Ilka. null crodenius
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Ilka - null crodenius страница 4
Doch schon hatte er seinen Seesack aus dem Gepäcknetz gerissen und dafür ihre Tasche reingequetscht.
„So - und nun setzen Sie sich. Wenn woanders was frei wird, können Sie ja wechseln.“
„Aber ich kann Ihnen doch nicht den Platz ...“
„Machen Sie sich darüber keine Gedanken.“
„Das kann ich nicht annehmen... Also, geben Sie mir bitte meine Tasche.“
„Wie Sie wünschen.“
Doch gerade als er die Tasche wieder herunternehmen wollte, hörte man von draußen ein fürchterliches Gebrüll. Einige der Armisten waren aneinander geraten und lieferten sich ein lautstarkes Wortgefecht, von dem jedoch nur Fetzen zu verstehen waren. Dann knallte es, Bierschaum quoll unter der Türe hindurch und ein lautstarkes Poltern ließ die Wand erzittern - dann Stille.
Der Matrose, dem ihre Angst nicht entgangen war, schob ihre Tasche wieder zurück.
„Wenn es Sie beruhigt; wir können uns diesen Platz ja teilen.“
„Teilen? Wie stellen Sie sich das vor?“
„Ganz einfach; nach der Hälfte der Zeit wechseln wir. Immerhin stehen uns noch einige Stunde bevor, und die können bei dem Gedränge ganz schön lang werden. Außerdem wird sie hier kaum jemand belästigen ... Nun machen Sie schon, bevor ich es mir anders überlege.“
Das alles brachte er so kurz und nüchtern, ohne jede Ironie und Aberwitz hervor, was sie abermals verwirrte, zumal sie ihr Selbstverständnis dazu verpflichtete, stets zu einer eigenen Entscheidung zu kommen. Einen Moment wollte sie erneut widersprechen. Doch irgendetwas hielt sie davon ab. Warum auch? Was hatte er schon getan, ihr seinen Platz angeboten. Na und? - das verpflichtete doch zu nichts.
Also setzte sie sich mit dem faden Empfinden eines widerwilligen Gehorsams, ohne den Blick von ihm zu nehmen, wobei sie jedoch zu ihrer Verblüffung feststellte, dass er ohne ein Wort plötzlich das Abteil verließ und sich nach draußen im Gang zu den anderen gesellte. Allein sein mausgrauer Seesack blieb neben ihr im Gang zurück.
Sie glaubte sich erneut düpiert und geriet in Verwirrung. Ganz deutlich konnte sie ihn jetzt durch die trübe Türscheibe erkennen, wie er dort erneut zur Flasche griff, und, nachdem er einen Schluck genommen hatte, sich in ein heftiges Gespräch mischte. Dabei hatte er den Arm gegen die Wand gestemmte und schien etwas zu erklären, wobei er ab und an mit dem Kinn in ihre Richtung wies.
So ein mieser Kerl! So lief das also. Wer weiß, was er jetzt erzählte? Wütend starrte sie vor sich hin, ganz auf sich und ihren tiefen Schmerz fixiert. Doch wie auf andere Gedanken kommen? Es war zum Verrücktwerden! Ihr Buch befand sich noch in ihrer Tasche, und diese hatte er tief ins Gepäcknetz gedrückt, woraus sie es ohne fremde Hilfe kaum bekäme. Doch sich zu bewegen und womöglich erneut alle Blicke auf sich zu ziehen, wagte sie nicht. Also blieb ihr nichts, als weiterhin wortlos zu verharren, denn nichts lag ihr ferner, als jemand darum zu bitten.
Nachdem sich nun der erste Schreck gelegt hatte, begann sie sich zaghaft umzusehen. Sie befand sich in einem Abteil der zweiten Klasse auf einem Platz am Mittelgang. Ihr gegenüber saßen zwei Personen - ein Mann und eine Frau, welche die Arme vor der Brust verschränkt und die Köpfe unter ihren Jacken vergraben hatten. Sie schliefen, oder taten zumindest so. Ob sie zusammengehörten, war nicht auszumachen, aber aufgrund der gleichen Gepäckteile im Netz wohl anzunehmen. Ihr zur Linken schließlich saß eine unscheinbare ältere Frau mit schlohweißem Haar und einer großen runden Brille, die ein Deckchen häkelte und dabei kaum einmal aufschaute. Erst beim zweiten Blick fiel der recht gedrungene Oberkörper auf, der auf eine skoliotische Verkrümmung der Wirbelsäule hindeutete.
Gegenüber, auf der anderen Seite schließlich, fläzte noch immer, inzwischen quer über die gesamte Bank hinweg, dieser Flegel neben seiner Tasche, als wolle er damit sein Recht auf die beiden Plätze vollends demonstrieren. Dabei stemmte er sich auf den linken Ellbogen, schlug die Beine übereinander und breitete eine Zeitung darauf aus - von Müdigkeit jetzt offenbar keine Spur mehr. Hin und wieder tippte er den Kugelschreiber an die Lippen, wobei er jedoch weniger in die Zeitung, als viel öfter zu ihr rüber schaute.
Demonstrativ sah sie zur anderen Seite hin, wo sich im Fenster die Nacht in gähnender Finsternis abzeichnete und wiederum seine Gestalt verschwommen widerspiegelte. Also blieb ihr nur der Blick nach vorn, denn an Schlaf war nicht zu denken. Noch viel zu aufgewühlt, ging ihr so manches durch den Kopf, als jetzt die nötige Ruhe zu finden. Noch immer wagte sie sich kaum zu rühren, in der Furcht angegafft zu werden. Allein der Verdacht, sich unmöglich gemacht zu haben, ließ sie erschaudern, zumal der Blick zur Tür sie fortwährend an ihre Undankbarkeit erinnerte.
Endlich konnte sie den Matrosen wieder sehen, und ein Gefühl der Reue kam ihr auf, was sie ganz betroffen machte und schwanken ließ, ob es nicht ratsamer wäre, auf der Stelle den Platz zurückzugeben. Doch sie wagte es nicht - eine tiefe Scham verhinderte es. Da fiel ihr plötzlich das kleine vergilbte Namensschild an seinem grauen Seesack auf. Darin stand in blassen blauen Druckbuchstaben hinter dem für sie unverständlichen Kürzel ‘Stmtr.’ noch der Schriftzug ‘M. Fischer, 25 Rostock 13, Pf. 53 461.’
Fischer also’, dachte sie, ‚und das Postfach - welch Zufall - gleicht bis auf einen letzten Zahlendreher meiner Kontonummer. Eigentlich sieht er gar nicht aus wie M. Fischer - nein, viel zu unpopulär, zu nüchtern. Sperenzki oder Leichtfuß wäre passender. - Hm, und wofür könnte dieses M. stehen - für Martin? - Manfred? - oder Macho...? Aber natürlich...’
„Sie werden entschuldigen“, riss sie plötzlich eine Stimme aus ihren Gedanken. Es war die ältere Frau neben ihr, die ihr das gehäkelte Deckchen entgegenhielt: „Was meinen Sie, passen Spitzen oder Bögen besser zu dieser Kante?“
„Wie bitte?“ Ilka, erwachte aus ihrer Gedankenversunkenheit und sah sie erschrocken an.
„Nun ich dachte, Sie als Frau verstehen vielleicht etwas davon.“
„Nein, leider nicht. Aber, wenn sie mich fragen – Spitzen, ja, Spitzen.“
„Dachte ich mir, aber ich war mir nicht sicher. Sie fahren sicher auch in den Urlaub, nicht wahr?“
„Ja.“
„Wohin denn, wenn man fragen darf?“
„An die Küste.“
„Ach so ... Schrecklich voll heute, finden Sie nicht? Ich fahre jedes Jahr um diese Zeit die Strecke, doch so schlimm war es noch nie. Na ja, wenigstens haben wir einen Sitzplatz. Nur gut, dass es noch solch selbstlose Menschen gibt wie Ihren Freund.“
„Welchen Freund?“
„Na, diesen Matrosen.“
„Ach so... das ist kein Freund.“
„Dann eben ihr Bekannter.“
„Ist auch kein Bekannter.“
„So?“
„Er ist weder noch, er ist ein Fremder, ich kenne ihn nicht.“
„Und dann opfert er seinen Sitzplatz?“
„Na