn nicht -

      Ich renne und komme außer Atem und renne immer weiter. Ich müsste längst am Ortsanfang sein und das Schwimmbad sehen. Aber da kommt kein Ort und kein Schwimmbad. Hier ist einfach nur Wald.

      Wenn jetzt Papa da wäre. Der würde nicht durchdrehen. Der würde sagen: „Es gibt immer einen Ausweg.“ Mit dieser festen, gelassenen Stimme, die er hat, wenn es brenzlig wird.

      Bestimmt bin ich vom Brunnen aus in die verkehrte Richtung gelaufen. Wahrscheinlich war da eine Kreuzung, die ich nicht bemerkt hatte. Und ich habe einfach den falschen Weg erwischt.

      Ich drehe um und laufe zurück. Meine Füße tun weh, ich habe ja keine Schuhe an, und immer wieder drücken Steine in meine nackten Fußsohlen.

      Meine Güte, Jens, reiß dich zusammen! Bist du ein Junge oder ein Jammerlappen?

      Auch wenn meine Füße gleich bluten, ich laufe weiter. Ich will den richtigen Weg finden. Ich muss.

      Ich komme wieder am Brunnen an. Nein, hier gibt es keine Kreuzung. Hier führt nur dieser eine Weg vorbei, dieser Weg, der ganz anders aussieht als vorhin. Ich setze mich auf eine Treppenstufe und versuche nicht zu –

      Ein Junge heult nicht, das ist sowieso das Allerletzte. Sagt Papa.

      Ich beiße mir in den Knöchel meines Zeigefingers, bis es richtig weh tut. Dann renne ich wieder los. Diesmal in die andere Richtung.

      Ich laufe immer weiter, bestimmt eine halbe Stunde, ich habe Seitenstechen, trotzdem geh ich nicht langsamer, ich darf nicht langsamer werden, sonst muss ich denken, und dann –

      Der Wald wird immer dschungeliger. Bäume stehen da, die müssen bestimmt schon fünfhundert Jahre alt sein, so dick und knorrig sind sie. Umgestürzte Bäume liegen dazwischen, halb vermodert und von Moos und Pilzen überwuchert, Farne wachsen an sumpfigen Stellen, Flechten hängen von abgestorbenen Ästen.

      Unheimlich ist das. So was gibt es nicht, heutzutage ...

      Das Rennen hilft auch nicht mehr. Ich bin völlig fertig. Ich habe Seitenstechen und Blasen an den Füßen. Aber das ist nicht das Schlimmste.

      Ich lasse mich zu Boden fallen. Heule doch. So was wie mir ist noch nie einem Menschen passiert.

      Oder – die Jungen! Die verschwundenen Jungen, der mit der Narbe und der rothaarige und der dritte, der so viel gekichert hat. Denen muss das Gleiche passiert sein wie mir. Die waren auch in dem Brunnen, ich hab sie doch selbst hinuntersteigen sehen mit dem Schwert und der Mütze und der magischen Kugel –

      Die magische Kugel.

      Aber das sind nur Rollenspiel-Sachen, Zauber und so was gibt es nicht im wirklichen Leben!

      Der alte Mann hat gesagt, man muss die Kugel reiben und drehen. Und genau das habe ich gemacht. Und die drei anderen haben es bestimmt auch ausprobiert. Ob sie hier sind? Vielleicht ganz in der Nähe?

      Ich wische mir Rotz und Tränen ab und stehe auf. „Hallo! Ist da jemand?“, rufe ich. Und dann lege ich die Hände wie einen Trichter um den Mund und schreie: „Wo seid ihr?!“

      Ich lausche. Kein Mensch antwortet. Doch direkt über mir höre ich ein lautes Krächzen. Ich hebe den Kopf und sehe einen großen schwarzen Vogel auf dem nächsten Baum. Nun fliegt er von seinem Ast auf den Weg, hüpft vor meinen Füßen herum, schlägt mit den Flügeln, krächzt immer wieder und sieht mich dabei die ganze Zeit an.

      Ich weiß nicht, was für ein Vogel das ist, ein Rabe vielleicht, ich kenne mich mit Vögeln nicht so genau aus, aber dass ein Vogel so was normalerweise nicht tut, das weiß ich. Jetzt flattert er ein Stück den Weg weiter, dreht um und flattert wieder zu mir zurück. Hockt sich vor meine Füße. Krächzt, trippelt in die Richtung, in die er eben geflattert ist, schaut zurück.

      Fast sieht es aus, als fordere er mich auf, ihm zu folgen.

      Ich gehe ihm nach. Alles ist besser, als hier zu stehen und zu flennen. Der Vogel hüpft vor mir her, fliegt ein kurzes Stück, lässt sich gleich wieder auf dem Pfad nieder und dreht den Kopf nach mir um. Ich glaube wirklich, er will mich führen. Ich laufe schneller, immer hinter ihm her.

      Tatsächlich

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