Der schwarze Mond. Gabriele Beyerlein
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„Ich weiß Seine Pläne immer zu würdigen, Meister“, erwidert der Herzog. „Lasse Er weiter hören!“
„Gewiss, Hoheit. Doch es ist die Mitte der Nacht, und somit Zeit für das Orakel. Ihr hattet mir ausrichten lassen, dass Ihr heute Nacht meiner Dienste bedürft?“
„In der Tat! Er muss wissen, meine Wiedervermählung steht bevor.“
Der Medicus erwidert schroff: „So habt Ihr meinen Rat missachtet und Euch doch die schöne Eiline gefügig gemacht? Dieses Kind? Was bemüht Ihr meine Künste, wenn Ihr meinen Warnungen kein Gehör schenkt?!“
„Das lasse Er meine Sorge sein! Von Ihm begehre ich nicht mehr zu erfahren als die günstigste Stunde für die Zeugung eines Sohnes.“
„Nun denn, so sei es! Doch klagt mich dereinst nicht an, ich hätte Euch von dieser Hochzeit nicht abgeraten, für die ich nichts als Dunkelheit sah! Folgt mir in den Brunnen!“
Der Medicus dreht sich zum Brunnen um, murmelt etwas und macht mit seinem Stock ein Zeichen in die Luft. Da teilt sich die Mauer, die den Brunnenrand bildet, und eine Wendeltreppe wird sichtbar, die nach unten führt. Der Medicus und der Herzog gehen die Stufen hinunter. Dann schließt die Mauer sich wieder.
Ich bin immer noch aus Stein. Stehe da. Fühle nichts. Denke nichts. Eine Ewigkeit lang.
Aber dann, plötzlich, überstürzen sich meine Gedanken: Der Medicus ist der Magier – irgendwas geht hier vor, wobei ich eine Rolle spiele – sie bringen mich um oder sie machen etwas ganz Furchtbares mit mir – deshalb hat er mich eingesperrt – ich muss fliehen – was hat der Herzog gemeint mit der gleichen Behandlung und der Medicus mit seinen Mitteln und Wegen – wenn sie aus dem Brunnen zurückkommen, darf ich nicht mehr hier sein – aber wie – ich kann hier nicht raus, die Tür ist zu – warum hilft mir bloß keiner –
Ich renne in dem Speicher hin und her, stoße an Truhen, falle über einen Korb, raffe mich wieder auf, rüttle an der Tür, aber die ist zu, ich brauche ein Werkzeug, gibt es hier etwas, womit ich die Tür aufbrechen kann, aber es ist so finster, ich kann nichts sehen, kann nichts finden ...
Mein Gott, hilf mir doch!
Ich schau nach oben zu den Sternen durch das Dreieck im Giebel.
Die Giebelöffnung! Sie ist groß genug, dass ich hindurchkriechen kann!
Normalerweise würde ich mich nie trauen, da hinaufzuklettern, aber jetzt …
Ich kralle die Finger in die Spalten zwischen die Balken, dann die Zehen. Zieh mich ein Stück hinauf. Steige weiter.
Ich erreiche den Giebel, schiebe mich durch die Öffnung, drehe mich um, klettere außen wieder hinunter, springe das letzte Stück.
Lieber Gott, ich danke dir.
7
Ich renne den Weg auf den Wald zu, renne wie noch nie in meinem Leben. Wenn der Medicus und der Herzog jetzt zurückkommen, die Sterne scheinen, kann man mich sehen? Gleich bin ich bei den Bäumen. In Sicherheit.
Was ist das?!
Mir wird angst, so entsetzlich angst. Ich merke, wie sich mir die Härchen am Nacken sträuben. Etwas Enges, Schweres schnürt mir die Brust ab. Ich kann nicht weiter. Muss umkehren. Nein. Ich darf nicht zurück. Nur noch ein paar Schritte!
Mit unendlicher Mühe hebe ich die Beine. Sie sind aus Blei. Ich kämpfe und laufe und kämpfe und laufe, warum bin ich nicht längst im Wald, es sind nur noch drei, vier Meter, ich quäle mich weiter, wieder ein Schritt und wieder und wieder –
Ich komme dem Wald nicht näher. Etwas hält mich fest.
Noch einmal hebe ich einen Fuß, schau dabei auf den Boden, zwinge mich, einen riesen Schritt zu machen, werfe mich mit aller Kraft vorwärts – und bleibe am gleichen Fleck. Ich falle ins Gras. Ich grabe meine Finger in die Erde. Ich trommle auf den Boden. Ich schmecke Blut.
Es kann nicht sein, kann nicht sein, kann nicht sein.
Ich zwinge mich, wieder aufzustehen, wieder auf den Wald zuzugehen. Wolken sind aufgezogen, die meisten Sterne sind verschwunden.
Da ist sie wieder, diese grauenhafte Angst. Die Schwere in den Beinen. Mit letzter Kraft renne ich. Renne auf der Stelle. Bleibe immer ein paar Schritte vom Waldrand entfernt.
Ich schreie.
„Ruhig, Knabe, ruhig!“, höre ich plötzlich eine Männerstimme. „Ganz ruhig! Tief atmen!“, befiehlt mir die Stimme. Sie ist fest und gelassen.
Auf einmal werde ich wirklich ruhig. Ich schaue mich um, sehe niemanden, es ist zu finster. Aber vom Waldrand her kommt die Stimme.
„Auf dir liegt ein Zauber des Medicus, um dich an der Flucht zu hindern. Es ist alles nur Trug und Schein! Wenn du ihm nicht unterliegst, kannst du dich befreien.“
„Wie soll ich das denn tun?“, flüstere ich. Nur ein heiseres Krächzen kommt aus meiner Kehle.
„Sei getrost! Ich werde dir meinen Beistand gewähren“, antwortet die Stimme.
Jemand tritt unter den Bäumen hervor, ich sehe nicht mehr als eine große Gestalt in der schwarzen Nacht. Dieser Jemand legt mir die Hände auf die Schultern. Etwas geht von diesen Händen aus, durchströmt meinen Kopf, meinen ganzen Körper mit Kraft und Zuversicht.
„Ahnst du im Dunkel den Baum vor dir?“, fragt die Stimme, und jetzt ist etwas anderes in ihr, etwas wie ein Sog. „Du wirst jetzt auf ihn zuschreiten und ihn berühren.“
Ich nicke. Mache einen Schritt. Noch einen. Immer weiter. Dann bin ich beim Baum. Fühle seine Rinde. Ich lehne meinen Kopf an seinen Stamm. Damit ich ganz sicher bin, dass ich es geschafft habe.
„Jetzt folge mir!“, befiehlt mir der Mann.
Nichts lieber als das! Ich stolpere hinter ihm her. Aber ich kann keinen Schritt weit sehen, stoße mir den Kopf an Ästen, laufe vor einen Baumstamm, stolpere über eine Wurzel und falle hin. Den Mann sehe ich nicht mehr. Da ist sie wieder, die Angst. „Helft mir, bitte!“, schreie ich.
Er ist da, sagt, ich soll auf seine Schultern steigen, und trägt mich.
Obwohl ich ganz schön schwer bin, läuft er rasch mit mir durch den Wald. Er muss so stark sein wie Papa.
Es ist stockfinster. Dennoch scheint er zu wissen, wo er geht. Ich ziehe den Kopf ein, damit ich mich nicht an den Ästen stoße, aber nie kommt mir ein Zweig zu nahe. Er scheint Augen zu haben wie eine Katze.
Wir gehen immer weiter vom Hof des Medicus weg. Und vom Herzog. Stundenlang. Das heißt, er geht. Ich werde getragen. Geschaukelt wie ein kleines Kind.
Früher, als ich klein war, hat Papa mich oft auf den Schultern getragen. Ich weiß noch, wie toll ich es fand, die Welt von so hoch oben zu betrachten.
Das erste schwache Morgengrauen dringt durch die Bäume. Ich schau mich um, versuche zu erkennen, wo wir