Der schwarze Mond. Gabriele Beyerlein
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Nun lässt er ihn sinken, sieht mich an und schüttelt den Kopf. „Einen Adlerschrei später hätte dich nichts und niemand mehr aus der Macht des Elfen erretten können! Nun eile, nicht länger verweilt!“ Er packt mich wieder an der Hand und zieht mich weg von dem weißen Mann, der sich immer noch am Boden krümmt.
„Wawawas für ein E-, E- Elf?“, stottere ich, während ich hinter dem schwarzen Mann herstolpere.
„Bei meinem Barte!“, ruft er. „Erkennst du einen Elfen nicht, wenn du ihn erblickst?! Sahest du seine spitzen Ohren nicht, das untrügliche Erkennungsmerkmal eines jeden Elfen? Und spürtest du nicht, wie er Macht über dich gewann?! Oder willst du behaupten, du seiest aus freiem Willen seinem Winke gefolgt?“
Ein Elf!? Elfen gibt es doch nur in Märchen! Oder in Rollenspielen ...
Ich will weg hier. Hier ist alles fremd. Unheimlich. Und gefährlich.
Das mit der Macht, das ist wahr. Ich musste auf den Elfen zugehen, obwohl ich es nicht wollte.
Sind die drei Jungen auch dem Elfen gefolgt?
Die drei Jungen! Die habe ich ja fast vergessen!
„Hören Sie“, beginne ich und wehre mit einer Hand die Zweige ab, die mir dauernd ins Gesicht peitschen, denn inzwischen schlagen wir uns durch den dichten Wald. „Hören Sie ...“
Er dreht sich zu mir um. „Welcher Redeweise erdreistest du dich?!“, fährt er mich an. „Bin ich ein Weib?! Nenne mich 'Herr Medicus' und 'Ihr'!“
Um Himmels willen, so redet doch kein Mensch, heutzutage! Wohin bin ich hier geraten?! Ins Mittelalter oder was?
„Ja, Herr Medicus, entschuldigen Sie, oh, Entschuldigung, ich meine: Entschuldigt. Bitte, Ihr müsst den Jungen in der Höhle helfen, die sind da drinnen und haben um Hilfe geschrien, die müssen Sie, müsst Ihr retten!“
„Retten?“, fragt er. „Es ist wahrlich schwer genug, dich zu retten! Einem Jungen, den die Elfen bereits in ihrer Gewalt haben, ist nicht mehr zu helfen!“
„Aber wieso, Sie sind, ich meine, Ihr seid doch so stark, stärker als der Elf, Ihr habt ihn besiegt!“
Er sieht mich kopfschüttelnd an. „Dass ich Aribor zu Boden strecken konnte, heißt nicht, dass ich ihn besiegte! Er ist sehr zauberkräftig – ihn besiegt nicht einmal der Magier des Herzogs.“
Ich schlucke. Es hilft nichts, dass ich es nicht denken will. Ich weiß es trotzdem: Ich bin weit weg von Zuhause. Sehr weit weg.
Mama, Papa, ich will wieder zu euch!
Der Medicus beugt sich zu mir herunter und flüstert: „Man hat auf der Hut zu sein, wenn man von den Elfen spricht. Der Wald ist voller Ohren. Wisse: Aribor lockt ahnungslose Knaben in seine Höhle. Er hat den Abgrund der Höhle mit einem Zauber gesichert, den keine Menschenseele brechen kann. Jenseits des Abgrundes hält er die unglückseligen Knaben gefangen, deren Herzen die grausamen Elfen benötigen, um ihre Zauberkräfte zu erneuern. Vergebens habe ich auf Abhilfe gesonnen. Kein Mensch außer mir getraut sich auch nur in die Nähe dieser Höhle und auch ich unternehme dies Wagnis nur, weil ich hier heilkräftige Kräuter wachsen weiß, die nirgends sonst gedeihen und die ich für meine segensreichen Werke bitter benötige. Als ich dich erblickte, wusste ich: Du warst zu der Elfen nächstem Opfer erkoren. Aribor giert nach deinem Herzen.“
Mein Herz –
Ich ringe nach Luft. Ein schriller Ton pfeift in meinen Ohren. Dann wird alles schwarz ...
Als ich wieder zu mir komme, liege ich am Boden, meine Beine sind gegen einen Baumstamm gelehnt und der Mann kniet über mir und hält mir ein Fläschchen mit einem scharf riechenden Zeug unter die Nase.
Ich huste und schiebe die Flasche weg und setze mich auf. Er fühlt meinen Puls wie ein Arzt. Ich glaube, ein Medicus ist auch so was Ähnliches.
Habe ich ein Glück gehabt! Einen Augenblick später, und ich wäre genauso verloren gewesen wie die anderen Jungen.
„Danke“, murmle ich, „vielen Dank!“
Er nickt. „Es ist meine Berufung, Menschenleben zu retten. Doch nun müssen wir eilen, um Aribor zu entkommen, ehe seine Lebensgeister zurückkehren. Hier in der Nähe wartet mein Lehrling mit meiner Kutsche. Ich bringe dich auf meinen Hof und verberge dich dort vor den Elfen. Erhebe dich!“
5
Das Eingesperrtsein macht mich noch verrückt.
Dabei dient es ja nur zu meinem Schutz, dass ich hier im Speicher des Medicus eingesperrt bin, und ich sollte eigentlich froh sein, dass ich in Sicherheit bin vor Aribor und den anderen Elfen. Aber ich bin schon den dritten Tag hier drin und lange halte ich das wirklich nicht mehr aus. Das ist noch viel schlimmer als damals, als Papa mich –
Der Medicus hat mich hergebracht, weil der Speicher auf seinem Hof der einzige Ort ist, den außer ihm niemand betreten kann. In seiner altmodischen Sprache hat er mir alles erklärt. Dass die Elfen die Fähigkeit haben, sich zwischen den Welten zu bewegen und schon mehrmals Jungen von dort entführt haben. Dass er mich vor den Elfen nicht mehr schützen könnte, wenn die mich fänden. Dass er mich vorsichtshalber einschließt, damit keiner mich entdeckt, denn jeder Mensch, der mich sieht, könnte es den Elfen verraten. Weil jeder sich vor den Elfen fürchtet und keiner es wagt, sich ihnen zu widersetzen, weil die einem sonst „Unglück und Pestilenz“, an den Hals wünschen.
Ich hätte nicht gedacht, dass Elfen so böse sind. In dem Rollenspiel, das wir mit Flo gemacht haben, waren die Elfen auf der Seite der Guten. Aber das war eben nur ein Spiel und Aribor ist ein wirklicher Elf.
Und dem wäre ich beinahe in die Hände gefallen, und dann hätte er mich in die Höhle gelockt und ich wäre nie wieder rausgekommen und dann hätte er mir das Herz aus der Brust –
Ich habe dem Medicus von dem Brunnen und der magischen Kugel erzählt und er hat gemeint, Brunnen sind gefährliche Orte, an denen oft die Elfen ihr Unwesen treiben. Da habe ich ihn gefragt, ob er mir nicht helfen kann, wieder nach Hause zu gelangen. Leider hat er mir erklärt, dass ich durch Zauberei hierhergekommen bin und deshalb auch nur durch Zauberei wieder heimgelangen kann. Und dass es nur einen einzigen Menschen gibt, der mir den Weg nach Hause öffnen könnte: der unbekannte Magier des Herzogs.
Ich habe gesagt: „Dann gehe ich zu ihm!“
Da ist er richtig streng geworden: Wie ich mir das vorstelle, dann müsste ich durch den Wald, und der Wald ist die Heimat der Elfen, und inzwischen sucht Aribor längst nach mir. Ich soll hier im Speicher bleiben und keinen Mucks von mir geben, er kümmert sich um alles. Im Übrigen ist es unmöglich, den Magier ausfindig zu machen, denn niemand kennt ihn, bloß der Herzog. Aber der Medicus will sich bemühen, eine Audienz bei Seiner Hoheit zu erhalten. Obwohl der Herzog ein strenger Herr ist und der Medicus noch nie mit ihm gesprochen hat und sich vor ihm fürchtet. Doch für mich will er sich zum Herzog wagen. Wenn der Herzog ihm Gehör schenkt und den Magier anweist, mir zu helfen, dann ist das meine Rettung, sagt der Medicus.
Wenn der Herzog aber dem Medicus keine Audienz gibt oder sich weigert, dem Magier zu befehlen, dass er mich heimzaubern soll – wenn der Medicus dann sagt, jetzt kann er mir auch nicht mehr helfen – wenn mich die Elfen dann finden – wenn