Der schwarze Mond. Gabriele Beyerlein
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Ich habe noch meine Badehose unter den Shorts an und meine Dauerkarte in der Hosentasche. Und Anne und Marie schlafen bestimmt gleich ein ...
Ich renne bergab zum Freibad. Die beiden werden im Wagen nur so gerüttelt. Als ich am Schalter ankomme und meine Karte zeige, schlafen sie. „Sind die süß!“, sagt die Frau an der Kasse. Hat die eine Ahnung!
Ich schiebe den Kinderwagen bis in die Nähe der Riesenrutsche, ziehe meine Jeans und mein T-Shirt aus und renne zur Leiter. Die Schlange ist ziemlich lang. Als ich oben auf der Plattform bin, schau ich kurz mal zum Kinderwagen runter. Alles in Ordnung.
Ich rutsche immer wieder. Das Schwimmbad hier ist gar nicht so übel. Wenn man nur nicht so lange anstehen müsste. Als nächster bin endlich ich wieder dran. Vor mir rutscht ein Mädchen, das dauernd bremst. Ich warte, bis es fast unten ist, sonst rutsche ich ihm hinten drauf. Zeit genug, die Aussicht von hier oben zu genießen.
Anne-Marie! An die hab ich ja gar nicht mehr gedacht.
Ich schau zum Beckenrand. Da steht kein Kinderwagen. Auf der Wiese auch nicht -
„Rutsch endlich!“, sagt der Junge, der hinter mir steht, und gibt mir einen Schubs. Ich stolpere, falle, rutsche, stoße mich, plumpse ins Wasser, verschlucke mich, tauche auf, kraule zum Beckenrand, der Kinderwagen, der Kinderwagen -
Ich renne um das Nichtschwimmerbecken, das große Schwimmbecken, den Sprungturm. Kein Kinderwagen, nirgends. Ich trau mich kaum ins Wasser zu schauen, tu’s doch, renn noch einmal ums Becken, immer die Augen im Wasser, dann die Treppe hinunter bis zur Glaswand, stehe da und starre unter Wasser. Wenn ein Kinderwagen drin läge, das müsste ich doch sehen, oder?
Wenn sie entführt worden sind! Es gibt böse Männer, die entführen kleine Kinder und machen ganz schlimme Sachen mit ihnen –
Auch mit Babys?!
Mama dreht durch, wenn sie das erfährt.
Ich renne zum Bademeister und frage ihn nach den Zwillingen. „So einer bist du also!“, sagt er und mustert mich scharf. „Lässt deine kleinen Schwestern einfach stehen. In der Sonne! Einen Hitzschlag hätten sie kriegen können, geschrien haben sie und geschwitzt, aber der Herr Bruder denkt ja nur an sein Vergnügen und schert sich gar nicht darum! Geh ins Büro, dort sind sie! Aber eines sage ich dir, wenn ich dein Vater wäre, dann würde ich dir -“
„Danke“, murmle ich schnell und renne davon. Auf einen Vater wie den kann ich verzichten. In der Nähe der Umkleidekabinen höre ich sie schon schreien, Anne-Marie. Ich stürze ins Büro, eine Frau ist bei Anne-Marie und schaukelt den Kinderwagen.
„Das sind meine Schwestern“, sage ich, schnappe mir den Kinderwagen und ehe sie auch noch etwas sagen kann, schiebe ich Anne-Marie schnell zur Umkleide, schlüpfe in meine Kleider und rase mit den beiden nach Hause.
Die Haustür geht auf. Mama hat mich vom Küchenfenster aus gesehen. „Du warst lang weg, ich hab richtig was geschafft in der Zeit, Dank dir, das hat gut getan“, sagt sie, und dann sieht sie mich an und stutzt und sagt: „Mein Gott, Jens, was ist denn mit dir, du bist ja ganz aufgelöst!“, und sie zieht mich an sich und streichelt meine Haare. Anne und Marie wollen aus dem Wagen raus, aber Mama drückt mich immer weiter und sagt: „Ist ja gut! Ich bin ja bei dir!“ und „Was ist denn passiert?“
Da erzähle ich ihr alles und sage, es war meine Schuld, aber Mama sagt, nein, es war ihre Schuld und es tut ihr leid, und dann füttern wir beide die Zwillinge mit dem Grießbrei, den Mama gekocht hat, ich füttere Anne und sie füttert Marie.
Anne greift immer wieder nach dem Löffel, ich lasse ihn ihr und sie schmiert sich den Brei um den Mund und lacht mich an, so lang, bis ich zurücklachen muss, und dann esse ich den ganzen Rest und kratze sogar noch den Topf aus, denn Grießbrei ist der einzige Brei, den ich mag.
2
„Willst du wirklich deine Lego-Eisenbahn auf dem Flohmarkt verkaufen?“, hat Mama gefragt und mich zweifelnd angesehen.
„Was soll ich denn machen, wenn mein Zimmer in diesem blöden Haus hier zu klein ist, um Eisenbahn zu spielen!“, habe ich geantwortet und meine Loks und Waggons in die Kiste gepackt.
„Hör mal, Jens, lass uns darüber nochmal reden“, hat sie gesagt, aber ich hab meine Kiste genommen und bin damit zu meinem Fahrrad gegangen. Damit meine Eltern wenigstens einmal merken, was sie mir angetan haben.
Doch wie meine Züge da jetzt so vor mir auf der Decke mitten auf dem Rathausplatz stehen, auf dem der Flohmarkt stattfindet, merke ich, dass ich es nicht kann: sie verkaufen. Ein Mädchen bleibt vor meiner Decke stehen und fragt, was eine Lok kostet. Schnell nenne ich einen Preis, der höher als eine neue Lok ist, und sie tippt sich an die Stirn und geht weiter zu dem dürren weißhaarigen Mann neben mir. Rollenspiel-Sachen bietet der an: Kettenhemden wie von Ritterrüstungen aus dem Mittelalter, Schwerter und Dolche, die echt aussehen, aber nur aus Kunststoff oder so was sind, und merkwürdige Hüte und Umhänge, wie ich sie von Flo kenne, Peters großem Bruder.
Flo ist bei einer Gruppe, die Live-Rollenspiele macht, richtig echte Abenteuer in Kostümen mit Kämpfen und allem. Aber manchmal spielen sie auch Rollenspiel-Abenteuer aus einem Heft, nur in der Phantasie und mit Würfeln. Am Anfang der Ferien, als seine Freunde alle verreist waren, hat er uns die Regeln beigebracht, wie man das macht. Er war der Meister, der die Aufgabe stellt und aus dem Heft die Geschichte kennt und die Personen spielt, denen die Helden im Abenteuer begegnen. Wir haben uns aussuchen können, was für Typen wir sein wollten, und haben nach den Regeln und mit Würfeln unsere Charaktere erstellt, das heißt festgelegt, wie wir so sind und was wir können und was nicht. Ich war ein Streuner in zerlumpten Kleidern und konnte klauen, ohne dass es jemand gemerkt hat, und mit dem Dolch kämpfen oder von hinten einem eins überbraten und ganz klasse die Leute reinlegen mit den tollsten Taschenspielertricks und kannte keine Skrupel. Ein ziemlich fieser Charakter, aber es war lustig, ihn zu spielen und zu tun, als wäre man so.Wir haben uns gegenseitig erzählt, was wir machen, und versucht, unsere Aufgabe gemeinsam zu lösen. In einem Land, in dem es so ähnlich zuging wie im Mittelalter – nur irgendwie magischer, mit Elfen, Zwergen und Zauber und so –, mussten wir den Stein der Weisen finden und eine Stadt befreien, und ob wir beim Kämpfen gewonnen haben, hing von unseren Stärkepunkten und unserer Geschicklichkeit ab und von unserem Glück beim Würfeln. Aber als wir mittendrin waren und es so richtig Spaß gemacht hat, bin ich weggezogen.
Drei Jungen bleiben bei dem alten Mann vor dem Stand stehen und scheinen ganz begeistert zu sein. Einer von ihnen ist der Blonde mit der Narbe, die beiden anderen habe ich mit ihm im Schwimmbad gesehen, nur der vierte fehlt. „Cool!“, sagt der Blonde mit der Narbe. Er nimmt ein Schwert, fuchtelt damit in der Luft herum und tut so, als wollte er seinem rothaarigen Freund den Kopf abschlagen. „Krass! Genau das, was ich brauche!“
„Heh, eine echte Gauklermütze für mich!“, sagt der dritte und zieht sich ein buntes Ding mit mehreren Zipfeln und Schellen über den Kopf.
Der Rothaarige mit den vielen Sommersprossen greift nach einem Bogen und Pfeilen mit Saugnäpfen statt Pfeilspitzen: „Und das wäre das Richtige für mich! Was kostet das?“
„Das Schwert ist für 40 Mark zu erstehen, Pfeile und Bogen für 50 Mark, die Mütze für 20“, erklärt der Alte.
„Schade, das können wir uns nicht