Der schwarze Mond. Gabriele Beyerlein
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der schwarze Mond - Gabriele Beyerlein страница 9
Ich muss an etwas anderes denken. An den Medicus, der mir helfen will. Morgen wird er sich zur Burg des Herzogs aufmachen. Dass er das tut für mich ...
Er ist überhaupt ein guter Mensch. Den ganzen Tag kommen kranke Leute zu seinem Haus und stehen geduldig vor seiner Tür und wenn sie wieder weggehen, sind sie froh und erleichtert. Ich habe das beobachtet, der Speicher ist aus Balken mit Spalten dazwischen gebaut, durch die ich alles sehen kann.
Den Hof zu beobachten ist das Einzige, womit ich mich ein bisschen ablenken kann. Inzwischen kenne ich ihn auswendig: das alte Fachwerkhaus mit dem tiefgezogenen Strohdach, den Platz mit dem Brunnen und das Dach, unter dem die schwarze Kutsche steht. Mit der hat er mich hierher gebracht und mir dabei erzählt, dass er meistens durch das Land fährt, um Leute in den Dörfern, Städten und Burgen zu behandeln. Nur einmal im Monat hält er sich für ein paar Tage in seinem Hof auf und empfängt hier Hilfesuchende. Er ist nämlich wirklich ein Arzt und anscheinend ein sehr guter.
Wenn der Medicus nicht gerade vor drei Tagen auf seinem Weg nach Hause bei der Höhle nach Kräutern gesucht hätte, wäre ich jetzt auch dort, wo die drei Jungen vom Flohmarkt sind.
Oder waren sie es gar nicht, deren Stimmen ich gehört habe, waren es vielleicht doch viel jüngere Kinder, und die drei, die ich kenne, irren noch irgendwo durch den Wald und werden von den Elfen verfolgt?
Und ich bin im Speicher des Medicus in Sicherheit.
Aber ich weiß trotzdem nicht, wie lange ich es hier noch aushalte. Zu essen und zu trinken habe ich zwar genug. Auch eine Decke und einen Haufen Felle, aus denen ich mir ein ganz erträgliches Bett gemacht habe. Aber das andere ...
Wenn ich dran denke, was für Sorgen meine Eltern sich machen!
Bestimmt waren sie anfangs sauer auf mich, weil ich einfach weggeblieben bin, besonders Papa, weil er mit mir auf die Burg radeln wollte. Aber inzwischen haben sie nur noch Angst um mich und sind ganz verzweifelt, das weiß ich genau, und Mama weint und Papa sucht Tag und Nacht die ganze Gegend nach mir ab. Und ich kann ihnen nicht einmal eine Nachricht zukommen lassen, dass ich noch lebe. Die Polizei sucht mich bestimmt mit Hubschraubern und Polizeihunden und allem, aber sie können mich nicht finden, weil ich hier an einem ganz und gar fremden Ort bin, genau wie die drei Jungen.
Und genau wie sie finde ich nicht mehr heim. Und wenn ich hier sterbe, werden meine Eltern es nie erfahren.
Jetzt wollen mir doch die Tränen laufen, aber ich beiße mir auf meinen Finger, und da kann ich sie mir wieder verkneifen. Obwohl es Papa ja gar nicht sieht.
Tut sich denn da draußen nicht endlich mal wieder was?!
Doch, da kommen zwei Frauen aus dem Haus des Medicus und genau auf meinen Speicher zu. Sie setzen sich auf die Bank direkt zu meinen Füßen.
Vor Schreck halte ich erst mal die Luft an. Damit sie mich nicht bemerken und es den Elfen verraten.
„... und nicht einmal mein Geld hat er genommen“, sagt die eine Frau. „Der Medicus ist ein guter Mensch. Kaum zu glauben, dass er auch einer von denen ist!“
„Was zählt die Herkunft!“, widerspricht die andere. „Im Herzen ist er einer von uns. Wie er sich gefreut hat, als wir ihm erzählt haben, dass sich die drei Helden in den Dienst der Königin gestellt haben, um den Herzog zu besiegen! Wie er gar nicht genug über sie hören konnte!“
„Vielleicht hätten wir trotzdem nicht darüber sprechen sollen“, meint die erste. „Die Königin hat uns um Stillschweigen beschworen. Aber mir ist es so entfahren, und wem sollte man noch vertrauen, wenn nicht dem Medicus!“
Die beiden Frauen gehen weg. Es wird still im Hof. Die Sonne steht schon tief.
Nicht noch eine Nacht allein in dem Speicher! Nur das nicht!
Ich will, dass Mama da ist. Und dass sie mich so drückt und meine Haare streichelt und sagt: „Ruhig, Jens, ruhig, ist ja gut! Ich bin ja bei dir!“
Oder dass Papa kommt, mich bei der Hand nimmt und mit dieser festen Stimme sagt: „Keine Angst, Jens, ich bring dich fort von hier! Ich bring dich heim.“
Ich lege mich auf mein Lager und rolle mich zusammen, mache die Augen zu und stelle mir vor, ich wäre daheim. Anne und Marie dürften von mir aus die ganze Nacht brüllen, es würde mich nicht stören.
Ich schrecke hoch. Da hat jemand geschrien. Vor Schmerzen. Und es war eindeutig ein Junge.
Jetzt schreit er wieder. „Au!“, schreit er und „Nicht! Bitte nicht!“, und dazwischen höre ich noch etwas, so ein pfeifendes Geräusch und ein Klatschen. Ich schaue durch einen Spalt und da sehe ich –
Der Medicus schlägt seinen Lehrling! Mit einem dünnen Stock! Jetzt beginnt er dabei auch noch zu sprechen, mit ganz harter Stimme: „Meine Tarnkappe zu erproben! Das ist für deinen Ungehorsam! Und das für deine Neugier! Und das dafür, dass du an die verbotene Truhe gegangen bist! Und das dafür, dass du die Tarnkappe auf deinen nichtsnutzigen Kopf gesetzt hast!“ Und dabei schlägt er ihn immer weiter. Mir bleibt fast die Luft weg.
Endlich hört der Medicus auf, den armen Kerl zu verprügeln, und geht ins Haus. Der Lehrling läuft heulend zum Bach hinunter.
Draußen ist es wieder still. Aber mein Herz klopft immer noch und ich muss dauernd daran denken.
Ich versteh ja, dass der Medicus schimpft, wenn sein Lehrling sich eine Mütze aufsetzt, die dem Medicus gehört, aber davon wird sie ja nicht gleich kaputt gegangen sein, ich habe mal Soldaten in Tarnanzügen gesehen, und deren Mützen sahen nicht gerade empfindlich aus.
Und ihn gleich zu schlagen! Dass der Medicus so schrecklich sein kann, hätte ich nie gedacht. Ich glaube, es ist besser, wenn ich mich doch vor ihm in Acht nehme.
Andererseits – vielleicht hat das gar nicht viel zu bedeuten. Schließlich weiß ich, dass so was in früheren Zeiten ziemlich normal war: Früher wurden Kinder mit Prügel erzogen und Lehrlinge auch.
Als Papa ein Kind war, hat sein Vater ihn oft geschlagen, und Papa durfte dabei nicht einmal heulen, sonst hat er gleich noch viel schlimmere Schläge bekommen. Ich finde das furchtbar gemein.
Mein Papa würde so was jedenfalls nie machen. Er sagt, Schwächeren etwas anzutun ist die schlimmste Feigheit, die es gibt. Ach Papa, Papa, warum bist du jetzt nicht da!
Die Tür knarrt, jemand ist im Speicher, ich habe ihn gar nicht kommen hören, es ist schon fast dunkel, ich sehe nicht mehr als einen schwarzen Umriss, aber ich erkenne den Medicus, als er anfängt zu sprechen: „Hier, deine Abendmahlzeit! Heute reiche ich dir etwas Besonderes: einen Krug gut gekühlten Bieres. Wohl bekomme es!“
Ich mag kein Bier, ich hätte viel lieber Milch oder Apfelsaft, aber ich will den Medicus nicht verärgern, schon gar nicht nach dem, was ich vorhin beobachtet habe, darum bedanke ich mich und tu so, als würde ich davon trinken, dabei stecke ich nur meine Nase in den Schaum. Es riecht widerlich. „Hm, gut! Vielen Dank, Herr Medicus!“, sage ich und wische mir den Schaum vom Mund. Zum Glück habe ich noch Wasser, das trinke ich, wenn er weg ist. Selbst abgestandenes Wasser ist besser als Bier.
Der Medicus lacht leise. Irgendwie mag ich dieses Lachen nicht. „Leere den Krug nur vollends!“, meint er. „Das gibt dir Kraft und gute Träume und hilft dir